A GLOBAL MESS ist die wahrgewordene Schnapsidee zweier Freunde, die nach einem Knochenfabrik-Konzert beschlossen haben, eine Dokumentation über Subkulturen in Südostasien zu drehen. Für gewöhnlich werden Vorhaben wie diese nicht in die Tat umgesetzt, doch die Journalistin Diana Ringelsiep und der Musikmanager Felix Bundschuh waren von ihrem Plan nicht mehr abzubringen und kündigten ihre Jobs.
Bereits wenige Monate später gingen sie am anderen Ende der Welt der Frage nach, welches Lebensgefühl junge Menschen aus der Punkrock-, Graffiti- oder Aktivismus-Szene weltweit miteinander
verbindet. Nach zahlreichen Underground-Konzerten – an teils geheimen Orten – sowie etlichen Interviews mit Bands, Streetartists und Riot Grrrls sind sie schließlich mit rund 150 Stunden
Filmmaterial nach Hause gekommen.
Daraus ist eine Dokumentation in Spielfilmlänge entstanden, die authentische Einblicke in ihren Reisealltag und die alternative Szene Südostasiens gewährt. Ergänzend dazu ist auch ein Buch im
Ventil Verlag erschienen, in dem Diana und Felix noch mehr in die Tiefe gehen und z. B. auch die ungekürzten Interviews Platz finden. Ein Vinyl-Sampler auf Concrete Jungle Records rundet das
Projekt ab.
Wer steckt dahinter?
Diana und Felix lernten sich 2011 auf beruflichem Wege kennen. Seither sind die Journalistin und der Musikmanager miteinander befreundet, denn beide blicken auf eine Jugend zurück, die von subkulturellen Strukturen und Punkrock geprägt war.
Diana Ringelsiep
Diana wurde 1985 in Bochum geboren, Dorfpunkjugend in Nordhessen, Studium an der Universität der Künste in Berlin. Seither schreibt die Kulturjournalistin für verschiedene Magazine und
Tageszeitungen. Ihre Texte erschienen u. a. in Tageszeitungen wie »FAZ«, »taz« und »Tagesspiegel« sowie in zahlreichen Musik- und Lifestylemagazinen. Von 2013 bis 2015 war Diana Ringelsiep
Mitherausgeberin des »PUNKROCK! Fanzine«, für das sie zahlreiche Interviews führte und eine regelmäßige Kolumne schrieb. Inhaltlich befasst sie sich am liebsten mit Themen rund um »Pizza, Punk
und Popkultur«. Im Sommer 2018 begab sich die Journalistin zusammen mit dem Musikmanager Felix Bundschuh auf eine Recherchereise quer durch den südostasiatischen Underground. Diana Ringelsiep
lebt und schreibt in Essen.
Felix Bundschuh
Felix Bundschuh wurde 1985 in Stuttgart geboren. Kurz darauf zog er mit seiner Familie ins Ruhrgebiet, in den 90er-Jahren ging es weiter in die USA. Als Teenager kehrte er im Jahr 2000 zurück
nach Deutschland, wo er den Punk für sich entdeckte und seine erste Band gründete. Schließlich verschlug es ihn auch beruflich in die Musikbranche. So arbeitete Felix Bundschuh in den vergangenen
Jahren als A&R- und Produktmanager für unterschiedliche Plattenfirmen und Medienunternehmen. Felix Bundschuh arbeitet als selbstständiger Musikmanager.
