· 

Zeitschrift für Kritische Tierstudien

Zeitschrift für Kritische Tierstudien, Band 1
Zeitschrift für Kritische Tierstudien, Band 1

Zeitschrift für Kritische Tierstudien
Band 1 – 2018
herausgegeben von Daniel Lau
Broschiert, 168 Seiten, 5 s/w Abbildungen
https://animot-verlag.de
ISBN 978-3-948157-00-5
ISSN 2627-4965
Daniel Lau hat mit animot einen Verlag gegründet, um Literatur zu den Themen Tierbefreiung, Tierrechte, Tierethik, Mensch-Tier Studien (Human-Animal Studies), Kritische Tierstudien zu veröffentlichen.

Die im Januar 2019 herausgegebene "Zeitschrift für Kritische Tierstudien" ist ein jährlich erscheinendes Medium, das sich versteht als ein inter- und multidisziplinäres Forum, "sowohl für Nachwuchswissenschaftler*innen und etablierte Akademiker*innen der Human Animal-Studies, als auch für Aktivist*innen der Tierbefreiungs- und Total Liberation-Bewegung". Wissenschaft(stheorien) und Aktivismus begegnen sich und sollen eine emanzipatorische, herrschaftsfreie linke Tierbewegung stärken/schlagkräftig(er) machen.
Die Rechtswissenschaftlerin Charlotte E. Blattner beschäftigt sich mit der Rolle von "Wildtieren im Umwelt und Tierschutzrecht". Ihr Beitrag will den Rechtswissenschaften die in diesem Kontext geführten philosophischen Debatten an der Schnittstelle zwischen Ökologie, Tierschutz und Tierrecht zugänglich machen. Sie zeigt auf wie das Schweizer Natur- und Heimatschutzgesetz und die Jagdgesetzgebung dem Tierschutzgesetz gegenüber vorrangig sind und welche Konsequenzen sich daraus für Wildtiere ergeben. Während Tiere, die vom Aussterben bedroht sind, unter den Artenschutz gestellt werden, spielt es für Tiere, die in großer Anzahl existieren, keine Rolle, ob ein Tier stirbt. Bemühungen zur Rettung von Spezies, die aufgrund vorangegangener menschlicher Eingriffe in die Natur bedroht sind, können moralisch begründet werden. Was sind überhaupt moralische Rechte? Heute glauben nur noch wenige, dass solche Rechte in der Realität oder von Natur aus vorgegeben sind. VerfechterInnen der Umwelt- und Tierethik streiten über theoretische Grundlagen und praktische Konsequenzen. Tatsächlich besteht auch bei Wildtieren eine Ungleichbehandlung. Tiere, denen wir näher stehen, mit denen wir bewusst die Nähe suchen, fühlen wir uns moralisch mehr verpflichtet. Beispielsweise Peter Singers präferenzutilitaristische Moralphilosophie basiert auf der Vorstellung, dass die Interessen aller leidensfähigen Wesen auch in der Ethik berücksichtigt werden müssten. Immer mehr Menschen sprechen sich gegen Tierausbeutung aus, eben auch gegen jene der der Wildtiere. Charlotte analysiert, wie das Schweizer Tierschutzgesetz Wildtiere schützt und erkennt einen bestehenden Konflikt zum Naturschutz- und Jagdgesetz. Charlotte schlussfolgert, dass die Mehrheit aller Tierschutzgesetze die "grundsätzliche Verfüg- und Verwendbarkeit von Tieren für menschliche Interessen zementiert".  Dass ein robuster Tierschutz und Tierrechte für Wildtiere möglich ist und realisierbar sind, zeigen ihre Beispiel anhand des norwegischen, vor allem aber des litauischen Rechts.
Daniel Lau untersucht "Praktiken der Animalisierung und Dehumanisierung in den urbanen Gesellschaften des alten Westasien". Daniel erklärt den Begriff der Animalisierung - verstanden als Tiergleichsetzung - als die "bewusste Ausgrenzung von Menschen aus der Humangesellschaft" und liefert Beispiele, wo und in welcher Epoche die Animalisierung stattfand, in welchen Gesellschaften des antiken Westasiens die Dehumanisierung der Fremden verwirklicht und dargestellt wurde. Abschließend ergeben sich für Daniel viele diskursive Fragen und Themen, wo die Ursprünge der Tierausbeutung für eine speziesistische Ideologie zu finden sind, die ein wichtiger Faktor für andere Ausbeutungsverhältnisse und Abwertungen von "Anderen" sind.
Ina Schmitt untersucht Diskriminierungs- und Unterdrückungsverhältnisse, die der Tierschutz als zu verstehender ideologischer Ansatz moralischer Überlegenheit produziert. Im Fokus ihrer historischen Abhandlung zum Tierschutz in Bezug auf Ausbeutung, Vivisektion, benennt sie Beispiele von u.a. Richard Wagners anti-semitischen Weltbildes, das in großen Teilen die politischen Rechtsorientierung der Tierschutzbewegung prägte und anhand des ersten deutschen Tierschutzgesetzes deutlich wird. Das Reichstierschutzgesetz von 1933 erließ ein Verbot des betäubungslosen Schlachtens, das "Schächtverbot". Die Vivisektion wurde verboten. Eine Maßnahme, die sich auch gegen zahlreiche Wissenschaftler mit jüdischer Abstammung richtete. Der Tierschutz diente dazu, die jüdische Minderheit zu schikanieren und die Ideologie der Herrschaft der Starken über die Schwachen zu untermauern. Raubtiere und deren Verhalten galten den Nazis als Vorbilder für arische Menschen. Ziel war, die Schwachen, Kranken, Volksfremden zu eliminieren und die höherwertigen, rassereinen Menschen zu fördern. Ganz allgemein bemängelt Ina eine fehlende Selbstreflexion hinsichtlich der menschenfeindlicher Ideologien und eine fehlende Ausbeutungs- und Herrschaftskritik auch in der Tierrechtsbewegung. Daran knüpft auch eine antikapitalistische Sichtweise an, die Christian Stache mit der Klassenfrage stellt. Tiere sowie die Natur im Allgemeinen sind in der kapitalistischen Wirtschaft lediglich Waren, Produktionsmittel oder Ressourcen, die es auszubeuten gilt. Die Beherrschung der Natur begründet dabei die menschliche Gesellschaft: Da die Menschen produzieren müssen, um sich zu reproduzieren, müssen sie auch seit jeher die Natur umgestalten und nutzen. Die Zerstörung der Natur und mit ihr die Zerstörung der Grundlagen menschlicher Gesellschaft sind unmittelbare Folgen von Produktionsverhältnissen, die nicht der Befriedigung von Bedürfnissen dienen, sondern den Notwendigkeiten fortschreitender Kapitalakkumulation folgen. Dass den Prozessen der kapitalistischen Naturaneignung kein Prinzip der Nachhaltigkeit, Schonung oder Vorsicht inne liegt, ist nicht etwa Resultat "naturfeindlicher Einstellungen", sondern logische Konsequenz aus der Inwertsetzung der Natur.

