LOTTA #74
68 DIN-A-4-Seiten; € 3,50.-
Lotta, Am Förderturm 27, 46049 Oberhausen
www.lotta-magazin.de
Das LOTTA-Kollektiv erinnert an die hundertjährige Faschismus-Historie, die ihren Ursprung in Mailand hat (Namensgeber: Mussolini), wo sich 1919 faschistische Milizen gründeten, um gegen die
sozialistische ArbeiterInnenbewegung vorzugehen.
Auch in Deutschland wurden nationalistische Freikorps eingesetzt, die sich später in den Reihen der NS-Bewegung wiederfanden. Günter Born und Johannes Hartwig geben einen
Überblick über die unterschiedlichen Perspektiven der Faschismustheorien von ihren Anfängen bis heute.
Mit den faschistischen Milizen in Italien - den „Squadren“- und ihrer gewalttätigen Praxis beschäftigt sich Jens Renner.
Am Beispiel des Stahlhelm – Bund der Frontsoldaten zeigt Anke Hoffstadt die enge Verbindung der Soldatenverbände mit der extremen Rechten - eine Beziehung, die
100 Jahre alt ist.
In der radikalen Linken wurde der Begriff des Faschismus zum Teil inflationär und recht beliebig verwendet. Mathias Wörsching setzt sich mit der Geschichte des
Faschismusbegriffs zwischen Analyse- und Kampfbegriff auseinander.
Gesamteindruck:
Angesichts des europaweiten Erfolgs rechtspopulistischer oder -extremer Parteien und Bewegungen wie der AfD, der FPÖ, Rassemblement National (bis Juni 2018: Front National), Jobbik, Lega Nord...erlebt der Faschismus-Begriff derzeit eine Renaissance. Doch wann trifft der so viel genutzte Begriff überhaupt zu? Der Politikwissenschaftler und Historiker Karl Dietrich Bracher stellte 1976 fest, dass ihr wissenschaftlicher Wert höchst problematisch erscheinen muss und wandte sich damit gegen den inflationären Gebrauch des Faschismusbegriffs, der sich im Zuge der „westlichen Marxismusrenaissance” im Umfeld von 1968 etabliert hatte. In der Faschismusforschung stehen weiterhin die Fragen, was denn der Faschismus überhaupt sei und ob der Begriff Faschismus eine Berechtigung habe: Ist der Nationalsozialismus ein Faschismus und, wenn ja, bleibt die Singularität der von den Nationalsozialisten verübten Menschheitsverbrechen auch dann ersichtlich, wenn der NS unter den Gattungsbegriff Faschismus subsumiert wird? Fabian Kunow untersucht in seinem Diskussionbeitrag Parteien und PolitikerInnen der AfD nach der (Roger) Griffin-Definition, der die idealtypisch verstandene, faschistische Ideologie auf den Nationalismus reduzierte und Faschismus als „palingenetischen” (d.h. auf Wiedergeburt abzielenden) Ultranationalismus definierte. Aber es gibt eben auch andere Definitionen, nach denen Faschismus als Form eines spezifischen „politischen Verhaltens“, das durch Ideologie (in deren Zentrum wiederum der Nationalismus steht) geprägt sei, und in idealtypischen Stadien unterschiedliche Formen angenommen habe (nach Robert O. Paxton, Sven Reichhardt). Das Problem an dieser realtypischen Definition des Faschismus ist ihre zu enge Orientierung am italienischen Faschismus. Dadurch können andere Formen und Varianten des Faschismus nicht erfasst werden wie bspw. (christlich) fundamentalistisch-faschistische Bewegungen. Insofern ist es wichtig, sich in der Faschismus-Theorie nicht nur auf den historischen Ursprung zu fokussieren, sondern, dass es Faschismus auch in der Gegenwart gibt. Weltweit. Leider wird immer noch über Inhalte und (widersprüchliche) Deutungen debattiert, wobei idealtypische Definitionen naturgemäß immer nur bestimmte Aspekte eines Phänomens zum Vorschein kommen lassen und andere in den Hintergrund drängen. Wichtiger wäre es, die verschiedenen Deutungen miteinander zu kombinieren/ergänzen und die wechselseitigen Beziehungen zu erkennen.