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Mensch-Tier-Beziehung

Ein Interview mit Friederike Schmitz
Ein Interview mit Friederike Schmitz

Was dürfen wir mit Tieren tun? Dürfen wir sie töten, um ihr Fleisch zu essen? Dürfen wir sie einsperren, um sie uns anzuschauen? Dürfen wir sie quälen, um wissenschaftliche Entdeckungen zu machen? Dürfen wir sie für unsere Zwecke züchten, schwängern, melken und schlachten?

Solche Fragen versucht die Tierethik zu beantworten. Friederike Schmitz arbeitet die Grundbegriffe der Tierethik heraus und erläutert die zentralen Argumente und Diskussionspunkte innerhalb der Tierethik in dem Sammelband Tierethik Grundlagentexte. Bei diesen von Friederike zusammengestellten Grundlagentexten handelt es sich um unterschiedliche Texte und Argumentationen zum Thema Tierethik, die bis jetzt größtenteils noch nicht auf Deutsch zugänglich waren.

Neben ihrer freiberuflichen Tätigkeit engagiert sich Friederike beim Verein Mensch Tier Bildung e. V., den sie mitgegründet hat, bei der Gruppe Tierfabriken-Widerstand und dem Bündnis Gemeinsam gegen die Tierindustrie.

Friederike, was interessiert dich besonders daran, die Mensch-Tier-Beziehung zu erforschen?
    Ich glaube, dass die Mensch-Tier-Beziehung eine der zentralen Herausforderungen für unsere heutige Gesellschaft ist. Menschen benutzen, quälen und töten Tiere in gigantischem Ausmaß – sei es in der Nahrungsmittelproduktion, für Tierversuche, im Heimtierbereich oder auch in der vermeintlich freien „Natur“. Ich sehe in den üblichen Umgangsweisen mit Tieren ein großes Unrecht, aus dem teils auch viele andere Probleme resultieren, die Menschen und wiederum Tiere betreffen – die Nutztierhaltung trägt zur Klimakrise bei, die Ausrottung von Arten begünstigt Pandemien, etc. Die Mensch-Tier-Beziehung ist also eine, die wir aus vielen Gründen dringend verändern müssen, und ich hoffe, dass ich mit meiner Arbeit auch dazu beitragen kann.

Wie argumentierst du in Bezug auf die Ethik der Mensch-Tier-Beziehung deine moralphilosophische Position, an wen orientierst du dich dabei?
    Ich orientiere mich nicht an einer bestimmten Position, sondern ich finde verschiedene Ansätze nachvollziehbar und wichtig. In meinem letzten Büchlein „Tiere essen – dürfen wir das?” betrachte ich die zentralen Fragestellungen aus vier verschiedenen theoretischen Perspektiven, weil die aus meiner Sicht alle relevante Überlegungen beizutragen haben. Am meisten fasziniert mich persönlich eine Herangehensweise, die ich „Ethik der Sensibilität“ nenne. Eine wichtige Autorin für diese Herangehensweise ist Cora Diamond, und auch wenn ich nicht allen ihren Positionen zustimme, habe ich von ihr sehr viel gelernt – z.B. darüber, dass man in der Ethik nicht nur auf rationale, theoretische Argumente schauen sollte, sondern auch einen Weg finden muss, Erfahrungen und Gefühle in das Nachdenken einzubeziehen.

Wie können deine Forschungsergebnisse mithelfen, die Beziehung zwischen Mensch und Tier klarer und vielschichtiger wahrzunehmen und den wissenschaftlichen Diskurs darüber nachhaltig anzuregen?
    Dafür müsste ich erstmal sagen, was meine Forschungsergebnisse sind. Tatsächlich habe ich in vielen Texten hauptsächlich Argumente zusammengetragen und sortiert, die andere vor mir schon vorgebracht haben. Die Sortierung von Argumenten ist aber, glaube ich, nützlich für den Diskurs. In dem eben erwähnten Büchlein habe ich z.B. zwei Fragen und die jeweiligen Argumente unterschieden:
Erstens habe ich untersucht, ob die heute üblichen Umgangsweisen mit Tieren eigentlich mit den ethischen Überzeugungen verträglich sind, die die meisten Leute schon haben.
Einfacher gesagt: Die meisten Leute denken, wir sollten Tieren nicht ohne gewichtigen Grund Leid zufügen. Wenn man sich dann aber die Nutztierhaltung anschaut, sieht man, dass dabei Tieren täglich und allein in Deutschland millionenfach krasses Leid zugefügt wird – und zwar ohne gewichtigen Grund, denn wir brauchen ja nicht diese Mengen an Tierprodukten zu erzeugen. Das ist ganz unabhängig von der Frage, ob Tiere Rechte haben oder ob wir sie grundsätzlich essen dürfen oder nicht. Diese Frage untersuche ich daher in dem Büchlein erst im zweiten Schritt. Die Unterscheidung ist wichtig, weil sie zeigt, dass wir die gegenwärtige Nutztierhaltung abschaffen müssen, ganz unabhängig davon, wie wir grundsätzlich zu Tierrechten oder zum Essen von Tieren stehen.

