Was wir essen und trinken, hat einen großen Einfluss: Denn konventionelle Lebensmittel aus industrieller Landwirtschaft sind neben anderen Faktoren mit verantwortlich für Artensterben, den Klimawandel und Tierleid. Hinzu kommen Probleme wie eine unangemessene Entlohnung der Arbeiter oder schwere Arbeitsbedingungen.
Als KonsumentInnen können wir uns aber auch für nachhaltigere Lebensmittel entscheiden und so die ökologische und faire Landwirtschaft unterstützen. Aber trägt ein nachhaltiger Konsum - im Verlauf bezogen auf Nehrung/Lebensmittel - wirklich zum Klimaschutz, zur Vermeidung/Reduzierung von Lebensmittelverschwendung bei?
Nachhaltigkeit kann hierbei als regulative Leitidee für einen gesellschaftlichen Strukturwandel verstanden werden, welcher gleichzeitig ökologische, soziale und ökonomische Wertdimensionen
berücksichtigt. In Bezug auf die Lebensmittelverarbeitung zeigen sich zahlreiche Konfliktpunkte zwischen den Bereichen dieser Dimensionen in einer nachhaltigeren Ernährung. Beispielsweise durch
die Zugabe von Hilfs- und Zusatzstoffen, Pestizide, Nitrate im Grundwasser, Abwendung von Gentechnik, Lohndumping, betriebsbedingte Entlassungen, Wasser-, Energieverbrauch. Nachhaltigkeit ist in
diesem Sinne auch ein Entwicklungskonzept, das mehr Gerechtigkeit schaffen soll und zentrale Fragen aufwirft: Wie können Gesellschaften ihren Umgang mit der Natur so gestalten, dass auch
zukünftige Generationen funktionierende Ökosysteme vorfinden? Wie können Gesellschaften gerechter eingerichtet und große soziale und ökonomische Unterschiede abgebaut werden? Wie können
gegenwärtige Gesellschaften in einem zunehmend globaler vernetzten Wirtschaftsraum und die natürlichen Lebensräume in ein Verhältnis gebracht werden, das langfristig eine dynamische Interaktion
aller Systeme ermöglicht?
Ernährung, Nachhaltigkeit und Konsum stehen derzeit auch im Vordergrund der Betrachtungen zum Klimawandel. Erzeugung, Verarbeitung, Handel, Einkauf und Zubereitung von Lebensmitteln tragen
wesentlich zum Anstieg des menschenverursachten Treibhauseffekts bei. Es ist also durchaus sinnvoll zu überlegen, welche Reduktionspotentiale von Treibhausgasemissionen durch nachhaltige
Ernährung bestehen. Die Umweltbelastungen durch die intensive Tierproduktion sind sehr hoch (u. a. Emissionen, Flächenbelegung im In- und Ausland) – ein veränderter, reduzierter Fleischkonsum,
besser noch, eine vegane Lebensweise hätte somit längerfristig ökologisch (und auch gesundheitlich) positive Auswirkungen.
Wer will nicht eine gutes, besseres Leben und Lebensqualität? Doch wie leidet diese Qualität im Zusammenhang mit Konsum? Maximaler Konsum heißt keineswegs notwendig maximale Lebensqualität, auch nicht umgekehrt. Integrative Ansätze wie sie Regionale Produktorganisationen, Bio-Organisationen und ProduzentInnen-Konsumentengenossenschaften verfolgen, weisen in dieser Hinsicht Vorteile auf. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sich verschiedene Akteure entlang der Produktionskette inklusive KonsumentInnen um einen gemeinsamen ideellen Bezugspunkt (räumliche Nähe, Bioproduktion, Zusammenarbeit Landwirtschaft– Konsum) organisieren und in diesem Rahmen gemeinsam nach Lösungen suchen, wie ökologische, soziale und gesundheitliche Aspekte in Lebensmittelproduktion und –konsum integriert werden können. Im Kern geht es also um die Frage einer nachhaltigen Ernährung. Doch Kaufentscheidungen hängen von bestimmten Kriterien ab. So empfinden viele KonsumentInnen Fair Trade- und Öko-Produkte als „zu teuer“, die sie sich nicht leisten können oder wollen. Warum aber werden Fleischprodukte so billig angeboten? Lieber regional und saisonal kaufen, okay, aber ich will nicht auf Tomaten im Winter verzichten, der Weg zum Wochenmarkt ist mir zu anstrengend, wenn ich doch alles im Supermarkt kaufen kann?! Alles muss immer und reichlich zur Verfügung stehen. Wochenmärkte, Hofläden, solidarische Landwirtschaftskooperationen (SoLaWi) bedienen eine kleine Klientel, erreichen nicht genügen KundInnen/KonsumentInnen. Und obwohl sicherlich viele KonsumentInnen bereit sind, regionale Produkte zu kaufen, steigt weiterhin das Interesse und die Nachfrage nach außersaisonalem Obst und Gemüse und nach exotischen Früchten und Gewürzen an, was die Märkte aufgrund werbetechnischen Maßnahmen auch fördern und somit das Kauf- und Konsumverhalten manipulieren.