Das Buch
A GLOBAL MESS
Eine SubkulTOUR durch Südostasien
Farbig bebildert
Ca. 300 Seiten
Frühjahr 2019
27,00 €(D)
ISBN 978-3-95575-112
Jede Generation rebelliert aufs Neue gegen die Werte und Moralvorstellungen ihrer Eltern. Doch wen soll das noch schockieren, wenn es Sex-Pistols-Shirts von der Stange gibt und Gangster-Rap im
Radio läuft? Die Journalistin Diana Ringelsiep und der Musikmanager Felix Bundschuh sind dort hingegangen, wo Subkultur noch echte Rebellion bedeutet. Auf ihrer Reise quer durch Südostasien sind
sie der Frage nachgegangen, welches Lebensgefühl junge Menschen verschiedener Untergrundbewegungen weltweit miteinander verbindet. »A Global Mess« erzählt die Geschichte zweier Freunde, die sich
auf eine abenteuerliche Reise ans Ende der Welt begeben haben, um Orte zu erkunden, die in keinem Reiseführer stehen. Sie besuchten Underground-Konzerte in verlassenen Gebäuden, gerieten in
heikle Situationen abseits der üblichen Touristenpfade und führten zahlreiche Gespräche mit Bands, Street Artists und Riot Grrrls.
In ihrem episodenhaft erzählten Buch gewähren Diana und Felix Einblicke in ihren Reisealltag und erzählen aus wechselnden Perspektiven von ihren Erlebnissen. Dabei greifen sie auch auf
Tagebucheinträge, E-Mails, SMS- Dialoge und Interviews zurück, die sie unterwegs geführt haben. Diese besondere Mischung aus Reiseanekdoten und journalistisch aufbereiteten Rechercheergebnissen
macht »A Global Mess« zu einem einzigartigen Zeitzeugnis, das die globale Verbundenheit verschiedener Subkulturen dokumentiert.
Der Sampler
A Global Mess - Vol. One: Asia LP/CD
Label: Concrete Jungle Records
LP inkl. CD und LP Booklet (Farbiges Splatter Vinyl, limitiert auf 500 Stück) Digital
EAN: LP: 4260435271260
Digital: 4260435271253
Rezension:
Gemeinsam traten sie eine investigative Recherchereise quer durch Südostasien an, um der Frage nachzugehen, welches Lebensgefühl die AnhängerInnen verschiedener Subkulturen weltweit miteinander
verbindet. Das war die Geburtsstunde von A GLOBAL MESS.
Ihr Reise führte Diana und Felix durch 6 südostasiatische Länder, von Hongkong über die Philippinen nach Indonesien, Singapur, Malaysia und Thailand. Sie knüpften Kontakte im subkulturellen
Untergrund, trafen u.a. eine feministische Grrrrl-HC-Band in Singapur, begleiteten Graffiti-KünstlerInnen auf den Philippinen, besuchten konspirativ organisierte Konzerte an teils geheimen Orten
und veröffentlichten mit „A global Mess“ eine Dokumentation sowie ein Buch und einen Sampler ihrer SubkulTOUR. Die Compilation ist so vielseitig wie die jeweilige Community. Das Booklet ist
angereichert mit Anekdoten und Fotos zu jeder Band. Bands aus Indonesien wie The Djihard (melodischer-hymnischer Streetpunk im Stile von The Casualties), The Sneakers (spielen bereits seit 2003
poppigen rauen ramonesken Punk), Timeless (Rock) wechseln sich ab mit weiteren Genres wie Hip Hop (Dagu Derhaka) aus Malaysia oder Stoner Rock mit X60 Jaran. MURDER BIZKITZ kloppen in
allerfeinster Rasiermesser-HC-Manier durch den Dschungel und zeigen, dass Class war-Punk mit Einflüssen aus DK, CRO MAGS und Slayer gerade auch in sogenannten exotischen Ländern wie Thailand,
Indonesien eine gefährliche, weil staatsgefährdende Angelegenheit ist. Online-Plattformen und Communities wie PUNK ROCK BANGKOK (bspw. https://www.punkrockbkk.com) helfen dabei, sich zu vernetzen/auszutauschen
Der Sampler skizziert eine bunte Vielfalt einer florierenden Punk- und Hip-Hop-Sub-Kultur, deren AnhängerInnen – bezogen auf Punk und HC – größtenteils westliche Bands und deren Style kopieren,
aber stets von Repressionen (Polizeiwillkür), Einschränkungen (Meinungsfreiheit) betroffen sind. Punk verbreitet sich auch im Rest von Südostasien immer weiter und gilt zumeist als radikaler
Gengenpol in den meist konservativen Gegenden. So ist es in Indonesien nicht unüblich, dass KonzertgängerInnen nur aufgrund ihres Aussehens verhaftet werden. Mit offensiver Kritik gegen
Korruption, soziale Ungleichheit, Zensur und Unterdrückung umzugehen, erfordert Mut und Durchhaltevermögen. Südostasien ist aber auch immer wieder Anziehungspunkt diverser westlicher Bands und
MusikerInnen, die unisono fasziniert sind von der DIY-Szene und dem Aktionismus in repressiven südostasiatischen Staaten. Interessant ist aber auch wie sehr sich die Kerninhalte der jeweiligen
Szenen ähneln, aber in der Umsetzung doch unterscheiden. A global mess belegt neben mittlerweile vielen weiteren Dokumentationen, inwieweit Musik, Kunst, DIY und Repressionen Forschungsgrundlage
sind für packende Begegnungen, die Hintergründe und Perspektiven liefern. So gibt es nicht nur rein musikalisch viele Anstöße, mehr Subkultur aus südostasiatischen Gefilden entdecken zu wollen.