Der Blick der Öffentlichkeit in der Corona-Krise wurde auch bedingt durch Infektionszahlen bei Beschäftigten auf die arbeitsrechtlichen Zustände in der industriellen Fleischproduktion gelenkt. Vom Tierleid war nicht die Rede. Wundert dich das und warum nehmen wir immer noch zu wenig Rücksicht auf Tiere?
    Mich wundert das eigentlich nicht so. Erstens konzentrieren sich öffentliche und mediale Debatten ja oft auf ein Thema – es ist auch gar nicht unbedingt leicht, immer alle wichtigen Probleme zugleich zu betrachten oder zu diskutieren. Zweitens werden die Tiere ja oft vergessen – viele Menschen nehmen es, glaube ich, noch so wahr, dass sich eigentlich nur eine ominöse Gruppe von „Tierschützern“ dafür interessiert, wie es Tieren geht, anstatt zu sehen, dass der Umgang mit Tieren eine Frage der Gerechtigkeit ist und damit uns alle etwas angeht.

Würde eine rechtliche Gleichstellung der Tiere mit den Menschen Abhilfe leisten?
    Ja theoretisch auf jeden Fall: Eine sinnvolle rechtliche Gleichstellung würde ja dazu führen, dass die allermeisten Weisen, wie Tiere behandelt werden – Züchten, Verstümmeln, ohne Not einsperren, zum Verzehr Töten etc. – verboten und verfolgt würden. Aber ich erstens denke nicht, dass so eine Gleichstellung in absehbarer Zeit passieren wird. Zweitens glaube ich auch nicht, dass sie im Kampf gegen die Unterdrückung der Tiere das nächste oder oberste Ziel sein sollte – ich denke, wir müssen die sozialen Verhältnisse verändern, die Tierindustrie entmachten, die Ernährungswende voranbringen und vieles andere, was ganz praktisch und konkret ist. Erst dann können wir vielleicht darüber nachdenken, ob und wie eine rechtliche Gleichstellung Sinn ergeben würde.

Warum sollten wir in einer aufgeklärten Gesellschaft eine moralische Verpflichtung gegenüber nichtmenschlichen Tieren haben?
    Weil viele Tiere ähnlich wie wir fühlende Lebewesen sind – sie können Leid ebenso wie positive Gefühle erleben. Unsere Handlungen wirken sich auf sie aus, positiv oder negativ. Allein daraus erwächst schon die Verantwortung, diese Auswirkungen bei unseren Entscheidungen mitzudenken. Das ist ja auch heute eigentlich unkontrovers – niemand würde behaupten, dass Tiere moralisch gar nicht zählen. Die Frage ist dann nur, wie wir sie mit einbeziehen und wie stark.

Wie aber ließe sich ein gerechtes Verhalten gegenüber nichtmenschlichen Tieren formulieren?
    Ich denke, wir sollten ihre Bedürfnisse fair berücksichtigen und sie nicht mehr für unsere Zwecke ausbeuten. Dazu gehört zum Beispiel, dass Tiere nicht mehr Eigentum von Menschen sein dürften, also nicht mit Profitinteresse verkauft oder genutzt werden dürften. Ich denke auch, dass wir Tieren in den Bereichen moralische Grundrechte zusprechen sollten, in denen sie sich von Menschen nicht grundsätzlich unterscheiden – das heißt wir würden ihnen z.B. ein Recht auf Leben und Unversehrtheit zuerkennen. Außerdem denke ich, dass wir im Sinne einer „Ethik der Sensibilität” unser Mitgefühl mit Tieren üben und entwickeln sollten und bei schwierigen Fragen mit einbeziehen sollten.

Wie verhält es sich mit der Domestizierung von Tieren? Kann man sagen, dass Haustiere von ihren Halter*innen gerecht behandelt werden? Oder wird ihnen nicht dadurch ein Unrecht zugefügt, dass sie ihre Lebensumstände nicht selbst gestalten können?
    Die Realität sieht so aus, dass sehr viele Haustiere unter schlechten Bedingungen leben und regelmäßig Gewalt erfahren. Denken wir nur an Kaninchen oder Vögel in kleinen Käfigen, Fische in tristen Aquarien oder an Hunde, die bei ihrem kurzen Gassigang nur herumgezerrt und angemotzt werden. Da ist das Problem nicht unbedingt die Domestizierung oder die Unfreiheit als solche, sondern einfach die Weise, wie die Tiere von ihren jeweiligen Halter*innen behandelt werden.
Für die grundsätzliche Frage, ob wir Tiere als Haustiere halten sollten, muss man sich genau anschauen, um welche Tiere es geht, was deren Bedürfnisse sind, wie sie im Zusammenleben mit Menschen erfüllt werden können und inwiefern die Tiere von diesem Zusammenleben vielleicht auch profitieren können. Das geht im Falle von Hunden zumindest theoretisch besser als z.B. im Falle von Hamstern oder Fischen.