Containerer, Foodsharer haben ebenfalls Ansätze, das konventionelle Konsumverhalten sowie die Produktionskette zu durchkreuzen, tatsächlich verhält es sich so, dass der Lebensmittelsektor von den Ketten EDEKA, REWE, Schwarz-Gruppe, METRO, ALDI, Lekkerland, Tengelmann Gruppe, dm, Rossmann und Globus geprägt werden1. Diese Zentralisierung des Marktes führt dazu, dass der Handel seine Macht gegenüber den vorgelagerten Stufen des Ernährungssystems gnadenlos ausnutzen kann. Auch der boomende Bio- und Fair Trade-Markt hält Einzug in konventionelle Supermärkte und ist nicht mehr ausschließlich in Reformhäuser, Bioläden, auf Wochenmärkte zu finden2. Dadurch wird allerdings nicht das gravierende Problem der Preisaufschläge gelöst, mit denen der Handel die Kosten für Bioprodukte zusätzlich in die Höhe treibt. Konventionelle Lebensmittel sind außerdem so billig, weil bei der Berechnung die externen Umweltkosten und die erhaltenen Subventionen außen vor bleiben. Bioprodukte sind also nicht zu teuer, so wie allgemein behauptet wird, sondern konventionelle Nahrungsmittel sind schlicht und einfach zu billig. Eine dezentrale regionale Vermarktung von ökologischen Produkten beeinflusst zudem Transportwege und die Umweltaspekte. Nicht nur in der Produktion und die Transportwege um den halben Globus, sondern auch der motorisierte Einkaufs in Supermärkten der Stadt führt zum gesteigerten Konsum an länger haltbaren, zum Teil zu kühlenden Lebensmitteln. Die Herstellung von lange haltbarer Nahrung und ihrer Verpackung ist mit einem hohen Verbrauch von Energie und Rohstoffen verbunden. Doch Umweltfreundlichkeit spielt für die VerbraucherInnen beim Nahrungsmittelkonsum nur eine untergeordnete Rolle und wird lediglich als Zusatznutzen verstanden3.
Das Konsum- und Kaufverhalten ist geprägt und meist abhängig von der Gewohnheit, der Bequemlichkeit, Unsicherheit und der Überforderung.
Bis Mitte des 20. Jahrhunderts war es zentrale Aufgabe von Landwirtschaft und Lebensmittelverarbeitung, genügend Lebensmittel zu produzieren und diese haltbar zu machen. Seit den späten 60er und
frühen 70er Jahren gelten in den westlichen Wohlfahrtsstaaten die über so lange Zeiträume drängenden Versorgungsprobleme für die breite Bevölkerung als „gelöst“, es besteht sogar ein erhebliches
Überangebot an Lebensmitteln.