Das Interview:
Felix, Diana, eins vorweg: Ist irgendeine Art von unbestimmtem ‚Dagegensein‘ schon subversiv und wie lautet dein Kernverständnis von Subversivität?
Diana: Bezieht man deine Frage auf Jugendkulturen wie die Punkszene, wird schnell deutlich, dass die Art des Dagegenseins auch immer im Kontext der jeweiligen
Zeit und des gesellschaftlichen Umfelds betrachtet werden muss. Während es in den Achtzigerjahren noch rebellisch war, sich einen Iro zu rasieren und in zerrissenen Bandshirts herumzulaufen,
findet man Undercuts inzwischen in jeder Grundschulklasse und Ramones-Shirts im „Used-Look“ bei allen großen Modeketten. Man muss also grundsätzlich schon mal zwischen Fashiontrends und echter
Auflehnung unterscheiden. Ersteren folgt man, um dazuzugehören – letzterer, um sich abzugrenzen.
Felix: Wenn du Subversion in einem subkulturellen Kontext meinst, dann verstehe ich darunter, auf künstlerische Weise oder durch politische Arbeit zu
rebellieren. Gerade bei sehr jungen Menschen reicht meiner Meinung nach das Dagegensein schon völlig aus, solange es sich nach oben richtet. In der Regel fängt das Ganze ja genau so an.
Teenager*innen rebellieren gegen Eltern und Lehrkräfte. Sie brauchen keinen Grund dafür.
Subversivität ist eine große Selbsttäuschung. Das eigensinnige Subjekt glaubt, etwas Widerständiges zu tun, und tappt doch immer wieder nur in die Falle der Systemstabilisierung und
Affirmation. Wo lassen sich deiner Meinung nach heute noch rebellische Energien, Widerstands-Communities in den Subkulturen wiederfinden?
Diana: Es gibt zahlreiche systemkritische Bewegungen, die sich in aktuellen Sub- und Jugendkulturen wiederfinden. Der weiße, alte „Oppa Punk“ muss bloß endlich
aufhören, so zu tun, als hätte er ein Patent auf Rebellion angemeldet und sich eingestehen, dass auch andere Subkulturen Widerstand leisten können. Die meisten alternativen Freiräume veranstalten
inzwischen mehr Elektropartys als Punkkonzerte und auch im deutschsprachigen Hip Hop hat sich in den letzten Jahren einiges in Sachen Politisierung getan (siehe Sookee, Waving the Guns etc).
