Frauen* sichtbar und erlebbar in ihrem (kreativen) Schaffen zu machen, hat enorm viel mit Empowerment zu tun – es schafft Vorbilder, zeigt, was möglich ist, verändert unsere Wahrnehmung von
Normalität und Rollenbildern.
Ich behaupte, dass Musik den Teilnehmer*innen eine Reihe von wichtigen räumlichen, emotionalen und klanglichen Ressourcen bietet, um radikale politische Imaginationen, Identitäten, Gemeinschaften
und Lebensabläufe ins Leben zu rufen. Im Kontext einer neoliberalen postfeministischen Konsumgesellschaft versucht die Schaffung einer feministischen Musik- (Sub-)Kultur, antifeministische
Tendenzen und der vorHERRschenden Regulierung von Geschlecht und sexueller Vielfalt zu widerstehen.
Musik als kollektives soziales Handeln verstehen
Ferner geht es darum, wie und warum sich Frauen* mit Musik und Popfeminismus beschäftigen, welche positiven und welche weniger positiven Erfahrungen sie machen und wie sie Dinge wirklich verändern können. Nach wie vor besteht auf allen Ebenen eine geschlechtsspezifische Kluft – darin besteht kein Zweifel. Die Gleichstellung der Geschlechter ist ein grundlegendes Menschenrecht. Doch in der gegenwärtigen Situation unserer Gesellschaften werden Frauen* nach wie vor ungerecht behandelt, sehen sich mehr Barrieren gegenüber als ihre männlichen* Kollegen, sind bestimmten Formen von Gewalt ausgesetzt und werden in ihrem privaten, öffentlichen und beruflichen Leben diskriminiert. Sie haben tendenziell niedrigere Gehälter, sind in Führungspositionen unterrepräsentiert und erfahren Mobbing und Belästigung am Arbeitsplatz. Auch in den sogenannten Subkulturen sind Formen von Sexismus und Ausgrenzung sichtbar.
- Wie kann ein wertschätzender Umgang mit sexueller Vielfalt in der Punk- und HC-Community erreicht werden?
- Wie erreicht frau* es, Vorurteile aktiv anzugehen und die Eigenwahrnehmung zu stärken? Zunächst gilt es also darum, welches Bild du von dir hast. Welche Teilhabe du in Entscheidungsprozessen hast.
- Wie reagierst du auf Zuschreibungen, Ausgrenzung und Diskriminierung?
Es gibt auf jeden Fall viel zu tun. Die geschlechtsspezifische Ungleichheit ist ein globales Problem. Dennoch gibt es Lichtblicke, an denen sich andere orientieren können.
Seit etwa 20 Jahren hält der Feminismus öffentlich Einzug in die männerdominierte Popkultur. Der (pop-)feministische Blick möchte kulturelle Erzeugnisse und Alltagspraktiken, die vor allem im
Zuge der gesellschaftlichen Modernisierung als Massenkultur Verbreitung gefunden haben, kritisch diskutieren und umdeuten. Kulturelle Erzeugnisse von Frauen, wie z. B. Musik, Filme oder
Literatur, werden in einen feministischen Kontext übertragen, nachdem sie zuvor meist unbeachtet geblieben waren, und erhalten so eine subversive Umdeutung. Heute beanspruchen Frauen* lautstark
ihren Platz im (sub)kulturellen Feld. Bereits die Riot-Grrrl-Bewegung wollte Anfang der 1990er Jahre unabhängig sein von der männlich und patriarchal geprägten Musikindustrie. Junge Frauen in
Olympia (USA) gründeten Punk-Bands, Labels und Fanzines und wollten eigene ökonomische Strukturen schaffen.
Die Bewegung kam nach Europa und auch hier schilderten die Riot-Feministinnen in ihren Songtexten ihre Wut über sexuellen Missbrauch, Schönheitsideale und hegemoniale
Gesellschaftsstrukturen.
Daraus folgten ab 2000 Ladyfeste, selbst organisierte Non-profit-Events; gestaltet von und für Frauen, um sich selbst in Szene zu setzen und zu feiern. Beiträge und Auftritte von Bands,
Rednerinnen, Autorinnen, Künstlerinnen und anderen kreativ, kulturell und politisch engagierten Frauen werden präsentiert und zelebriert. Durch die Selbstermächtigung schafften sich hier und in
anderen Bereichen Frauen* einen Platz in der Popkultur.
In einer patriarchalen und kapitalistischen Gesellschaft sollen klassische (Geschlechter-)Stereotype entlarvt und dekonstruiert, überzeichnet und entkräftet werden. Daneben werden alternative
(popkulturelle) Rollenbilder geschaffen. Doch diese neuen Rollenbilder können nicht in den Alltag integriert werden und sich positiv entfalten, wenn das Ziel immer noch Ausbeutung ist, ob
ökonomisch oder privat. Eine feministische Kritik muss daher immer einhergehen mit einer Kritik am Kapitalismus, der es beharrlich in Kauf nimmt, Wohlstand für wenige auf Kosten vieler zu
erlangen.
