„Frauen sollten sich nicht wie Schlampen kleiden, um nicht schikaniert zu werden.“
Mit diesen Worten hat ein kanadischer Polizist 2011 für Empörung gesorgt, weil er Frauen geraten hat, sich nicht wie Schlampen anzuziehen, wenn sie nicht Opfer sexueller Gewalt werden wollten.
Dass das ein Mythos ist, ist statistisch längst belegt. Der Polizist hatte sich später zwar entschuldigt. Doch die Worte traten eine Diskussion los, die fast in Vergessenheit geraten war.
Aus Protest und aus Solidarität mit den Betroffenen haben sich seit 2011 weltweit Frauen* zusammengefunden, um an einem sogenannten SlutWalk (Gang der Schlampen) gegen sexuelle Belästigung von
Frauen in aufreizender Kleidung zu protestieren. Der SlutWalk hat sich auch zu einer weltweiten Bewegung entwickelt, die daran arbeitet, Denkweisen und Stereotypen von Opferschuld und
slut-shaming infrage zu stellen.
Mittlerweile lahmt die weltweite Bewegung. Die Homepage in Toronto ist nicht mehr erreichbar, die Kampagne ist auf den sozialen Netzwerken umgezogen1. Und die 1. offizielle Slut Walk-Seite in Deutschland wird seit 2012, die Facebook-Präsenz seit 2014 nicht mehr aktualisiert. Auf der Seite ist nachzulesen,
was die Aktivist*innen fordern:
„Wir haben es satt in einem System zu leben, das sexualisierte Übergriffe, Gewalt und Belästigungen verharmlost, legitimiert und den Betroffenen die Schuld gibt. Wir stellen uns gegen andere
Unterdrückungsmechanismen wie Rassismus, Homo- und Trans* und Queerphobie, weil diese ebenfalls Ursachen sexualisierter Gewalt darstellen.“
Anne Wizorek war eine der Organisatorin des Berliner „Schlampenmarsches“ 2011. Für sie war es eine politische Demo, der es wichtig war, den Schlampen-Begriff so zu sehen, dass „es eher
symbolisch steht für alle Mechanismen, die es innerhalb der Gesellschaft halt noch gibt, um sexuelle Selbstbestimmung zu beschneiden.“2
Die Demos/Protestmärsche waren 2011 deutschlandweit in Berlin, Hamburg, München, Frankfurt und Stuttgart gut besucht. An den Schlampenmärschen waren aber nicht nur Frauen* in High Heels,
Netzstrumpfhosen oder mit nackten Oberkörpern unterwegs, sondern auch all gender. Kritik kommt trotzdem. Auch von Feministinnen. Wenige Wochen nach den ersten Demonstrationen im
nordamerikanischen Raum im letzten Jahr wurde feministische Kritik an der Form und Zusammensetzung der Slutwalks laut, die bis heute in großen Teilen ungehört zu bleiben scheint. Kritisiert
wurden nicht nur der Name und die damit einhergehende Aneignungs- und Umdeutungspolitik, die mit den Begriffen „Slut“ und „Schlampe“ zunächst vollzogen werden sollte, sondern auch der Slutwalk
selbst, der in Nordamerika und Westeuropa hauptsächlich von weißen, gut situierten, in der Mehrzahl heterosexuell lebenden Frauen initiiert und getragen wurde. Neben der Kritik, der Begriff könne
gar nicht die vielfältigen Formen sprachlicher Erniedrigung von unterschiedlich sozial positionierten Frauen reflektieren, ging mit der Aneignung und gewollten Aufwertung des Begriffes durch die
Organisator*innen und Aktivist*innen in der Konsequenz eine Abwertung und Entsolidarisierung von all jenen einher, die sich nicht durch einen entsprechenden Habitus oder den Ruf nach sexueller
Befreiung von diesem Label mindestens temporär freisprechen können.