Meiner Meinung nach ist der Nachwuchs gerade aktiver denn je und das meist sogar ganz ohne subkulturellen Hintergrund. Nehmen wir zum Beispiel Rezo, den YouTuber mit dem blauen Schlappiro. Sein
Video „Die Zerstörung der CDU“, das vor der Europawahl 2019 erschienen ist, hat der CDU weit mehr geschadet, als jeder Punksong zuvor. Interessant in Hinblick auf deine Eingangsfrage, da er somit
subversiver ist als der Großteil der aktuellen Punkszene. Und dass, obwohl sein Iro mit ziemlicher Sicherheit bloß als Modeaccessoire dient. Oder schau dir die „Fridays for future“-Bewegung an,
die legen einen Aktionismus an den Tag, den ich in meinen Jugendtagen vermisst habe.
Was waren eure Überlegungen und Beweggründe, die ‚echte‘ Subversivität in Südostasien kennenlernen zu wollen?
Diana: Felix und mich verbindet eine Punkrockjugend, die wir als Teenager zur selben Zeit an unterschiedlichen Orten ausgelebt haben. Und als wir uns vor neun
Jahren bei der Arbeit für ein kleines Plattenlabel kennenlernten, wurde eben diese Punk-Sozialisation zur Basis unserer Freundschaft. Beruflich haben wir uns über die Jahre dann in verschiedene
Richtungen entwickelt, bis wir uns irgendwann beide in Jobs wiedergefunden haben, in denen es uns gegen Ende an Herzblut fehlte. Vor zwei Jahren kündigten wir dann unabhängig voneinander und
trafen uns kurz darauf auf einem Knochenfabrik-Konzert, um auf das neue Kapitel anstoßen. In dieser Nacht entstand die Grundidee zu „A Global Mess“. Es klingt pathetisch, aber wir wollten zurück
zu unseren Wurzeln und noch mal was von der Rebellion spüren, die hierzulande vor allem kommerzialisierungsbedingt erloschen ist.
Was war vor Ort die besondere Herausforderung, sich auf die Spuren der Punk- und Hip Hop- Subkultur zu begeben, um relevante Underground-Orte zu finden?
Felix: Die Szenen sind gut organisiert und es fällt eigentlich nicht schwer, einen Einstieg zu finden. Vorausgesetzt natürlich, man weiß, wie sich Gruppen
dieser Art organisieren. Klar, in manchen Städten gibt es Punkrock-Bars, die sogar bei Google Maps eingetragen sind. Doch es gibt auch andere, die ihre Veranstaltungen ausschließlich in privaten
Chats ankündigen. Letztere waren für uns natürlich schwerer ausfindig zu machen. Doch die eigentliche Herausforderung war es, immer wieder entscheiden zu müssen, mit welchen Akteur*innen man
seine begrenzte Zeit verbringen und Interviews führen möchte. Denn eine Verabredung bedeutete auch immer, eine andere dafür nicht wahrnehmen zu können.
Wo ist deiner Meinung nach mit der „A Global Mess“-Doku das Subversive in Punk sichtbar geworden?
Diana: Die Doku zeigt ja bloß einen kleinen Ausschnitt der Eindrücke, die wir unterwegs gesammelt haben. Daher muss ich unbedingt auch auf unser Buch
verweisen, in dem neben vielen Fotos u. a. auch alle ungekürzten Interviews mit den Szeneakteur*innen vor Ort zu finden sind. Es gab verschiedene Momente, in denen die Auflehnung junger Menschen
deutlich geworden ist. Felix hat in Indonesien zum Beispiel verschiedene Leute aus der Punkszene kennengelernt, die sich für den Umweltschutz stark machen und dafür auch auf die Straße gehen. In
Kuala Lumpur haben wir ein selbstverwaltetes Zentrum besucht, in dem eine Gruppe junger Menschen Konzerte und Podiumsdiskussionen organisiert. Sie wollen den staatlichen Repressionen etwas
entgegensetzen und solidarische Strukturen schaffen, in denen alle willkommen sind. Einer der Mitinitiatoren hat uns von einem Gig unter dem Motto „Party tonight, revolution tomorrow“ berichtet,
der nach den Protesten gegen einen neuen Highway stattfand, bei dem über 100 Konzertbesucher*innen von der Polizei verhaftet wurden. Die davongekommen waren, errichteten in den Tagen darauf ein
Solidaritätscamp und bereiteten mit einigen hilfsbereiten Anwälten eine Sammelklage vor. Allein diese Geschichte zeigt deutlich, dass sich Punks in Malaysia der Konsequenzen ihres Handelns
bewusst sein müssen.
