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AIB #123

AIB #123
68 DIN-A-4 Seiten; € 3,50.-
AIB, Gneisenaustr. 2a, 10961 Berlin
https://www.antifainfoblatt.de/
Der Schwerpunkt thematisiert ostdeutsche Neonazi-Strukturen vor und nach dem sogenannten Mauerfall. Wer die Entwicklung der ostdeutschen Neonazi-Szene betrachtet, kommt um die Erkenntnis nicht herum, dass sich die Neubaugebiete der DDR wie Potsdam-Waldstadt, Jena-Lobeda oder Magdeburg-Olvenstedt nach der Wende rasch zu Zentren sozialräumlicher neonazistischer Dominanz entwickelten.

Nicht selten waren die rechten Jugendclubs, die aus dem "Aktionsprogramm gegen Gewalt" (AgAG) gefördert wurden, in den Plattenbaugebieten am Rande ostdeutscher Oberzentren angesiedelt. 
Dabei galt die Entnazifizierung in der Sowjetischen Besatzungszone vor über 70 Jahren offiziell als beendet. Zu den neueren Mythen zählt die scheinbare Gewissheit, dass die DDR alle Nazis in ihrem Land konsequent aufgespürt und einer gerechten Strafe zugeführt hatte. Der staatlich verordnete Antifaschismus war auch Kalkül – diente der SED zur Machtsicherung und für die Rechtfertigung zahlreicher staatlicher Entscheidungen, bspw. zum Bau der Mauer als "antifaschistischer Schutzwall".
Bereits vor dem Mauerfall und besonders in den frühen 1980er Jahren Neonazis auch optisch als Skinheads in Erscheinung. Diese Phase war gekennzeichnet durch Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Richtungen in der jugendkulturellen Szene. Der Inlandsgeheimdienst Staatssicherheit (Stasi) ignorierte die Naziszene der DDR lange Zeit weitgehend. Verantwortlich war dafür im Wesentlichen, dass es unmöglich sein durfte, dass sich aus dem Inneren eines sozialistischen Staates eine rechtsextreme Bewegung formieren konnte.
Das Innenministerium gründete eine "Arbeitsgruppe Skinhead" und siedelte sie bei der Kriminalpolizei an. Als 1989 die Mauer fiel, strömten auch Aktivisten westdeutscher Rechtsparteien in die neuen Bundesländer. Als einer der ersten West-Neonazis erkennt Michael Kühnen die Bedeutung der neuen Bundesländer. Um im Osten Fuß fassen zu können, verfasst er im Januar 1990 den "Arbeitsplan Ost", in dem er detailliert beschreibt, wie der Aufbau militanter extrem rechter Strukturen in der DDR vonstatten gehen sollte. Nur kurze Zeit später, am 16. März 1990, gründet Kühnen in Westberlin die "DDR Sektion" der von ihm am 5. Mai 1989 in Bremen ins Leben gerufenen "Deutschen Alternative" (DA). Bereits Ende 1989 hatten sich in Dresden, Cottbus, Berlin und Rostock Ortsverbände der DA konstituiert.

Katharina König-Preuss skizziert in "Klima der Angst" die Entwicklung der extrem rechten Szene in Thüringen. Die alltäglichen gewalttätigen Über- und Angriffe auf nichtrechte Jugendliche und junge Erwachsene führten zu einem staatliche geschaffenen rechtsfreien Raum für Neonazis, indem die Bundesregierung auf die Gewalt reagierte und ihnen leerstehende Häuser und Räume gab. Hier entstehen rechte Jungendclubs und Rückzugsorte nach Angriffen. Hier entstanden und wuchsen aber auch neonazistische Strukturen. Die politisch Verantwortlichen verdrängen, verharmlosen seitdem jegliche extrem rechte Taten, bis zur Ermittlung der NSU-Morde. Schlimmer noch, wird antifaschistische Gegenwehr diskreditiert und sanktioniert.
Basierend auf das Buch "Rechtsrock. Aufstieg und Wandel neonazistischer Jugendkultur am Beispiel Brandenburgs" wird im Artikel das "Skrewdriver"-Konzert von 1991 in Cottbus thematisiert und gleichzeitig skizziert, inwiefern dieses zum zu einem international wirksamen Mythos der Rechtsrockszene wurde. Skrewdriver reisen von einem Konzert in Saarbrücken nach Cottbus an und werden im Jugendklub "Sandow" begrüßt, ein über Jahre fungierender Szenetreffpunkt und Schauplatz zahlreicher kleinerer Neonazikonzerte. Am Abend vor dem Konzert ziehen britische und deutsche Neonazis betrunken und mit Knüppeln bewaffnet durch die Stadt. Am alternativen Jugendklub "Gladhouse", der wenige Tage zuvor schon einmal attackiert wurde, randalieren die Rechten und sprühen mit Tränengas. Ein langhaariger 20-jähriger Deutscher wird gegen 21 Uhr im Bereich der Stadtpromenade durch Messerstiche in den Rücken aus der Gruppe der Neonazis lebensgefährlich verletzt. Acht Personen, sieben Briten und ein Deutscher, werden verhaftet, darunter auch Ian Stuart Donaldson und seine Freundin Diane C. Die beiden letztgenannten werden einige Stunden später wegen fehlenden Tatverdachts freigelassen. Das Konzert findet trotzdem statt. In der Lokalpresse ist davon nichts zu lesen. Ian Stuart Donaldson nimmt zurück in Großbritannien umgehend eine Solidaritätsplatte für seine Bandkollegen auf.  Diese Ereignisse inspirieren ostdeutsche Neoanzis, selbst musikalisch aktiv zu werden. In Cottbus gründete sich 1992 "Frontalkraft" – bis heute eine der wichtigsten aktiven Bands bundesweit.
Vor über drei Jahrzehnten gründeten sich die ersten unabhängigen Antifa-Gruppen in der DDR. Auslöser war der Angriff und Überfall von Neonazis auf ein Punk-Konzert die Berliner Zionskirche. Somit entstand in der ausgehenden DDR eine eigenständige antifaschistische Bewegung, deren spezifisches Profil allerdings nach 1989/90 schrittweise verblasste.

Gesamteindruck:

Heute sind Allianzen aus Blood & Honour und Rechtsrock-Events vornehmlich in Ostdeutschland sichtbar. RechtsRock-Konzerte in Themar, wie auch das "Schild & Schwert-Festival" haben einen großen Wirkungsgrad, mit Neonazis aus Ländern wie Polen und Spanien. Die Konzerte bewirken zudem eine Machtdemonstration nach außen. Konspirative Veranstaltungen sprechen dagegen eine eher geschlossene Gemeinschaft an, die meint, damit etwa ihre Anonymität wahren zu können. Interne Vernetzung, geheime Geschäfte und Absprachen sind ebenfalls in solch einem Rahmen sicherer und effektiver, als auf den großen, öffentlich beworbenen Events. Offiziell beworbene oder konspirative Veranstaltungen und Treffen offenbaren extrem rechte Allianzen und Netzwerke mit B&H/C18-Strukturen, die sich aufgrund mangelnder Aktivitäten und Maßnahmen der Behörden auf die Struktur, wenig beeindruckt zeigen oder sich gar gestärkt fühlen. Die VS-Behörden glauben, durch das V-Leute-System die Struktur kontrollieren zu können, verhindert aber Strafverfolgung und -Verschleierung, wie im Falle des Angriffs auf zwei Journalisten Ende April 2018 vor dem Grundstück des NPD-Funktionärs Thorsten Heise in Fettenrode, der Fragen nach einer behördlichen Zusammenarbeit aufwirft.