Der Dokumentarfilm „Tonnentaucher“ von Strahlendes
Klima e.V. erzählt die Geschichten der Dinge, die wir täglich achtlos wegwerfen. 4.000 Eiffeltürme schwer sind all die Joghurtbecher, Tetrapacks und Pappschachteln die in Europa jährlich auf dem
Müll landen. Das Filmprojekt „Tonnentaucher“ unternimmt eine spannende Reise in die Welt dieser Müllberge.
Der Film stellt die Frage, ob es überhaupt Sinn macht weniger Abfall zu erzeugen. Dafür werden nicht nur unterschiedliche Recyclingmaßnahmen untersucht, sondern auch spannende Menschen und
Projekte gezeigt, die auf Müllvermeidung setzen. Und das in Frankreich, Italien und Deutschland.
«Müllvermeidung ist die Lösung, Recycling nur die oftmals schlechtere Alternative.»
Abfallvermeidung, Mülltrennung, Recycling. Das sind Themen, die auch unser Klima betreffen. Was hat Mülltrennung eigentlich mit Klimaschutz zu tun?
Mülltrennung kann Ressourcen schonen, einfach, weil dadurch die Wiederverwertung der Rohstoffe aus dem Müll überhaupt erst möglich wird. Damit das auch wirklich Ressourcen schont und so dem
Klimaschutz hilft, muss der Prozess dahinter aber möglichst nachhaltig sein.
In Deutschland ist das Mülltrennen zu Hause erst mal Voraussetzung dafür, dass eine Wiederverwertung von Rohstoffen - also Recycling - möglich wird. Und Recycling kann das
Klima schützen - ist aber selbst auch ein Prozess, der sehr energieaufwendig ist. Aufwand und Nutzen müssen sich also die Waage halten. Wenn beispielsweise altes Papier und Pappe als
Recyclingpapier aufbereitet werden, müssen theoretisch weniger Bäume für die Papierproduktion gefällt werden. Und weil Bäume klimaschädliches CO2 binden, ist das gut fürs Klima. Wenn das
Altpapier für den Recyclingprozess aber um die halbe Welt per LKW und Schiff transportiert werden muss, wie es oft der Fall ist, dann ist es fraglich, ob es unter dem Strich zu Einsparungen von
Klimagasen kommt - zumal Papier nur 4-6 mal wiederverwendet werden kann, dann muss frische Holzfaser zugefügt werden. Es ist also kontraproduktiv, verschwenderisch mit Papier zu sein, weil es ja
recycelt werden kann. Man muss ganz genau hinschauen, wenn man bewerten will ob Mülltrennung und Recycling auch wirklich das Klima schützen. Übrigens: In anderen Ländern - wie etwa Frankreich -
darf ich das Papier zusammen mit Plastik und Glas in die „Recyclingtonne“ geben. Wir zeigen in unseren Film, wie die Mülltrennung dann in einer Fabrik stattfindet, anstatt zu Hause. Auch das ist
ein Zwischenschritt, der sich noch mal negativ auf die CO2-Bilanz des Recyclingprozesses niederschlägt.
Es scheint, dass in großen Teilen der Gesellschaft ein Bewusstsein für Recycling sehr gering ist. Wir nehmen lieber eingeschweißte Äpfel aus dem Supermarkt mit, statt vom Bauern oder vom
Wochenmarkt ein paar lose Äpfel im eigenen Korb. Nach Lust und Laune kaufen wir viel zu günstige Nahrungsmittel, wovon die Hälfte weggeschmissen wird. Der Verdacht liegt nahe, die
Hauptverantwortung für Nachhaltigkeit im Alltag läge bei dem/der EndverbraucherIn...
Es gibt natürlich eine Verantwortung, die beim Einzelnen liegt - jedes Stück Plastik, das ich nicht kaufe, landet erst mal nicht in meiner Mülltonne - und wenn möglichst viele
andere es mir gleichtun und die in Plastik eingeschweißten Äpfel im Regal liegen bleiben, dann findet vielleicht ein Umdenken bei den Verantwortlichen statt und es ändert sich was. Aber wir haben
hier auch ein strukturelles Problem, das unübersehbar ist. Denn oftmals haben wir gar nicht die Wahl zum Bauern, statt zum Supermarkt zu gehen. Der Markt findet vielleicht nur ein mal pro Woche
statt, zu einer Uhrzeit, wo ich nicht hingehen kann. Aber paradoxerweise haben vor allem Menschen, die auf dem Land wohnen, ein Problem, verpackungsfrei einzukaufen. In vielen ländlichen Gegenden
Deutschlands ist die nächste Einkaufsmöglichkeit nun mal ein Discounter und nicht der Bauernmarkt um die Ecke. Auch wenn es einen Bauern gibt, heißt das noch lange nicht, dass er einen Hofverkauf
anbietet - viele Bauern produzieren für Großhändler und können sich nicht mit Einzelkunden aufhalten. Das ist ein strukturelles und kein individuelles Problem.