Wenn mensch erst einmal die Lupe nimmt, findet im popkulturellen Bereich viele tolle Frauen* und Künstlerinnen. Chicks On Speed, Peaches oder Gossip zum Beispiel, die sich aus der feministischen Riot-Grrrl-Szene in den Popbetrieb „hochgearbeitet haben“. Taylor Swift oder Beyoncé, die eher den umgekehrten Weg gegangen sind: Die erst Popstars geworden sind und sich dann zum Feminismus bekannt haben (wobei das auch diskursiv betrachtet werden sollte: Nehmen die sich das Label jetzt nur zu Vermarktung oder ist das eine Attitüde, die von Herzen kommt?) Popfeminismus will beides: Einerseits die feministische Kritik am Pop und das andere sind die feministischen Setzungen innerhalb von Pop. Das funktioniert in der Regel nach kapitalistischen Verwertungslogiken, ein Spannungsverhältnis, mit dem sich Pop allgemein auseinandersetzen muss und das ist dann eher ein Popproblem und nicht unbedingt ein Feminismusproblem.
2016 wurde mit ‚Play Gender‘ ein Buch im Ventil
Verlag herausgegeben, das aktivistische, (queer-)feministische Ansätze und Interventionen im popkulturellen und im politischen Feld sowie Beiträge zum Älterwerden im Pop, zu Critical Whiteness,
Sexismus in der radikalen Linken und Gender in der Clubkultur vorstellt.
Im Fokus steht nicht nur die Frage, was Generationen dabei verbindet, sondern auch, ob und wie Interventionen im Feld Feminismus und Gender im deutschsprachigen Raum in den letzten Jahren etwas
verändert haben. Darüber reflektieren Künstler_innen, Kulturschaffende und linke Aktivist_innen, und auch darüber, wie sich die Auseinandersetzung mit Geschlecht im Alltag konkret auf ihre Arbeit
auswirkt und welche Utopien sie verfolgen.
Popfeminismus und Frauenkampf
In den 90er und 00er Jahren schien der sogenannte Popfeminismus die verführerische Geheimwaffe, um die Geschlechterverhältnisse im kapitalistischen Realismus zu sezieren. Durch die lustvolle
Analyse medial vermittelter Genderstereotype im pop- bzw. subkulturellen Feld wurden vermeintlich inexistente Machtstrukturen offen gelegt – und Feminismus wurde, für einige wenige Eingeweihte,
wieder hip.
Bekannte Frauen aus der Popkultur bekennen sich zum Feminismus, sie feiern ihre Identität als Frau und vermitteln ein Bild der Stärke.
Doch mittlerweile ist das eingetreten, was nach jahrzehntelanger Diskreditierung dieser sozialen Bewegung niemand für möglich gehalten hatte: Feminismus ist so omnipräsent und gilt dabei so
offensiv als Ausweis einer progressiven Gesinnung, dass einige bereits von ihrem Ende sprechen.
Es macht Eindruck, wenn Frauen wie Beyoncé, Lady Gaga oder Rihanna ein positives und kämpferisches Frauenbild vermitteln, welches selbstbestimmt ist. Sie können damit
für viele ein erster Berührungspunkt mit frauenkämpferischen Positionen sein, die in ihrem Alltag mit sexistischen oder patriarchalen Haltungen und Handlungen konfrontiert sind. Der Popfeminismus
bringt klar zum Ausdruck, dass das so nicht läuft, und stellt dem eine eigene Position entgegen.
Der Popfeminismus hat etwas Irritierendes an sich. Die Gleichzeitigkeit von Pop und Frauenkampf wirkt nicht nur widersprüchlich, sie ist es. Sinnbildlich dafür steht das abgedruckte Bild von
Rihanna, welches sie online publizierte. Es zeigt sie bei einer der „Women's March“ Demonstrationen1 in New York nach der
Amtseinführung von Donald Trump. Sie posiert in einem pinken Tutu-ähnlichem Pullover mit der Aufschrift „Meine Vagina greift zurück“ über den Schildern, die bei der Demo hochgehalten
wurden, und kommentiert dazu „So stolz, eine Frau zu sein!“.
«In der kapitalistischen Gesellschaft müssen die patriarchalen Geschlechterstereotypen aufgezeigt und entlarvt werden.»
