Wer von euch liest eigentlich die Sprüche/Slogans auf den unzähligen Wahlplakaten, die derzeit jeden Baum/Laternenpfahl zieren? Ein Kopf, ein Spruch mit Wörtern wie Hashtags, die haften bleiben sollen: Respekt, solidarisch, gemeinsam für irgendetwas werden ergänzt mit „Jetzt“ „mehr“ (gefolgt von wahlweise Geld, Solidarität, Sicherheit). DIE PARTEI hat es anders gemacht und diese inhaltsleeren Floskeln karikiert:
„Wirr ist das Volk!“, „Du hast Rechte!“, „Inhalte überwinden!“ In Italien aber ist alles möglich. Hier werden ehemalige Porno-Darstellerinnen zum Aushängeschild einer Partei, und sich alle Augen
wirklich nur auf die Figur richten. Tina Ciaco wollte bei den anstehenden Abstimmungen im Herbst in Salerno in Kampanien für die Partei Nuovo Psi antreten. Ihre geplante Kandidatur sei
jedoch von anderen Politikern als unethisch befunden und verhindert worden. Die in Salerno geborene Schauspielerin und heutige Filmproduzentin wollte sich nach eigenen Angaben für Frauenrechte
und gegen sogenannte Rache-Pornos einsetzen. Dabei unterstützt Nuovo Psi gemeinsam mit rechten und konservativen Parteien wie der Lega, Forza Italia. Das Pendant wäre hierzulande etwas, wenn
Beatrix von Storch oder Alice Weidel...ach nee, die sind ja keine (Ex)Pornodarstellerinnen. Vor Tina Ciaco hat bereits Ilona Staller aka Cicciolina mehrfach ungefragt
ihre Brüste bzw. die Waffen einer Frau eingesetzt. 1985 schloss sie sich dem Partito Radicale an und kämpfte gegen Nuklearenergie, für Menschenrechte und gegen den Hunger in der Welt. Sie wurde
1987 in das italienische Parlament gewählt – zu jener Zeit hatten Frauen 6,5 Prozent der Sitze dort inne. Cicciolina provozierte öffentliche Skandale: 1988 war sie in Venedig halb nackt auf das
Reiterstandbild des Bartolomeo Colleoni gestiegen, um Fans mit nacktem Busen zu begrüßen. Wegen „obszöner Akte in der Öffentlichkeit“ wurde sie später in Venedig zu fünf Monaten auf Bewährung
verurteilt. Staller ist auch heute politisch aktiv. Sie tritt für eine sichere Zukunft ohne Nuklearenergie und für absolute sexuelle Freiheit, einschließlich des Rechts auf Sex für Insassen von
Gefängnissen und der Legalisierung von Bordellen ein. Sie wendet sich gegen jede Form von Gewalt, gegen Todesstrafe und Tierversuche.
Nackte Tatsachen schaffen offenbar mehr Klarheit, als Laschets „Zuhören. Entscheiden. Handeln”-Blödsinn. Dabei sollten eigentlich mehr Politiker*innen im Wahlkampf auf Transparenz setzen. 2015
hatte der parteilose Kandidat Erik Wagner alle Register gezogen, um die Wähler*innen von seinen Qualitäten zu überzeugen: Auf seinen Plakaten posierte der 51-Jährige als der „Cowboy von
Amager“ (eine Insel bei Kopenhagen, auf der er wohnt). Das Bild zeigte ihn mit Cowboyhut und einem Pistolenhalfter – ansonsten splitterfasernackt. Sogar sein Penis war unverpixelt auf dem Plakat
zu sehen. Im Bundestagswahlkampf 1994 macht Thomas Krüger zum ersten Mal auf sich aufmerksam. Nackt posierte er auf einem Wahlplakat und warb unter dem Motto „Eine ehrliche Haut“ für sich und die
SPD.
Mitunter ist Wahlwerbung sexistisch. Die Junge Union im ostfriesischen Wittmund setzte ganz auf Sex mit dem Spruch: „Sex am Arbeitsplatz. Schade, dass 5 Millionen Deutsche ihn nicht wählen
können!“ Darunter abgebildet eine nackte Blondine. Selbstverständlich ging es den männlichen Jungpolitikern allein um den Erhalt von Arbeitsplätzen.
In Bayern warb die JU im oberbayerischen Grafing für „schwarze Spitze“. Auf dem Plakat: Eine Frau in schwarzer Spitzenunterwäsche.
