Letztes Jahr hat die Brüsseler Band Lavender Witch ihr Debütalbum mit dem Titel „Awakening“ veröffentlicht!
Beeinflusst von der Riot-Grrrl-Bewegung, Grunge, Postpunk und Frauenbands ist „Awakening“ das fehlende Glied zwischen Hole und Bikini Kill. Textlich und als Aktivistinnen sind sie inspiriert von
der zweiten Welle des Feminismus, wie den Gruppen WITCH und Lavender Menace, sowie von transrevolutionären, antirassistischen und intersektionalen Feministinnen von heute. In ihren Texten geht es
um feministische Themen wie Manspreading, Menstruation und rebellische Musen, aber auch um persönliche Geschichten, in denen Frauen* sich als Außenseiter*innen fühlen oder in Beziehungen nicht
respektiert werden.
Who are we?
»Brussels, each wednesday night,
when the moon is bright
and the stars align.
Five witches convene
plotting to take over the punk music scene & put a hex on patriarchy
We invoke this incantation with some eyes of newt a serpent’s tongue and period blood. A witch is a vessel for resistance, full of magic and revolution.
So watch out for this lavender menace.
Girls to the front
Toxic masculinity will fall«
Wie habt ihr als Musikerinnen zusammengefunden?
Gudrun (Bass): Ich kenne Nina schon eine ganze Weile. Wir haben uns vor vielen Jahren durch ein gemeinsames Interesse an feministischem Aktivismus
kennengelernt. Wir waren beide Teil eines feministischen Kollektivs in Gent namens FEL (was übersetzt Feminist And Leftist heißt). Ich wusste, dass Nina aufgrund ihrer Arbeit mit Vagina Dentata
(ihrer früheren Band) eine begabte Musikerin ist. Sie sagte, sie kenne jemanden, der in Brüssel eine Band gründen wolle und nach anderen Musikerinnen mit Interesse am Feminismus suche. Obwohl ich
keine formale musikalische Ausbildung habe, besaß ich einen Bass, der irgendwo in einer Ecke stand und Staub ansetzte, kaum berührt, seit ich ihn vor langer Zeit aus einer Laune heraus gekauft
hatte. In einer Band mitzuspielen schien mir eine gute Gelegenheit zu sein, endlich zu lernen, wie man ihn richtig spielt. Delphine, An-So, Nina, Elise (unsere erste Schlagzeugerin, jetzt
Ex-Bandmitglied) und ich trafen uns zunächst in einer Bar in Brüssel, um uns kennenzulernen und über unsere musikalischen Einflüsse, unsere Erwartungen, unsere bisherigen Banderfahrungen usw. zu
sprechen. Nina war die einzige, die ich bereits kannte, aber wir haben uns alle sofort gut verstanden. Wir fanden heraus, dass wir viele Gemeinsamkeiten hatten, unter anderem die Liebe zum 90er
Grunge und zur Riot Grrrl-Bewegung. Wir sprachen darüber, welche Instrumente wir gerne spielen würden und wie wichtig es ist, einen sicheren Raum zu schaffen, in dem wir Musik schreiben und
aufführen können, begleitet von einer DIY-Einstellung. Nach diesem Treffen haben wir ziemlich schnell unseren ersten und bisher einzigen Proberaum gefunden und sind seitdem
zusammen.
Nina (Gitarre/Gesang): Ja, es war Delphine, unsere Sängerin, die mich fragte, ob ich Musikerinnen kenne, die Interesse daran hätten, eine neue Band zu gründen.