Wir haben diese Alternativlosigkeit während der Dreharbeiten von unserem Film mal beispielhaft nachvollzogen und eine Zeitlang jedes von uns selbst produzierte Stückchen Müll als Beweis online
gestellt. Da ist innerhalb weniger Tage ziemlich was zusammen gekommen - viel Müll, den wir gerne vermieden hätten, aber aufgrund des extremen Zeitmangels beim Dreh eben nicht vermeiden
konnten.
Bezogen auf die Lebensmittelverschwendung sollte es weniger um die Schuldfrage gehen, als um konkrete Lösungsvorschläge. Anfang 2016 hat die Bundesregierung ein „Nationales Programm für
Nachhaltigen Konsum“ verabschiedet. Aber kann bewusster Konsum überhaupt ein zentraler Beitrag auf dem Weg aus der ökologischen Krise sein bzw., welche konkreten Lösungsvorschläge wären
sinnvoll(er)?
Bewusster Konsum unterstellt ja, dass die Entscheidung beim Käufer liegt, was ja nur zur Hälfte stimmt, weil ich nur kaufen kann, was angeboten wird. Das kann sich zum Beispiel
mit „Unverpackt“ schon ziemlich schwierig gestalten, je nachdem, wo ich wohne.
Das erwähnte „Nationale Programm für nachhaltigen Konsum“ kenne ich nicht und kann mich nicht darauf beziehen. Beim Thema Lebensmittelverschwendung ist es jedoch so, dass lediglich 5% des
Lebensmittelmülls, der in Deutschland anfällt, vom Handel, also zum Beispiel von Supermärkten, produziert wird. Fast die Hälfte des Lebensmittelmülls ist hierzulande dem Verbraucher, also uns
allen zuzuschreiben. Folglich ist es eine gute Idee, beim Konsum des Einzelnen anzusetzen. Was jedeR einzelne tun kann, ist schwer zu sagen - vorausschauend planen, nur einkaufen, was man essen
kann, Reste frühzeitig verschenken - wenn klar ist, dass ich am Samstag in den Urlaub fahre, kann ich am Donnerstag schon die 12 Eier, die ich voraussichtlich nicht mehr essen kann, bis dahin
den/der NachbarIn schenken. Wir wissen aber alle, dass das im hektischen Alltag oft untergeht und das halbe Brot dann doch in der Tonne landet, weil es irgendwie nicht mehr schmeckt und das
frische Brot eben verlockender ist.
In Entwicklungs- und Schwellenländern ist das Problem übrigens anders gelagert - hier entstehen die meisten Verluste direkt nach oder während der Ernte, zum Beispiel weil Kühlketten nicht
vorhanden sind oder Konservierungsmöglichkeiten zu teuer und für die einzelnen nicht anwendbar sind. Da müssen andere Lösungsvorschläge her.
«Wir sollten uns dennoch die Frage stellen, wer ein wirtschaftliches Interesse daran hat, dass wir Müll produzieren und wie viel diese Firmen verdienen. Nur so können wir die Strukturen die dahinter liegen, aufbrechen.»
In dem Film geht es primär um die Frage, ob es überhaupt Sinn macht, weniger Abfall zu erzeugen. Fest steht: Müll ist kein starrer Markt, sondern richtet sich nach Angebot und Nachfrage.
Recycling ist einer der Bereiche, in denen sich der ethische Ansatz Umweltschutz hervorragend für lukrative Geschäfte eignet. Wer profitiert davon?
Die Frage nach dem Sinn von Müllvermeidung wird im Film vor allem von Michael Braungart und seiner Idee Cradle to cradle1 gestellt. Das ist allerdings nur eine von vielen Sichtweisen, die wir versuchen, im Film darzustellen.