Wie unterscheiden sich Emotionen, Kreativität und Aktionen in den jeweiligen Communities, bezogen auf Punk und Hip Hop, in den von euch bereisten Ländern?
Felix: Das kann ich so pauschal überhaupt nicht beantworten, da sich alle bereisten Städte voneinander unterscheiden. Allerdings ist uns aufgefallen, dass die
einzelnen subkulturellen Szenen untereinander oft besser vernetzt sind als bei uns. Sie arbeiten nicht gegeneinander, sondern verstehen sich eher als großes Ganzes. Aber auch das stimmt natürlich
nur bedingt. Die Hip-Hop-Artists, die wir trafen, hatten alle einen engen Bezug zur linken Szene oder zumindest zum Punk. Daher waren die Communities oft dieselben und die damit verbundenen
Emotionen auch. Doch es wäre ein Trugschluss, daraus auf die gesamte Hip-Hop Szene zu schließen. Wenn Du hier in Deutschland nur mit Rapper*innen aus dem sogenannten „Zeckenrap“ sprichst,
bekommst du schließlich auch schnell den Eindruck, dass Deutschrap sehr politisch ist, und dass die meisten Akteur*innen in ihrer Jugend Punk gehört haben. Uns ist es in Südostasien
wahrscheinlich nicht anders ergangen.
Inwieweit unterscheiden sich – grob skizziert – die kulturellen Ausprägungen des Punks in Südostasien gegenüber in der westlich geprägten Welt?
Diana: Überraschend wenig. Abgesehen von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, mit denen die Punks in Südostasien zu kämpfen haben, ist die Szene an sich
unserer ähnlicher als gedacht. Rein optisch tragen sie dieselben Bandshirts und Patches wie wir, weshalb wir auch immer direkt als Gleichgesinnte identifiziert und herzlich aufgenommen wurden. Es
gibt Irokesen, Nietengürtel und selbst die Musik klingt nicht anders, als wir es aus UK und den USA gewöhnt sind. Aber warum sollte sie auch, schließlich orientieren sie sich an denselben
Vorbildern wie wir. Neben Buch und Doku haben wir im Anschluss an die Reise ja auch einen Vinyl-Sampler herausgebracht, auf dem eine Auswahl der Bands, die wir unterwegs kennengelernt haben, zu
hören ist. Viele waren überrascht, weil sie etwas Exotischeres erwartet hatten. Doch abgesehen davon, dass es auf der Platte auch einen philippinischen, einen indonesischen und einen malaiischen
Song gibt, hätte ich persönlich es verwunderlicher gefunden, wenn der westliche Einfluss kleiner gewesen wäre. Erstaunlich war hingegen die wahnsinnig gute Qualität der Aufnahmen. Denn die stehen
teuren Studioproduktionen in nichts nach, obwohl sie zum Teil zuhause im Schlafzimmer aufgenommen wurden.
Der westliche Einfluss auf die subkulturelle Szene Südostasiens ist nicht zu leugnen. Wie äußert sich dieser auf Bands und Denkmuster?
Felix: Im Grunde ist es ähnlich wie hier. Präzise gesagt, ist es nämlich kein „westlicher Einfluss“, der die Szene weltweit prägt. Das eigentliche Vorbild
bleibt die USA und daneben hat maximal UK noch was zu melden. Ein Großteil der Musik, der Lyrics, der Streetart und der Mode wird von amerikanischen Künstler*innen inspiriert. Und das darf auf
keinen Fall mit „kopiert“ gleichgestellt werden. Bei uns ist es ja nicht anders. Schaut man sich den deutschen Punk und Hip Hop an, ist ja auch ganz klar, woher der Einfluss kommt.