Gesamteindruck:

Die veröffentlichten Texte verfolgen einen abolitionistischen, herrschaftskritischen, nicht-reformistischen Ansatz und zielen darauf ab, die Befreiung der Tiere als gesellschaftlich emanzipatorisches Konzept zu diskutieren und kritisch theoretisch zu fundieren. Darüber hinaus gibt es neben bewegungskritische Aufsätze auch mit "Respect for animals" (Jens Tuider, Katharina Weiss) Erkenntnisse und einen philosophischen Diskurs über den gerechten Umgang mit Tieren. Es ist die überwiegende Kritik an der gegenwärtigen Rechtsgrundlage, die die Diskrepanz zwischen schützenswertes Interesse mit Eigenwert und der faktisch, rechtlich normierten Behandlung von Tieren verdeutlicht. Erst durch die Verleihung fundamentaler Tiergrundrechte können Tier gegen individuelle, staatliche und institutionalisierte Gewalt geschützt werden. Tiere werden in unserer Gesellschaft fast ausschließlich danach betrachtet, welchen Nutzen sie für Menschen haben, entscheiden nicht über, sondern gegen die Bedürfnisse und Interessen von Tieren. Der Mensch stellt Normen des Zusammenlebens auf, die schwerwiegende Folgen für Tiere haben. Milliarden Haus- und "Nutztiere" und auch Wildtiere sind von den Grundsätzen und Regeln menschlicher Gemeinwesen und Gesellschaften tiefgreifend, umfassend und unentrinnbar betroffen. Der kleinste gemeinsame Nenner politischer Theorien der Tierrechte ist, dass das Wohlergehen individueller Tiere ein eigenes Kriterium politischer Legitimität bildet. Dass Tiere nicht als Opfer gesellschaftlicher Ausbeutungs- und Herrschaftsverhältnisse anerkannt werden zementiert ihre katastrophale Situation. Wenn die gesellschaftlichen Verhältnisse nach anderen Prinzipien als bloßer Profitmaximierung ausgerichtet werden sollen, ist die tatsächliche Teilhabe der Menschen an allen sie betreffenden Lebensbereichen eine notwendige Voraussetzung. Die Überwindung ökonomischer Abhängigkeitsverhältnisse ist die Grundlage partizipativ-demokratischer Aushandlungsprozesse, in denen sowohl die Bedürfnisse von Menschen als auch von Tieren eine Berücksichtigung finden können. Kritik an Tierausbeutung darf sich jedoch nicht lediglich auf bestimmte Formen oder Bereiche der Gewalt an Tieren beschränken. Notwendig wären formulierte Perspektiven, wie die Wiederaneignung und Vergesellschaftung zentraler Lebensbereiche für verschiedene politische Bewegungen organisiert und ermöglicht werden kann und eine Grundlage ist, das gesellschaftliche Projekt der Befreiung der Tiere zu realisieren.