Die Frage, ob es Sinn macht, weniger Abfall zu produzieren, klingt heutzutage schon fast ketzerisch. Ökologisch gesehen macht das erst mal Sinn - alles was nicht weggeworfen wird muss auch nicht
energetisch aufwendig recycelt werden, landet nicht auf der Müllkippe oder in der Müllverbrennungsanlage. Ökonomisch gesehen ist das Geschäft mit Müll durchaus lukrativ. Wir haben nun mal zig
Müllverbrennungsanlagen in Deutschland und die lohnen sich nur, wenn sie zu einem bestimmten Prozentsatz ausgelastet sind. Würden wir heute anfangen alle 50% weniger wegzuwerfen, dann hätten die
Gemeinden und Kommunen, die in den Müllverbrennungsanlagen oftmals mit drin stecken, sowie die Firmen dahinter ein massives finanzielles Problem. Das gleiche gilt für die gelbe Wertstofftonne.
Die Firmen müssen wirtschaftlich arbeiten, die Müllabfuhr will bezahlt werden und es muss ein Gewinn dabei herumkommen. Das ist absolut legitim - die Arbeit der Müllmänner muss ja auch bezahlt
werden! Wir sollten uns dennoch die Frage stellen, wer ein wirtschaftliches Interesse daran hat, dass wir Müll produzieren und wie viel diese Firmen verdienen. Nur so können wir die Strukturen
die dahinter liegen, aufbrechen.
Der Dokumentarfilm soll Identifikationsmomente anbieten, die einen nachhaltigen Umgang mit den natürlichen Ressourcen annehmbar machen. Wie kann das erreicht werden?
Das Zauberwort hier ist sicher Identifikation, Begeisterung zieht nun mal mehr als Reglementierung. Eine Wurmfarm wie im Film kann eine tolle Sache sein: sich selbst aus kompostierbaren
Materialien seine eigene Blumenerde machen, da ist der Effekt sehr unmittelbar. Wenn Nachhaltigkeit positiv besetzt wird, nicht mit Verzicht oder Verbot, dann wäre schon viel
gewonnen.
Und wenn der italienische Professor in unserem Film seine Studierenden den Müll einer Woche sammeln lässt, dann hoffen wir, dass jede/r Zuschauer/in darüber nachdenkt, wie die eigene Mülltüte
wohl aussehen würde, wenn man es den Studierenden gleich täte.
Wo lassen sich - bezogen auf Recycling - eigentlich Öko- und Nachhaltigkeitsindize festmachen?
Wir haben am ersten Drehtag einen ganzen Tag im Wald gestanden und uns den Stoffwechselkreislauf in der Natur erklären lassen. Ohne Sonnenenergie und Wasser läuft da gar
nichts, Mikroben, Pilze, Würmer - bis aus dem alten Baumstamm neue Erde entstanden ist, ist das ist ein energieaufwendiges, komplexes Zusammenspiel vieler Akteure. Eine gute Analogie für den
industriellen Recyclingprozess.
Eine interessante Frage ist also beim Recycling, wie viel Energie, Zeit und Geld muss ich einsetzen, um aus einem alten ein neues, recyceltes Produkt herzustellen? Dazu zählen dann auch
Transportwege. Und wie viel Müll, verschmutztes Abwasser oder klimaschädliche Gase entstehen dabei wieder?
Menschen, die eine ökologisch orientierte Einstellung haben, sind keineswegs nachhaltiger als Menschen, die sich nicht dafür interessieren. Der/die ökologisch bewusste KonsumentIn
entscheidet sich bspw. gegen ein Produkt, wenn das schlechte Gefühl, dass er/sie mit dem Produkt verbindet, dominiert. So zum Beispiel beim Verzicht auf Fleisch oder Plastiktüten. Warum reicht
unser moralisches Empfinden offensichtlich nicht aus, unseren ökologischen Fußabdruck in einigermaßen erträgliche Bahnen zu lenken?
Die Frage ist ja immer, wie die Handlungsalternativen aussehen. Sind die möglicherweise einfacher, ökonomisch attraktiver, und was macht das soziale Umfeld. Deswegen ist es
natürlich ein komplexes Problem und das hat auch mit dem System zu tun, in dem wir leben.
Auf der anderen Seite brauchen Veränderungen dieser Art einfach Zeit, das ist bei der Gleichstellung oder Inklusion ja genauso.
Durch Umweltbildung, Empathie-Schulungen und KonsumentInnenaufklärung könnte diese moralische Grenze überwunden werden. Was sollte sich auf der strukturellen Ebene, die unser Produzieren
und Konsumieren maßgeblich leiten, ändern?
