More than fashion
v. Tim Hackemack
Seiten: 432 Seiten, Hardcover; 36 €
ISBN: 978-3-947380-19-0
https://shop.hirnkost.de/
Tim hat bereits mit "Yesterdays kids" (in die Jahre gekommene) Punks fotografiert und in einem Bildband skizziert, was Punk überhaupt ist und was aus diesem Lebensgefühl wird, wenn Kinder und Verantwortung kommen.
Mit "More than a fashion" hat er ein weiteres Bildband zusammengestellt, in dem er junge wie junggebliebene (Alt-)Punks und ihre "Kutten" abgelichtet hat.
Zuallererst stellt Tim im Vorwort klar, dass es sich hierbei um kein Modebuch handelt. Und zumindest weiß er auch, dass auch in den ranzigsten, verfranzten Killernietenjacken Arschlöcher stecken
können, die ihr Hirn zugunsten von der Jacke als Fassade und Klischees aufgegeben haben. Nun wird die Kutte auch nicht speziell von der einen Klientel getragen. Und egal, ob sie Crusties, Punks
oder Riot Grrrls sind, Tim hat mit den Geschichten hinter den Kutten auch mehr oder weniger interessante Einblicke aus den einzelnen Biographien festgehalten, die - wie im Falle von
Fabsi von den MIMMIS oder Ingo (Wanne) von (Ab-)BOLZEN - schon Ausmaße eines Punkrock-Almanach haben. Klar, je länger punk dabei ist, ergeben sich auch die
interessantesten Geschichten. Nun hat Tim - fein säuberlich - die Kutten im Detail abgelichtet. Einige sind eher ausdruckslos: Jacke mit 08/15-Patch einer x-beliebigen Band, Schriftzüge mit
Edding und ein paar Buttons. Andere sind wahr Kunstwerke. Die von Mike zum Beispiel: Kunstlederjacke aus dem Kaufhaus, mit Kupferdachblech, Lederstücke und Fell bestückt. Tim hat
gleich insgesamt drei Seiten mit detailreichen Ausschnitte der Jacke abgelichtet. Auf insgesamt 12 Seiten werden seine 7 Jacken fotografiert.
Absolutes Highlight ist hier aber Mikes Ritterrüstung von 1992. "Rostfrei". Fünf bis sechs Wochen lang ist er damit als moderner Don Quichotte bis zu den Windmühlen von La Mancha gereist. Und genau diese Anekdoten macht dieses Bilderbuch, verknüpft mit persönlichen Geschichten zur Jacke, zu etwas besonders "wertvollem", im Sinne von Wertschätzung.
Gesamteindruck:
Eine Jacke ist erst einmal eine beliebige, unpersönliche Jacke. Zu etwas besonderem wird sie, wenn sie individuell gestaltet und verändert wird. Mit Nieten, Schriftzügen, Patches, Farbe
usw.
Dann wird aus einer beliebigen Jacke eine Kutte. Aber ist sie dann nicht immer noch ein Modestück? Beliebig vielleicht. Und zwar immer dann, wenn sie fix und fertig bei ebay oder bei Mailordern,
im Laden gekauft wird. Dann hat eine Jacke keinen individuellen Wert. Den bekommt eine Jacke erst, wenn sie "kunstvoll" und in liebevoller Kleinarbeit "verschönert" wird. Meine erste Kutte war
eine Lederjacke, die ich 1986 im Motorradladen in Wildeshausen gekauft habe. Eine dicke, schwere Jacke, die ich - weil sie neu war - auf einer Kuhwiese von Kühen niedertrampeln ließ und mit dem
Hammer aus Papis (hallo Horst!) Kellerwerkstatt bearbeitet habe, um das Leder weich zu klopfen (wohl eher hämmern). Wie damals üblich, kamen Nieten, Aufkleber, Aufnäher und mit weißem Eddingstift
verzierte Schriften und Schriftzüge hinzu. Ein paar Buttons und Tigerkunstfell auf die Innenseite geklebt. Die Jacke habe ich zu allen Jahreszeiten getragen. Also auch im Sommer, wenn's heiß war.
Aber das ist eine ganz andere, eigen Geschichte: Die Geschichte zur eigenen Jacke. Vielleicht auch eine Intention von Tim: Anzuregen, die Jacken und überhaupt Kleidung wieder mehr nachhaltig zu
machen und individuell! MORE THAN A FASHION eben!
P.S.: Heute trage ich kein Leder mehr, sondern aufgrund meiner veganen Lebensweise eine Stoffjacke...die ebenfalls ganz schön bunt ist.