Auch in Polen ist frau freizügig. 7 nackte Frauen warben in PETA-Manier für „saubere Absichten“ und: „Polen ist eine Frau", steht auf dem Schild, das die Frauen in die Höhe halten. Ganz wie Jahre
zuvor der SPD-Politiker Thomas Krüger in Berlin wollen die Politikerinnen damit im polnischen Wahlkampf 2007 zeigen, dass sie nichts zu verbergen haben. Sie seien ehrlich und hätten „saubere
Hände, saubere Herzen und hehre Absichten“.
Tania Derveaux aus Belgien hat ihr Wahlversprechen nicht eingelöst. Als nackter Engel mit einem Bleistift im Mund posierend versprach sie „I will give you 40.000 Blowjobs“ und sorgte für
40.000-fache Enttäuschung.
Grüner wirds nicht. Auf dem Wahlkampfplakat von Bündnis 90 / Die Grünen zur Bundestagswahl am 22. September war zu lesen: „Grün wirkt. Wir machen´s gleich! Gleiche Rechte für Lesben, Schwule und
Heteros.“ Auf dem Plakat zu sehen: 2 nackte Frauen* und Männer*, wobei jeweils eine*r der/dem andere*n die Brustwarzen piekt.
In Zeiten, in denen gerne verschleiert und vertuscht wird, machen „nackte Tatsachen schaffen“ durchaus Sinn. Allerdings nur dann, wenn sie nicht sexistisch sind. Was sexy ist und was sexistisch,
erklärt pinkstinks mit einer Kampagne auf den Plakaten: „Frauen lieben es Dessous zu tragen. Keine Frau liebt es nur Deko
zu sein.“ pinkstinks erklärt den Unterschied: „Sexualisierung ist nicht per se diskriminierend. Sie kann aber diskriminierend sein, und dann ist es Sexismus. Immer noch scheinen sehr wenig
Menschen zu verstehen, dass Sexismus nicht „irgendwas mit Sex oder nackter Haut“ ist.
Wer sich und seinen Körper als „nackte Tatsache“ zum Besten geben will und sich dadurch nebenbei auch politisch für etwas einsetzt, tut dies eher freiwillig und hat wahrscheinlich persönliche
Gründe dafür. Wer sich frei und nackt oder „ästhetisch“ fotografieren lassen will, kann und wird das einfach machen. Wenn der nackte Körper dann für etwas wirbt, also für einen BH, für eine
politische Botschaft, ist das auch okay. Nackte Haut machen Wahlplakate natürlich interessanter. Das Resultat der Selbstinszenierung führt mitunter zu medialer Aufmerksamkeit und ein wenig
Rummel. Eine Revolution oder der Weltfrieden kann dadurch nicht erreicht/gewonnen werden. „Naked News“ möchte mehr Zuspruch erhalten. Dabei sollte mensch Enthüllungsjournalismus nicht immer
wörtlich nehmen. Beim Nachrichtenüberblick öffnen Moderatorinnen von nakednews.com die ersten Knöpfe, und
spätestens beim Wetterbericht stehen sie nackt vor der Kamera. Das Werbung mit nackter Haut nach hinten losgehen kann, liegt vor allem an sexistische Werbung/sexistischen Inhalten. Der Discounter
Netto wollte seine unverpackten Lebensmittel bewerben. Doch die junge Frau, die ihre Brüste mit zwei Paprika/Weintrauben/Tomaten bedeckt, oder der junge Mann, der sich einen Kopfsalat vor den
Penis hält, lösten im Netz einen Shitstorm aus. Ehrlich jetzt: Gleichberechtigung im Sexismus zu schaffen? Die 1950er haben angerufen – sie hätten gerne ihre peinlichen Reflexe, ihren
Rolle-Klischees und die Überzeugung zurück, dass sich wirklich alles mit nackten, jungen Menschen verkaufen lässt. Das gilt auch für die Junge Union und besonders für die AfD mit ihrer extrem
rechten Wertevorstellung und Rollenbildern. Also lieber weiter Klartext reden, Widersprüche aufzeigen; aufzeigen, wo die weiblichen Stärken in der Kommunikation liegen: Von welchen Faktoren ihre
Wirkung auf andere abhängt? Körpersprache ja, aber Nein zum Sexismus!