Es müsste einen stärkeren Anreiz für Unternehmen geben, weniger Verpackungsmüll zu produzieren. Und die Müllgebühren müssten teurer werden, damit VerbraucherInnen gezwungen
sind, noch mehr Müll zu trennen bzw. einzusparen. Gleichzeitig müsste sich das System der Mülltrennung hierzulande drastisch vereinfachen. Denn wenn ich wirklich Müll zu 100% richtig trennen will
in Deutschland, dann ist das vom Zeitaufwand her einem Nebenjob nicht unähnlich: Die Batterien zurück in den Supermarkt - aber bitte keine Akkus, Altglas in separate Container, zu denen ich
womöglich mit dem Auto hinfahren muss, Pfandflaschen zurück in den Markt aber nicht jeder Markt nimmt alles an, also bleibe ich auf einigen Flaschen doch wieder sitzen, alte Medikamente zurück in
die Apotheke, Farben in den Recyclinghof (wieder das Auto) und wo man Leuchtstoffröhren oder Energiesparlampen entsorgen kann weiß auch keiner so Recht. Mülltrennung ist zu einer Wissenschaft
geworden - ich verstehe, dass viele Menschen da aussteigen und einfach wieder alles in eine Tonne kloppen, das muss einfacher werden.
Im Bereich Lebensmittelmüll könnte es eine gute Idee sein über eine Gesetzgebung ähnlich wie der in Frankreich nachzudenken - hier ist es Unternehmen verboten, Lebensmittel wegzuwerfen.
Das Fleisch aus der Massenzucht ist billiger als das aus ökologischer Erzeugung. Der Preis für Tomaten verschweigt, dass diese außerhalb der Saison aufwendig beheizt werden oder mit LKWs
aus der Ferne kommen. Und oft ist das vermeintlich Gute gar nicht gut: Jede siebte in Deutschland verkaufte Bio-Kartoffel kommt aus Ägypten oder Israel, fast jede dritte Bio-Paprika aus Israel.
Diese Angebotsstruktur verhindert Nachhaltigkeit. Dadurch kann es keinen ökologischen Lebensstil geben. Was wäre diesbezüglich notwendig: eine andere Preisgestaltung, politische
Einmischung....?
Die Umweltkosten für die Produktion von Lebensmitteln müssten eingepreist werden. Sprich: Wenn die Tomatenfarm das die lokalen Gewässer verschmutzt müsste die Farm für die
Beseitigung der Umweltschäden aufkommen und die Tomate entsprechend teurer werden. Das ist aber in der Praxis oft schwer nachzuweisen, zumal unsere Lebensmittel aus der ganzen Welt kommen. Wir
können Israel oder Ägypten nicht vorschreiben, wie sie ihre Gesetze zu gestalten haben. Eine Förderung der biologischen Landwirtschaft wäre schon mal ein guter Anfang. Bislang werden die
Agrarsubventionen innerhalb der EU nach Größe des Betriebs vergeben - nicht danach ob der Betrieb ökologisch nachhaltig wirtschaftet oder nicht. Hier könnte man ansetzen.
Eure Top-Tipps rund um Klimaschutz und Abfall?
- Fahrrad fahren (macht auch noch glücklich!)
- Nix Neues kaufen- grundsätzlich immer erstmal schauen ob es das irgendwo gebraucht gibt (Handy, Bücher, Kleidung, Elektrogeräte, Möbel etc.)
- Alte Sachen, die man nicht mehr braucht, verschenken - in vielen Städten gibt es mittlerweile Tauschläden, Umsonstläden oder Give-Boxen wo man aussortierte Spielsachen, Kleidung, Haushaltsgeräte und so weiter kostenfrei abgeben kann. Jemand anderes freut sich und muss nichts Neues kaufen.
Nicht denken, dass Recycling die Antwort auf unser Müllproblem ist. Müllvermeidung ist die Lösung, Recycling nur die oftmals schlechtere Alternative.
Fußnote:
1. Cradle to cradle – von der Wiege in die Wiege – orientiert sich dabei an der Natur. Denn biologische Kreisläufe lassen keinen Abfall zurück. In der Abfallwirtschaft spricht mensch deshalb vom Cradle-to-grave-Prinzip, das nichts anderes bedeutet, dass Produkte nach dem Ende ihrer Nutzung auf dem Müll landen. ↩