In einem Artikel in der Zeitschrift „analyse & kritik“ heißt es hierzu:
„Offenbar ist es vielen Veranstalter_innen der Slutwalks sowie Demonstrationsteilnehmer_innen wichtiger, nicht als ‚Opfer‘ zu gelten, deren Handlungsfähigkeit und Bewegungsfreiheit durch
patriarchale Strukturen eingeschränkt wird, denn einen möglichst breit aufgestellten und nachhaltigen Protest zu ermöglichen. Die Sichtbarmachung als Betroffene von Sexismus, die solch eine
Demonstration zwangsweise mit sich bringt, reicht schon, um antifeministische Klischees der ewig nörgelnden Emanze zu reproduzieren und sich von Menschen abzugrenzen, die nicht Handlungsfreiheit
und Schutz gegeneinander ausspielen wollen.“3
Zumindest in München sind Aktivist*innen noch sehr aktiv und haben im Juli 2019 einen Slutwalk organisiert und durchgeführt. Bezogen auf ihre Handlungssätze verstehen die Aktivist*innen ihr
Engagement als politische Arbeit.
„Wir wollen ein gesellschaftliches Umdenken herbeiführen und Veränderungsprozesse in Gang setzen. Dazu gehört, die Öffentlichkeit über Fakten zu sexualisierter Gewalt aufzuklären. Unsere
vorrangigen Ziele sind die Abschaffung von Vergewaltigungsmythen sowie die Bekämpfung sexualisierter Gewalt und sexistischer Strukturen.“4
Fazit:
Durch den Slutwalk sollen die sexistischen Praxen skandalisiert werden, die sich aus einem System der Verwobenheit von Sexismus, Rassismus, Klassismus, Homo-, Trans*- und Queerphobie etc. speisen. Jede*r Teilnehmer*in kann und soll selbst entscheiden, wie der Protest zum Ausdruck gebracht werden kann, das impliziert auch die Wahl der Kleidung. Es muss also nicht der typische „Schlampenlook“ sein. Daher ist letztendlich jede Kleidung auf dem Walk als Performance zu betrachten, ob nun Minirock oder Baggypants, und: Es gibt keinen Dresscode! Die Aneignung des Wortes "Slut" und die Umdeutung sollen die sexistischen Praxen skandalisiert werden, die sich aus einem System der Verwobenheit von Sexismus, Rassismus, Klassismus, Homo-, Trans*- und Queerphobie etc. speisen.
Die Aneignung der „Bitch“ ist dabei als Rückeroberung von Deutungsmacht über den eigenen weiblichen Körper im Kontext patriarchaler Kategorisierungsmacht lesbar. Im Gegensatz zur Darstellung in den von Männern geschriebenen bzw. vorgetragenen Songtexten begreifen Rapperinnen, die die Bezeichnung bitch auf sich wie auch auf andere Frauen anwenden, Sexualität in erster Linie als Ausdruck ihrer Selbstbestimmung und Sinnlichkeit. Durch die positive Umdeutung des ursprünglich negativ belegten Worts wird die patriarchalisch-männliche Kategorisierungsmacht untergraben.5
Fußnoten:
1. https://www.facebook.com/SlutWalkToronto/ ↩
2. Zitiert nach: https://www.deutschlandfunkkultur.de/nein-heisst-nein-wer-das-nicht-verstanden-hat-ist-halt-ein.954.de.html?dram:article_id=146516 ↩
3. ak 576 vom 19.10.2012 ↩
4. http://slutwalk-muenchen.blogspot.com/p/unser-manifest.html ↩
5. Vgl. Kimiko Leibnitz, Die bitch als ambivalentes Weiblichkeitskonzept im HipHop, in: Karin Bock/Stefan Meier/Gunter Süss (Hrsg.), HipHop Meets Academia. Globale Spuren eines lokalen Kulturphänomens, Bielefeld 2007, S. 157–169. ↩