Wer sich ernsthaft und ausgiebig mit täglichen politischen über- und regionalen Meldungen beschäftigt, wird sich das eine oder andere Mal gedacht haben, wo das nur noch alles enden soll?
Aber es gibt ja zum Glück auch royale und Promi-News, die exakt das Gegenstück sind zum Handelskrieg zwischen USA und China, zwischen Matteo Salvinis Showdown in Italien zum Einwanderungsstopp und hetzerische Attacken gegen Sea Watch 3-Kaptiänin Carola Rackete. Je schlimmer der Inhalt einer politischen Schlagzeile auch ist, findet mensch auch das Gegenteil davon. Der Mord an Walter Lübcke wurde von Teilen der extremen Rechte gefeiert. Da wo Hetze und Aufruf zum Mord die Schlagzeilen bestimmen, lassen sich auch ganz andere Kommentare finden. Zum Beispiel über und zu Lena Meyer-Landrut und ihr Äußeres: Zu dünn, zu sexy, zu lasziv, zu provokant...Wichtige Erkenntnis: Body Shaming und Imagepflege sind wesentliche Komponente, mit denen Abweichungen von der Norm sanktioniert werden. Und der Tod von Walter Lübcke, die Festnahme von Carola Rackete und die hängenden Brüste von Sängerin Tanerélle haben gemein, dass hatern und hatespeech mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird, weil Debatten oft von lauten, aggressiven Gruppen dominiert werden. Wer am lautesten schreit, wird auch gehört! Wie wäre es denn mal, mit offensivem Selbsthass als Inszenierung? Den Fokus weg vom Empfänger/der Empfängerin hin zum Adressaten, als du selbst? Eine derartige „Selbstbeleidigung“ hat die deutsche Komikerin Idil Baydar in ihrer Rolle als Jilet Ayşe – einer 18-jährigen Kreuzberger Türkin – künstlerisch auf den Punkt gebracht. Unter dem Motto „Wir sagen uns heute alles in die Fresse“, „gleich direkt drauf“, „jetzt können wir uns alles sagen, ich bin dabei“ karikiert sie in ‚Kanak Sprak‘ die Obszönität aller, die gerade gegen die angebliche Political-Correctness-Diktatur ihre persönlichen Ressentiments als „endlich mal Tacheles reden“ verkaufen. Baydar lenkt die Aufmerksamkeit auf die HassrednerInnen:
„Wenn ich zu dir ‚Fotze‘ sage – ja: Was sagt das über mich aus? Mal drüber nachdenken: Was sagt das eigentlich über mich aus, wenn ich dich so betitle? Was heißt das eigentlich? Wer bin ich? Ist mein Niveau höher?(...)Wer ist verantwortlich, wenn ich dich ‚Fotze‘ nenne, du oder ich? Du, weil du eine Fotze bist, oder ich, weil ich dich so bewerte?(...)Man hat das alles selbst in der Hand. So, wie ich dich sehe – habe ich selbst in der Hand.“
Okay, Hatespeecher könnten sich mal kräftig selbst in die Fresse hauen, aber zumindest wäre es sehr, sehr hilfreich, darüber nachzudenken, inwieweit Hassrede vor allem ein persönliches Risiko für
den-/diejenige*n, der/die sie von sich gibt, ist. Hate Speech gibt zuallererst Auskunft über den Rassismus, den Sexismus, den Nationalismus, das Ressentiment und also vor allem das Problem des
Absenders. Die auf Twitter aktive Linken-Politikerin Julia Schramm sammelte eingehende Hassnachrichten - „leg dir mal ein paar titten zu, du nutte“ und schlimmeres - in einem eigens
eingerichteten Blog und veröffentlichte sie Anfang letzten Jahres als Buch. Lena Meyer-Landrut hat mit einem Spiegel-Selfie die Beleidigungen auf den Spiegel geschrieben, ohne den Adressat*innen selbst eine
Bühne zu bieten. Und darüber kann mensch sich freuen, denn erst durch Widerstand und Umkehrung, dem „Zurücksprechen“ liegt es an uns und in unserer Hand, Gewalt zu ironisieren, zu entkräftigen.
Vor Mord – wie im Fall von Walter Lübcke – scheint das aber nicht zu helfen. Deshalb ist es an uns, hier etwas zu verändern und zu erkennen, dass Hass immer reale Konsequenzen hat.
Die Normverletzung und Grenzüberschreitungen dienen dazu, Aufmerksamkeit zu generieren. Damit tappen die Medien meist in eine Falle. Und trotz der radikalen Sprache der Hater*innen ist es uns
möglich, die Ursachen offensiver anzugehen. Wer – wenn nicht du – sollte den öffentlichen Raum verteidigen wissen, sich mit anderen zusammenzuschließen, zu organisieren und laut zu sein, gegen
diskriminierende, rassistische, sexistische Beleidigungen. Eine Gegenbewegung wie No Hate Speech Movement will Nutzer*innen ermuntern, zu kontern - und im Dialog mit den Hetzer*innen den Humor nicht zu verlieren. Und das ist doch
wichtig!