Peter Singer macht den moralischen Status von Lebewesen von ihrer Fähigkeit, Interessen (zum Beispiel an Lebenserhaltung und Schmerzfreiheit) zu haben, abhängig, spricht sich aber nicht für ein absolutes Verbot von Tierversuchen aus. Fleischverzehr und Nutztierhaltung sind legitim, solange ein schmerzfreier Tod gewährleistet wird und der Verzehr überlebenswichtig ist und im zweiten Fall die Nutzung der Tiere nicht maßlos ist. Warum lehnst du diese Grundlage des Mitleids ab?
    Singer argumentiert nicht auf der Grundlage von Mitleid, sondern ganz rational utilitaristisch mit Prinzip gleicher Interessenberücksichtigung. Ob Nutztierhaltung legitim ist, dazu ist er nicht so eindeutig, auf jeden Fall würde der schmerzfreie Tod nicht ausreichen, das ganze Leben wäre relevant. Und wenn der Verzehr von Fleisch überlebenswichtig wäre, würden viele Autor*innen sagen, dass es dann ethisch okay wäre, mich wahrscheinlich eingeschlossen. Wichtig ist aber doch, dass es hier und heute praktisch für niemanden überlebenswichtig ist.

«Das Problem (ist) nicht unbedingt die Domestizierung oder die Unfreiheit als solche, sondern einfach die Weise, wie die Tiere von ihren jeweiligen Halter*innen behandelt werden. »


Die Abolitionist*innen fordern eine vollständige Trennung der Lebensbereiche von Tieren und Menschen. Welche Vor- und Nachteile hätte das?
    Es wäre praktisch gar nicht möglich – mindestens mit den Kulturfolger-Tieren in unseren Siedlungen müssten wir uns auseinandersetzen. Wenn man die Forderung einschränkt darauf, dass Menschen nicht mit domestizierten Tieren zusammenleben sollten, letztere also aussterben sollten, dann hätte die Erfüllung dieser Forderung den Vorteil, dass die Tiere nicht mehr schlecht behandelt und ausgebeutet werden könnten. Zugleich würde es bestimmte Mensch-Tier-Interaktionen, die mindestens von Menschen als sehr positiv und bereichernd erlebt werden, nicht mehr geben – aber vielleicht dafür mehr Kontakte mit wildlebenden Tieren.

Der von dir mitgegründete Verein „Mensch Tier Bildung e.V.“ orientiert sich an Kinder und Jugendliche, der sich mit der Situation von „Nutztieren“ in unserer Gesellschaft beschäftigen. Wie erfolgreich und nachhaltig sind die hier vorgestellten Bildungsangebote bei der Klientel?
    Wir machen derzeit noch keine langfristige Evaluation unserer Workshops. Während der Veranstaltung sind viele Kinder und Jugendliche sehr engagiert dabei und äußern in den Abschlussrunden auch oft, dass sie viel gelernt haben und ihr eigenes Verhalten, insbesondere beim Fleischkonsum, überdenken und teilweise verändern wollen.

Friederike, ich gehe davon aus, dass du Veganerin bist. Hast du ein tolles Rezept parat?
    Ich koche weitgehend regional und saisonal, oft auch mit Gemüse aus dem eigenen Garten. Einfach und lecker ist z.B. Backgemüse aus dem Ofen mit Pesto z.B. aus Wildkräutern wie Brennessel mit viel Knoblauch, Olivenöl, Hefeflocken und Salz und Pfeffer.

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Tiere essen – dürfen wir das?

In diesem Buch argumentiert Friederike gegen den Fleischkonsum und für eine grundlegende Agrar- und Ernährungswende. Zuerst zeigt sie auf: Schon aus sehr verbreiteten Überzeugungen – dass wir Tieren nicht ohne gewichtigen Grund Leid und Schaden zufügen sollten – folgt, dass die aktuelle Nutztierhaltung inklusive der Biohaltung sich nicht rechtfertigen lässt. In einem zweiten Schritt diskutiert sie die theoretische Frage, ob wir Tiere töten und essen dürften, sofern sie ein ‚gutes Leben‘ gehabt hätten. Das Buch ist Anfang August 2020 erschienen.