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Containern darf keine Straftat sein

Während das Bundesministerium für Landwirtschaft und Ernährung die letzte Septemberwoche des Jahres 2020 als Aktionswoche gegen Lebensmittelverschwendung erklärt, findet erneut ein Verfahren wegen des sogenannten Containerns statt. Drei junge Menschen werden vor dem Amtsgericht Siegburg angeklagt, versucht zu haben, aus einem Container der Supermarktkette REWE im Siegtal noch genießbare Lebensmittel zu entnehmen. Zwei Tage vor dem Verhandlungstermin erreicht einer der Verteidiger die Einstellung des Verfahrens gegen Auflagen: die Angeklagten werden verpflichtet die Hälfte der ursprünglichen Geldstrafe an eine gemeinnützige Organisation zu zahlen, insgesamt 800 Euro.

Was geschah:

Es ist Samstag, der 21. März diesen Jahres gegen 23:30 Uhr. Die Beschränkungen des öffentlichen Lebens aufgrund der Corona-Pandemie werden ausgeweitet und die gemeinnützigen Tafeln, die regelmäßig einige von REWE aussortierte Lebensmittel annehmen, haben bereits teilweise ihren Betrieb eingestellt. Drei Menschen holen noch genießbare Lebensmittel aus den Müll-Containern des Supermarktes, um diese vor der Vernichtung zu retten. Ein "wachsamer Bürger" beobachtet die Situation und verständigt die Polizei. Diese erscheint kurz darauf mit zwei Streifenwagen, die drei Polizisten stellen die Mülltaucher*innen wie Verbrecher*innen mit vorgehaltener Waffe und nehmen sie mit auf die Wache. Es wird kein Widerstand geleistet.

Die Sammlung der genießbaren Lebensmittel verbleibt auf dem REWE Gelände. Es fanden sich z.B. in Plastik verpackte Paprika, bei denen eine nicht mehr so schön war und der Rest noch völlig in Ordnung. Dazu Mengen von Obst und Gemüse, aber auch abgepackte Pralinen und Schokolade, bei denen das Mindesthaltbarkeitsdatum noch nicht erreicht war. Besagte Lebensmittel werden gewöhnlich in kurzen Abständen von Entsorgungsfirmen wie Re-Food abgeholt und samt Plastikverpackung geschreddert 1. Diese kann im Prozess nur grob entfernt werden und wird zusammen mit der Biomasse wieder auf die Felder gebracht2. So wird immer mehr Ackerland mit Plastikresten verschmutzt. In Deutschland werden laut einer Studie des WWF 3 von 2015 jährlich insgesamt 18,4 Mio Tonnen Lebensmittel entsorgt, wovon ein Großteil noch genießbar ist bzw. vermeidbar. Dies entspricht fast einem Drittel des aktuellen Nahrungsmittelverbrauchs von 54,5 Mio Tonnen in Deutschland. Allein 2,6 Mio Tonnen landen in den Müllcontainern von Groß- und Einzelhandel. Sogenannte Misfits, also Lebensmittel die aus ästhetischen Gründen aussortiert werden, sind hier nicht mal eingerechnet. So wird ca. 10% der Apfelernte und sogar 30% der Möhrenernte aufgrund von künstlichen Standards gar nicht erst geerntet. Diese Selektion resultiert aus der Auswertung des Kaufverhaltens der Konsument*innen, welche, durch dievom Einzelhandel vorgegebene Standardisierung von Form, Größe und Aussehen den Kauf von normiertem Gemüse und Obst bevorzugen. Durch diese Verschwendung werden bis zu 50% einer Ernte allein durch optische Makel aussortiert und bis zu 30% des weltweiten Ackerlandes, das entspricht etwa 1,4 Milliarden Hektar, sinnlos bewirtschaftet 4 .