Wo aber sind Eigenständigkeit und kulturelle Identität sichtbar?
Felix: Na überall. Natürlich sind die Akteur*innen innerhalb der Szene eigenständig und mischen popkulturelle Einflüsse aus dem Westen mit ihren eigenen kulturellen, politischen
oder religiösen Idealen. Zur Kultur des Westens gehört es ja zum Beispiel auch, sich jedes Wochenende einen hinter die Binde zu kippen. Zur indonesischen nicht. Ich war in Indonesien
ausschließlich auf Punk- und Hardcore-Konzerten, auf denen es keinen Alkohol gab. Die Leute haben trotzdem gefeiert und sind auf die Songs abgegangen. Es ist ja nicht so, dass man in Berührung
mit einer Szene kommt und alles aufsaugt und unreflektiert reproduziert. Man pickt sich heraus, was einem gefällt, lässt das bleiben, was einem nicht gefällt und ändert, was einen stört.
Was sind die Kernthemen, die Probleme, mit denen sich Punks und Hip Hopper*innen in Malaysia, Indonesien oder Thailand im Alltag beschäftigen/auseinandersetzen?
Diana: Auch diese Frage lässt sich nicht pauschal beantworten. Die Unterschiede zwischen den einzelnen bereisten Ländern sind mitunter riesig und führen zu
komplett verschiedenen Lebensrealitäten der jungen Menschen. So gehört das insgesamt sehr westlich geprägte Singapur beispielsweise zu den reichsten Ländern der Welt und die feministischen
Hardcore-Musikerinnen, die wir dort trafen, beschäftigten sich mit Themen wie der Frauenquote in Bands, Cybermobbing und überholten Rollenbildern. Das Nachbarland Malaysia gilt hingegen als
Schwellenland und der ethnischen Gruppe der Malaien wird dort ein Religionszwang auferlegt, der mithilfe der Scharia umgesetzt wird. Eine junge Künstlerin, die wir dort kennengelernten, erzählte
uns, dass sie mal für ein paar Tage ins Gefängnis musste, weil sie unverheirateter Weise mit zwei männlichen Mitbewohnern in einer WG zusammengelebt hat. Allein diese beiden Beispiele zeigen,
dass auch innerhalb Südostasiens verschiedene Welten aufeinanderprallen. Dementsprechend setzen sich auch die einzelnen Subkulturen dort mit komplett unterschiedlichen Themen auseinander.
Die Haltung gegen das System scheint in Südostasien oftmals auch die Haltung gegen die Religion. Welche Spuren haben diese erlebten Erfahrungen bei dir hinterlassen?
Felix: Ich glaube, dass es nur aus der Ferne so scheint. In vielen Ländern spielt Religion im Alltag eine weitaus größere Rolle als bei uns. So kommt es
natürlich, dass die jungen Leute dort auch ganz anders mit Religion sozialisiert werden und dem Ganzen daher weniger (oder überhaupt nicht) kritisch gegenüberstehen. Selbstverständlich wird
Religion auch häufig benutzt, um gewisse Traditionen zu rechtfertigen. Doch tatsächlich habe ich es unterwegs weitaus öfter erlebt, dass Menschen versuchten, ihren Glauben und ihre
Szene-Identität miteinander zu vereinen. Das beste Beispiel dafür waren ein paar Frauen, die ich auf einem Deathmetal-Konzert gesehen habe. Sie trugen Shirts mit satanischen Motiven zu ihren
Hijabs und feierten die Bands ab. Dennoch möchte ich nicht den Eindruck erwecken, dass Religion nicht auch missbraucht wird, um strukturelle Unterdrückung zu rechtfertigen.
Was sind die langfristigen, positiven Folgen von Subversion in Südostasien für die gegenkulturelle Bewegung?
Felix: Das kann ich wirklich nicht beantworten. Wie auch?
Südostasien ist geprägt von einem autoritären Verständnis von Männlichkeit und traditionellen Identitäten. Wie wird Feminismus in Subkulturen wie Punk und Hip Hop definiert und
praktiziert?