Fazit:
Die hier aufgeführten Probleme und Widersprüche zeigen, dass längst nicht alles im grünen Bereich ist. Nachhaltiger Konsum oder „bewusster Konsum“, also als ein solcher, in dem BürgerInnen sich reflexiv auf ihre Rolle als individuelle KonsumentInnen beziehen und sich verantwortungsvoll im Hinblick auf den Konsum von als gut bewerteten Gütern und Dienstleistungen verhalten, könn(t)en maßgeblich zu einer nachhaltigeren Gesellschaft beitragen. Aus einer praxissoziologischen Perspektive betrachtet wird deutlich, dass es streng betrachtet nachhaltige Konsumpraktiken per se nicht gibt. Auf der anderen Seite führen ideelle Bezüge zu mehr Nachhaltigkeit auch zu mehr Eigeninitiativen. Ob Solidarische Landwirtschaft4, Öko-Landbau, Containern und Foodsharing...neue Vorbilder braucht das Land, die Umwelt- und Klimaschutz mitdenken, ressourcenschonende Anreize schaffen und letztendlich Zufriedenheit und Lebensqualität erhöhen. Nachhaltige Produkte boomen zwar, doch sind diese meist auch für das Dilemma verantwortlich, in dem Handel und KonsumentIn feststecken: Mobilität und lange Transportwege, Energiekosten sind abhängig von den Ansprüchen sowohl bei den HändlerInnen, als auch den KonsumentInnen. Offenbar ist nicht nur der Konsum das Problem, sondern auch die Ansprüche. Eine Auswertung des Umweltbundesamts5 zeigt: Wer viel verdient, lebt umso mehr auf Kosten der Umwelt. Denn egal, was wir mit unserer Gehaltserhöhung tun, ob Haus- oder Autokauf, ob Flugreise oder Elektronik: Jede Umwandlung von Geld in Dinge oder Dienstleistungen wird sich klima- und umweltschädlich auswirken. Es gibt immer mehr aufgeklärte KonsumentInnen, die wirklich was für die Umwelt tun wollen. Gleichzeitig gibt es immer mehr Egal- und Hauptsache-billig-KonsumentInnen. Es gibt immer mehr RadlerInnen, immer mehr Führerschein-VerweigererInnen, autolose Menschen und Carsharer – aber auch immer mehr schwere Autos auf immer mehr Straßen, immer mehr Einfamilienhäuser auf der grünen Wiese und Flugreisen in ferne Länder. VeganerInnen, FoodsharerInnen und Containerer retten nicht die Welt, machen aber ernst mit der Nachhaltigkeit. Es gibt kein umweltfreundliches Autofahren oder gutes Billigfleisch. Der Preis entscheidet und das Gewissen auch. Nur wer sich den ständigen Verlockungen widersetzen kann, zum billigeren und umweltschädlichen Produkt zu greifen, wird noch lange keine drastischen Geschwindigkeitsbegrenzungen, kein Straßenbau-Moratorium erwirken, keine CO2-Steuer einführen oder gar Emissions-Budgets für jedeN. Das kann nur die Politik. Nachhaltiger Konsum ist und bleibt Konsum.
Nachhaltig wäre genau das Gegenteil: nicht konsumieren. Sondern Dinge pflegen, reparieren, tauschen, lange nutzen. Wer Nachhaltigkeit will, sollte auf Wirtschaftswachstum verzichten können.
Fußnoten:
1. https://www.gevestor.de/details/die-10-groessten-supermarktketten-deutschlands-762657.html ↩
2. Bio ist in aller Munde. Gefühlt eröffnet an jeder Straßenecke ein neuer Bio-Laden. Doch welche Rolle spielt die ökologische Lebensmittelwirtschaft tatsächlich in Deutschland und Europa? Fakten zur Bio-Branche nach Informationen des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW): https://www.boelw.de/fileadmin/user_upload/Dokumente ↩
3. https://www.oeko.de/oekodoc/80/2000-012-de.pdf ↩
4. Solidarische Landwirtschaft – was ist das? Das Konzept ist ganz einfach: Ein Hof oder eine Gärtnerei versorgt eine Gruppe von Menschen in der näheren Umgebung mit Lebensmitteln. Im Gegenzug stellt die Gruppe die nötigen Mittel für die Lebensmittelerzeugung zur Verfügung. Alle Beteiligten teilen sich die Ernte und die Verantwortung. ↩
5. https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/repraesentative-erhebung-von-pro-kopf-verbraeuchen ↩