Trotz des gemeinsamen Ziels der Vereinten Nationen und aller EU- Staaten, die Vernichtung genießbarer Lebensmittel bis 2030 um 50% zu reduzieren, sind in Deutschland gesetzgeberische Initiativen, anders als in den Nachbarstaaten Tschechien, Frankreich und Österreich, bisher ausgeblieben. In Frankreich ist das Vernichten von noch genießbaren Lebensmitteln seit 2016 verboten und in Großbritannien hat bereits die Androhung eines solchen Gesetzes dazu geführt, dass sich ein Großteil der Supermarkt-Ketten schon 2015 dazu verpflichtet haben, ihren Lebensmittelmüll drastisch zu reduzieren 5 . Laut WWF kann bis zu 90% des Lebensmittelmülls im Groß- und Einzelhandel leicht vermieden werden. "Gründe für den Verlust sind weniger technologische Restriktionen, sondern vielmehr Marketingmaßnahmen und Konsumentenerwartungen an Frische und Verfügbarkeit, an Optik und Textur der Lebensmittel; gesundheitliche Risiken sind hier eher wenig verantwortlich zu machen." Die Klimaauswirkungen von Lebensmittelverschwendung sind drastisch und auch von der Bundesregierung mehrheitlich anerkannt. Die Herstellung und der Transport von Lebensmitteln ist für einen beachtlichen Teil an den ausgestoßenen Treibhausgasen verantwortlich. Essbare Lebensmittel in Abfalltonnen zu vernichten bedeutet eine enorme Ressourcenverschwendung: genauer bedeutet das 2,6 Mio. ha werden für die Tonne bewirtschaftet und fast 48 Mio. t Treibhausgase umsonst ausgestoßen. Das Programm der Regierung "Zu gut für die Tonne 6 " thematisiert diese Problematik, konzentriert sich jedoch auf die Ansprache der Endverbraucher*innen. Laut WWF 7 sollten allerdings "Industrie, Handel und Landwirtschaft (...) viel stärker in den Fokus gerückt werden, da über 60 Prozent der Verluste entlang der Wertschöpfungskette entstehen – vom Produzenten bis hin zum Großverbraucher."
Laut einiger Supermarktketten sei die auf gespendete Lebensmittel erhobene Mehrwertsteuer ein Grund dafür, die Produkte nicht an Einrichtungen wie die Tafel oder Foodsaver weiterzugeben. Entsorgte Lebensmittel können hingegen steuerlich abgeschrieben werden. Laut Bundesregierung liege das Problem auf Europäischer Ebene, denn die Union gebe die Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie für das gesamte Umsatzsteuerrecht vor 8 . Frankreich hat im Jahr 2016 eine Gesetzesänderung gegen Lebensmittelverschwendung umgesetzt, in welcher die Supermärkte 60 Prozent des Einkaufspreises der gespendeten Lebensmittel von der Steuer absetzen können. Es stellt sich jedoch die Frage, warum der deutsche Gesetzgeber nach den Erfahrungen aus den Nachbarländern bisher keine gesetzliche Lösung in Betracht gezogen
hat.

Ein strafrechtliches Verfahren gegen Menschen, die beim sogenannten Containern erwischt werden, beginnt durch einen vom Supermarkt gestellten Strafantrag. Der Supermarkt entscheidet somit, ob die Lebensmittelrettung zur Anzeige gebracht wird. In der Vergangenheit hat es immer wieder Anzeigen, auch von Leiter*innen einiger Supermärkte aus der REWE Group und Edeka gegen Menschen gegeben, die aus Not oder Überzeugung Lebensmittel aus den Containern gerettet haben. Vor dem Strafrichter wird das Containern regelmäßig als Diebstahl und Hausfriedensbruch verhandelt. Der Strafzweck des Tatbestands “Diebstahl” im Strafgesetzbuch schützt das Eigentum. Auch solches, welches keinen wirtschaftlichen Wert hat. Im Falle des Containerns ist jedoch fraglich, warum das Eigentum an den Lebensmittel in der Tonne des Supermarktes, an denen er offensichtlich kein Interesse mehr hat, höher geschützt ist als die noch genießbaren Lebensmittel als Nahrung, welche ebenfalls ein schützenswertes Gemeingut darstellen. Das Betreten des Supermarktgeländes zur Rettung dieser Lebensmittel sollte jedenfalls zu diesem Zweck gerechtfertigt sein.

Quellen: