LOTTA #83
64 DIN-A-4-Seiten; € 3,50.-
Lotta, Am Förderturm 27, 46049 Oberhausen
www.lotta-magazin.de
Der Schwerpunkt ‚Sprete Fashizma‘ skizziert die stärker werdenden autoritären rechten Parteien und neofaschistischen Bewegungen in (Süd)Osteuropa, insbesondere in den Ländern, die während des
Zweiten Weltkrieges aktiv mit Nazi-Deutschland zusammengearbeitet haben. Zeitliche und räumliche Kristallisationspunkte sind die Ehrung der Täter von Gestern. Diese Kriegsverbrecher und
Massenmörder werden als Märtyrer stilisiert und dienen im Zuge der eigenen nationalistisch-faschistischen Erzählung der Propagierung von Antikommunismus, Antisemitismus, Antiziganismus, der Hetze
gegen Homosexuelle und Geflüchtete.
In Sofia wird seit 2003 der Lukov-Marsch jährlich zum Gedenken des bulgarischen Generals und einstigen Kriegsministers Hristo Nikolov Lukov abgehalten und sind in Bulgarien immer wieder Bestand
politischer und gesellschaftlicher Diskussionen. Ungeachtet seines formellen Verbots ist der Lukov-Marsch zum fixen Termin geworden nicht nur für bulgarische Neonazis, sondern auch für ihre
ausländischen „Kameraden“.
In Budapest findet jedes Jahr der sogenannte „Tag der Ehre“ statt. Seit Ende der 1990er Jahre versammeln sich jährlich im Februar Neonazis in der ungarischen Hauptstadt, um dem Ausbruchsversuch
deutscher und ungarischer Soldaten aus der von der Roten Armee belagerten Stadt in 1945 zu gedenken. Das unter dem Namen „Tag der Ehre“ bekannte Neonazi-Event ähnelt heute eher einer
„Gedenkwoche“. In Ungarn ist ein Geschichtsrevisionismus in der politischen Klasse an der Tagesordnung. Im Interview mit Magdalena Marsovzsky wird die Täter-Opfer-Umkehr und die
„antibolschewistische“ Sicht thematisiert, die mit Antisemitismus einhergeht.
Doch es gibt auch antifaschistischen Widerstand in Sofia und Budapest. Die reaktivierte Kampagne „NS-Verherrlichung stoppen!“ hat das Ziel die geschichtsrevisionistischen Aufmärsche in Europa zu
stoppen. Darüber hinaus soll die Kampagne auf internationaler Solidarität beruhen und als Graswurzelkampagne Genoss*innen unterschiedlicher politischer Herkunft verbinden. Dies bedeutet konkret
eine Vernetzung von unten zu organisieren, ohne Hoffnung in eine Demokratisierung der national-neoliberalen EU zu stecken.
Gesamteindruck:
Die ungarische Regierung ist eine der treibenden Kräfte des Geschichtsrevisionismus in Europa. So wirbt Premierminister Victor Orban dafür, den realexistierenden Sozialismus und den Faschismus gleichzusetzen. Mit der Einführung eines europaweiten Gedenktages für die Opfer aller „totalitärer Regime“ wird die Täter-Opfer Gleichsetzung auf die Spitze getrieben. Diese geschichtsrevisionistische Umschreibung findet auch in konservativen, liberalen und grünen Parteien in Europa Anklang und hat direkte Auswirkungen auf die heutige Politik. Von Deutschland gingen Krieg und Vernichtung aus, aber andere Staaten kollaborierten willentlich und bewusst, weil sie sich einen Vorteil davon versprachen oder es ideologische Übereinstimmungen mit den deutschen Faschisten gab. Durch die Gleichsetzung von Faschismus und Kommunismus müssen sich die Staaten, die mit dem faschistischen Deutschland willentlich und bewusst kollaboriert haben nicht mit dem eigenen Nationalismus, Antisemitismus, Antiziganismus und Sozialdarwinismus auseinandersetzen. Seit einigen Jahren wächst der Widerstand gegen das Nazi-Gedenken. Getragen von lokalen Antifas, Roma, LGBTIQ*-Personen und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen gibt es Gegenproteste. Internationalistischer Antifaschismus muss sich aufeinander beziehen und die Kämpfe verbinden.