Der popfeministische Blick möchte dabei kulturelle und geschlechterspezifische Rollen kritisch diskutieren und umdeuten. Zudem wird die starke Frau in den Vordergrund gesetzt und die Stimme gegen
sexistische Deutungen von Geschlechterrollen erhoben. In den 1990er-Jahren gab es beispielsweise die Bewegung der Riot Grrrls, welche als Antwort auf die männerdominierte amerikanische Musikszene
entstand. Heute besprechen Modemagazine von Gratiszeitungen diese Bewegung und dokumentieren ihre Zielsetzung: „Grrrl zielt darauf ab, die ungezogenen, selbstsicheren und neugierigen
Zehnjährigen wieder in uns zu erwecken, die wir waren, bevor uns die Gesellschaft klarmachte, dass es Zeit sei, nicht mehr laut zu sein und Jungs zu spielen, sondern sich darauf zu konzentrieren,
ein Girl zu werden, das heißt eine anständige Lady, die die Jungs später mögen würden.“
Die Popfeministinnen von heute haben dabei wohl eine markant höhere Reichweite als die Riot Grrrls, wenn sie ihre Stimme erheben und fordern, als Frauen ernst genommen zu
werden. Das hat nicht zuletzt auch damit zu tun, dass der Popfeminismus zu einem großen Teil digital stattfindet. Rihanna's Bild aus New York wurde mehr als eine Million Mal auf Instagram
geliked, es gibt tausende Kommentare dazu. Es ist wiederum eine widersprüchliche Angelegenheit. Natürlich ist es eine gute Sache, dass so viele sahen, dass ein Demonstrationsbesuch gut ist.
Natürlich ist es keine gute Sache, wenn diese Feststellung nur digital stattfindet und nicht durch eine entsprechende Praxis begleitet wird. Gerade die „Women's March“ Demonstrationen zeigen,
dass Mobilisierungen auf der Straße um ein Vielfaches wichtiger sind als ein paar Klicks im Internet.
Es ist gut, dass derartige Positionsbezüge von Millionen von jungen Frauen wahrgenommen werden. In der kapitalistischen Gesellschaft müssen die patriarchalen Geschlechterstereotypen aufgezeigt
und entlarvt werden. Aber es bleibt ein schaler Nachgeschmack, weil der Popfeminismus oft an dieser Oberfläche stecken bleibt. Neue, alternative Rollenbilder reichen nicht, wenn die
Geschlechterverhältnisse in der Gesellschaft immer noch durch Ausbeutung bestimmt sind. Eine frauenkämpferische Kritik muss einhergehen mit einer Kritik am Kapitalismus, welche ebendiese
Ausbeutung der Frau nährt.
Ein zweiter notwendiger Kritikpunkt ist, dass der Popfeminismus als Teil der Popkultur immer zugleich Objekt der kapitalistischen Verwertung ist. Wenn Feminismus Trend ist, dann soll Feminismus
verkauft werden. Die großen Modehäuser überschlagen sich im Eifer, Kollektionen von Pullovern und T-Shirts auf den Markt zu bringen, die mit Frauenpower-Sprüchen garniert sind. Zwei Fliegen
werden mit einer Klappe geschlagen: Mensch macht Profit mit dieser Bewegung und integriert und verwässert sie gleichzeitig dergestalt, dass von den subversiven Elementen wenig übrigbleibt.
Ähnlich wie beim bürgerlichen Feminismus, der danach trachtet, die Managementetagen mit mehr Frauen zu besetzen, aber wenig von antikapitalistischer Politik hält, ist es wichtig, die
verschiedenen Strömungen im Popfeminismus auf ihren Inhalt hin zu untersuchen. Es gibt zweifelsohne darin subversive Ansätze, die mensch explizit stärken kann, wie auch solche, die wenig mit dem
Frauenkampf zu tun haben.
Vernetzen, Verbünden, Mitstreiterinnen finden
In verschiedenen Musikszenen wird Männlichkeit zu weiten Teilen in einer Form konstruiert, inszeniert und kultiviert, die eigentlich niemandem guttut, auch den Männern selbst nicht; etwa als
Tough-Guy-Attitüde im Hardcore, in Form martialischer und archaischer Männerbünde im Metal oder Mackertum und unverhohlener Frauenabwertung im Hip Hop – toxische Männlichkeit2 soweit das Auge sieht. ‚böse und
gemein‘ ist ein queer-feministisches Konzertkollektiv aus Dresden, die genau dieses Problem erkannt haben und in einem Zusammenschluss Alternativen schaffen und selbst aktiv werden, Freiräume
gestalten, in denen alle so sein können, wie jemensch sein will und sein möchte – außerhalb jeder Norm.
Das Internet markiert durch starke Interaktion und einen breiten gesellschaftlichen Zugang eine neue, virtuelle Öffentlichkeit. In ihrem neuen und wandelbaren Auftritt bietet die Netzwelt
wortwörtlich Raum für die Bildung subalterner oder alternativer Öffentlichkeiten und der Verbreitung feministischer Diskurse innerhalb derselben. Ähnlich des Konzeptes der Alternativmedien im
Printbereich, bildet der Zusammenschluss neuer Netzwerke demnach auch in der neuen Öffentlichkeit „Internet“ neue, oppositionell arbeitende Gegenkulturen zum patriarchalen Diskurs und beteiligt
sich, anders als im patriarchalen Offline-System, maßgeblich an der Strukturierung der virtuellen Konstrukte.
