AIB #128
72 DIN-A-4 Seiten; € 3,50.-
AIB, Gneisenaustr. 2a, 10961 Berlin
https://www.antifainfoblatt.de/
Der Schwerpunkt analysiert das Urteil, das Netzwerk und neue Spuren zum NSU.
Zwei Jahre lang war das schriftliche Urteil im NSU-Prozess nicht öffentlich einsehbar. Die Rechercheplattform "Frag den Staat" hat das komplette NSU-Urteil veröffentlicht. Die 3.025 Seiten der
Urteilsbegründung sind nun vollständig öffentlich einsehbar. Damit soll eine breite gesellschaftliche Diskussion über das Urteil ermöglicht werden, an der auch die antifaschistische Initiative
"NSU Watch" beteiligt war.
Die vielen NSU-Untersuchungsausschüsse der Länder offenbaren einen mangelnden staatlichen Aufklärungswillen, lassen viele Fragen offen, was wiederum eine unabdingbare eigene, antifaschistische Recherche erforderlich macht, um neue Erkenntnisse und Netzwerke zutage zu fördern, da die These von einem abgeschotteten agierenden Trio nicht haltbar ist. Auch die Rolle des VS bzw. die direkte Beteiligung durch V-Männer findet keine Erwähnung im Urteil des OLG München im NSU-Verfahren. Ein Grund dafür ist auch die Weigerung des Innenministeriums der Länder Akteneinsicht zu gewähren, die einen Einblick in die Szene der V-Leute bei der Polizei, mit Verbindung in die organisierte Kriminalität und zum Rechtsextremismus liefern würde.
Gesamteindruck:
Das ein "Aufklären und einmischen" im Kontext des NSU-Prozesses notwendig war, zeigt insbesondere die kritische Aufarbeitung durch NSU-Watch und die Offenlegung eines anhaltenden rechten Terrors und Rassismus in der BRD. Der Schwerpunkt zeigt aber auch Handlungsmöglichkeiten, selbst konkret vor Ort die Augen offen zu halten und eigene Recherchen zu Täter*innen herzuleiten, Bedrohungen und Angriffe publik zu machen. Rassismus, Antisemitismus und rechte Gewalt prägen nach wie vor den Alltag vieler Menschen. Und vordergründig sollte es auch immer um die Opfer gehen. Aus der Perspektive der Betroffenen ist die Geschichte des NSU ein Verbrechen, das von Grund auf ihr Leben verändert hat. Es bedeutet, in einem Staat zu leben, der nicht nur damals keinen Schutz geboten, sondern der bis heute die politisch Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft gezogen hat. Helfershelfer*innen, Hinterleute, die nichts zu befürchten haben, Akten unter Verschluss, Verfassungsschutzzeug*innen, die nicht aussagen müssen und Quellen, deren Identität bis heute geschützt wird. Und so verbleibt die Forderung nach und Bemühungen um Aufklärung in Bezug auf das Neonazinetzwerk und die staatlichen Verstrickungen in den Händen antifaschistischer Eigeninitiativen, um die Opfer in den Mittelpunkt zu rücken und mit einer breiten öffentlichen Unterstützung durch das Erinnern und das Benennen rassistischer Anschläge eine gemeinsame Verantwortung in einer offenen demokratisch-pluralistischen Gesellschaft zu übernehmen.