Diana: Man muss natürlich auch hier wieder zwischen den einzelnen Ländern unterscheiden und darf nicht alle über einen Kamm scheren. Auf den Philippinen sind
im Jahr 2016 zum Beispiel 47 Prozent aller Abgeordneten, leitenden Beamt*innen und Manager*innen Frauen gewesen. Im Gleichstellungsranking des Weltwirtschaftsforums landeten die Philippinen daher
auf dem 7. Platz weltweit – Deutschland nur auf Platz 13. Aber klar, die patriarchische Rollenverteilung ist dennoch in vielen Lebensbereichen spürbar, auch wenn ihre Ausprägung von vielen
Faktoren abhängig ist. Das fängt bereits bei dem Zugang zu Bildung an, aber auch religiöse Einflüsse können eine Rolle spielen, genauso wie der Lebensraum und nicht zuletzt das persönliche
Umfeld. So ist es für die eine ein feministischer Befreiungsschlag, das Kopftuch abzulegen und Künstlerin zu werden, während sich ein paar Hundert Kilometer weiter eine gleichaltrige Frau auf der
Bühne in den Schritt fasst und „This is my body“ ins Mikro brüllt. Allein die Frauenquote auf den Konzerten variierte schätzungsweise zwischen 0 und 50 Prozent. Feminismus ist meines Erachtens
keine Definitionssache. Der Kampf um Gleichstellung deckt ein unfassbar breites Spektrum an Themen ab, für die es sich zu kämpfen lohnt. Und welches davon gerade Priorität hat, hängt immer auch
von der eigenen Lebenssituation ab.
Wie lassen sich eurer Erfahrung nach feministische Positionen und Popkultur produktiv verbinden, um Plattformen für weibliche Positionen zu schaffen und deren Reichweite zu
erhöhen?
Felix: Musik ist für mich – und ganz offensichtlich auch für viele andere Menschen – eine der stärksten Kunstformen überhaupt. Durch Musik können Texte besser
transportiert werden. Die Emotionen, die durch die Kombination von Wort und Sound freigesetzt werden, können sogar zu einem Umdenken oder einer Handlung führen. Natürlich kann ein Hardcore-Song
nicht so tief ins Detail gehen wie eine wissenschaftliche Arbeit. Das muss er aber auch nicht. Ein Song mit feministischen Texten kann trotzdem der ausschlaggebende Grund dafür sein, dass sich im
Anschluss jemand genauer mit den Inhalten auseinandersetzt und seine Konsequenzen daraus zieht. Man stelle sich einen Konzertveranstalter vor, der plötzlich begreift, dass seine
All-Cis-Dude-Party am Ende ist und künftig Platz für Frauen, nicht-binäre Personen und all die anderen machen möchte, die jahrelang ignoriert worden sind. Selbstverständlich wünscht man sich,
dass die Welt anders funktioniert. Dass man nur sagen muss: „Schau her, das ist ungerecht. Lass mal ändern.“ Und dass die Antwort lautet: „Jau, haste recht. Machen wir.“ Aber so einfach ist es
leider nicht. Und deshalb sind Kunst, Musik und all die anderen popkulturellen Phänomene so wahnsinnig wichtig.
Wie habt ihr euch die Subkultur in Asien vorgestellt und was ist geblieben? (Vielleicht hier ein Fallbeispiel)
Diana: Tatsächlich war ich überrascht, wie ähnlich die dortige Szene der unseren ist. Die meisten jungen Leute, die wir trafen, tragen ähnliche Klamotten und
hören dieselbe Musik wie wir. Sie sind es leid, nach den überholten Regeln anderer zu leben und das bringen sie auf die unterschiedlichste Art und Weise zum Ausdruck. Die Beweggründe sich einer
subkulturellen Bewegung anzuschließen sind in Südostasien dieselben wie bei uns: Es geht darum, miteinander Spaß zu haben, kreativ zu sein und für seine Vorstellung einer besseren Welt zu
kämpfen.