Die Autor*innen auf dem Blog „Mädchenmannschaft“ schreiben über Frauen in
Männerberufen, Familienpolitik und weibliche Popkultur.
2008 erhielt die Mädchenmannschaft den Deutsche Welle Blog Award als bestes deutschsprachiges Weblog. Dort würden „Fragen zur Gleichberechtigung der Geschlechter und auch Gender-Stereotypen in
einer Weise besprochen, die mensch sonst in den Medien selten findet“, befand die Jury. 2009 war die Mädchenmannschaft für den Grimme Online Award in der Kategorie „Information“ und für den
Alternativen Medienpreis nominiert. Für die Tageszeitung taz ist das bekannteste und größte deutsche feministische Weblog ein „Meinungsführer“ im Bereich Frauenpolitik und Feminismus. 2010 wurde
auf Basis des seit 2007 bestehenden feministischen Gemeinschaftsblogs „Maedchenmannschaft.net“ gegründet, um die Arbeit am Blog selbst und die politischen Aktivitäten seiner Autor*innen rechtlich
und ideell zu unterstützen.
Virtuelle Gemeinschaften oder Communities ähneln in ihrer Natur Zusammenschlüssen in der Offline-Welt und erschließen sich, ähnlich der Identität, aus gemeinsamen historischen und kommunikativen
Hintergründen. Der Popfeminismus wird also gleichermaßen in der virtuellen wie in der Offline_Welt repräsentiert. Kampagnen wie „#aufschrei“ stehen symbolisch für die soziale Entwicklung einer
neuen feministischen Bewegung in der virtuellen Öffentlichkeit, aber auch für die Geschwindigkeit der Reaktions- und Diskussionsfortschritte in sozialen Medien.
Fazit:
Ein sozialer Wandel in der Gesellschaft erfordert Anpassung. Anpassung, allen voran an die digitale Gesellschaft des 21. Jahrhunderts, erfährt der Feminismus seit der Einführung des Internets.
Die wichtigste Idee bleibt die des feministischen Kollektivs: Nur gemeinsam kann eine soziale Veränderung erreicht werden, nur als Gemeinschaft kann der Feminismus als Kritik am Patriarchat
Akzeptanz erhalten und seinerseits Strukturen gesellschaftlich durchsetzen. Protest und Aktion im Spannungsfeld von Selbstbestimmung, wobei diese Subkultur eine kritische Verarbeitung
hierarchischer und geschlechtsbezogener Dualismen und Stereotypen ermöglicht und feministische Theorien weiterverbreitet werden. Die Grenzen zwischen dem, was als „Underground“ und „Mainstream“
wahrgenommen wird, sind in queeren feministischen Welten erheblich schwammig. Dies ist ein weiterer Grund für die Verwendung des Begriffs (Sub-) Kultur anstelle von Subkultur.
Queer-feministische (sub)kulturelle Partizipation ist keine bloße Ablehnung dominanter Mainstream-Repräsentationen und Aufwertung authentischer Underground-Texte, sondern umfasst eine kritische
Infragestellung der sozialen (Re-) Produktion von Geschlechts- und Sexualnormen in der (Sub) Kultur. In der zeitgenössischen Kultur haben die Fortschritte der Medien- und
Kommunikationstechnologien es marginalisierten Gruppen ermöglicht, sich die Mittel zu sichern, um selbstbewusst kulturelle Formen – Musik, Film, Video, Literatur und visuelle Kunst – zu schaffen,
Bedeutungen zu konstruieren, umzugestalten und zu kommunizieren, die mit ihrer Rasse und ethnischen Zugehörigkeit verbunden sind, Geschlecht, sexuelle und nationale Identität.
Fußnoten:
1. Der Women’s March on Washington war ein Protestmarsch für Frauen- und Menschenrechte in Washington, D.C. am 21. Januar 2017, dem ersten Tag nach der Amtseinführung von Donald Trump. Neben dem Marsch in Washington fanden Solidaritätsmärsche (Sister Marches) in anderen US-amerikanischen Großstädten und in zahlreichen anderen Ländern statt. Charakteristisch waren die von den Demonstrierenden getragenen „pussy hats“. ↩
2. 'Toxische Männlichkeit' beschreibt eine in unserer Gesellschaft vorherrschende Vorstellung von Männlichkeit und umfasst das Verhalten, das Selbstbild und Beziehungskonzepte von Männern sowie kollektive männliche Strukturen. ↩