Ich hatte Delphine bei einer von mir organisierten Zine-Veranstaltung kennengelernt. Eigentlich habe ich auch Gudrun zum ersten Mal bei einer Zine-Veranstaltung getroffen. Zines bringen
offensichtlich Menschen zusammen! Als Delphine mich kontaktierte, spielte ich in keiner Band, aber ich hatte auch nicht vor, einer neuen Band beizutreten. Also empfahl ich Delphine, sich mit
Gudrun und An-So in Verbindung zu setzen. An-So kannte ich vor allem von den Konzerten, die sie mit Pullet Rocks organisiert. Ich glaube, sie hatte mir erzählt, dass sie Gitarre spielt, und dann
dachte ich: Na ja, warum nicht mal einen Versuch wagen?! Und jetzt ist die Band so wichtig für mich geworden und hat mir so viel Freude, Energie und Inspiration gegeben, dass ich so froh und
dankbar bin, dass ich gefragt wurde, ja gesagt habe und dabei bin. Ich bin auch sehr froh und dankbar, dass unsere jetzige Schlagzeugerin Nathalie vor fast zwei Jahren zu uns gestoßen ist. Ihr
Enthusiasmus ist ansteckend und ihre Fähigkeiten heben unsere Songs auf das nächste Level. Wir werden hoffentlich bald ein paar Songs mit ihr aufnehmen können!
„Lavendel ist das Kraut, das gegen die Tyrannei des Menschen eingesetzt wurde. Lavendel ist die Bedrohung, die den Unterdrücker auslöschen wird (…).“ Wie kann Lavendel über das
Patriarchat triumphieren?
Gudrun (Bass): Es gibt 3 Gründe, warum wir Lavendel mögen und ihn in unseren Bandnamen aufgenommen haben und ihn auch in unseren Texten erwähnen.
Der erste Grund sind die Eigenschaften, die mit dem Kraut in Verbindung gebracht werden (sowohl in der Hexerei als auch im Volksmund). Zum Beispiel: Ruhe, Liebe und die Fähigkeit, sowohl zu
entspannen als auch zu erheben. Diese Qualitäten scheinen auf den ersten Blick im Widerspruch zu dem feministischen Kampf zu stehen. In Wirklichkeit geht es darum, die Geschlechterstereotypen
loszuwerden, die Weiblichkeit mit Friedfertigkeit oder Gehorsam, mit mehr Naturverbundenheit usw. assoziieren. Wir sind der Meinung, dass es sich trotz dieser möglicherweise negativen Konnotation
um wertvolle Eigenschaften handelt, die im Aktivismus wirklich gebraucht werden (vor allem, um ein Burn-out zu vermeiden). Vielleicht dienen sie auch dazu, andere Praktiken auszugleichen, wie
z.B. die direkte Aktion (die manchmal das genaue Gegenteil von Ruhe erfordert). Es gibt hier auch eine Verbindung zu Radical Softness, aber das würde in Bezug auf dieses Interview etwas zu weit
führen, denke ich. Für Leute, die sich für dieses Thema interessieren, empfehle ich die Lektüre von Audrey Wollens „Sad Girl Theory“.
Der zweite Grund: Der Zusammenhang mit dem (radikalen) Feminismus und dem Bestreben, das Patriarchat abzubauen, ist vielleicht noch offensichtlicher, wenn man sich die oben von dir erwähnten
Liedtexte ansieht (Lavender is the menace). Die Lavender Menace (etwa: Die lila Bedrohung) waren eine Gruppe von lesbischen Radikalfeministinnen, die am 1. Mai 1970 auf dem Zweiten Kongress zur
Vereinigung von Frauen (WOW) in New York City gegen den Ausschluss von Lesben und lesbischen Themen aus der feministischen Bewegung protestierten. Sie sind eine Quelle der Inspiration für viele
lesbische und/oder radikale Feministinnen.
Der dritte Grund: Die violette Farbe Lavendel spricht uns an, weil sie historisch mit der Frauenrechtsbewegung verbunden ist. Sie steht für Gerechtigkeit und Würde.
»Ich sehe die Band als eine kleine Gemeinschaft, in der wir uns umeinander kümmern und respektvoll miteinander umgehen, ohne große Egos, die uns im Weg stehen. Die Art und Weise, wie wir miteinander kommunizieren, ist die Art und Weise, von der ich mir wünsche, dass wir alle so miteinander umgehen würden.«; Gudrun
Ihr sagt: „Wir sind die seltsamen Mädchen“. Das klingt so, als würdet ihr euch selbst stigmatisieren und Ausgrenzung produzieren?
Nina (Gitarre/Gesang): In dem Song geht es darum, sich in einem engstirnigen Umfeld als Außenseiterin oder Ausgestoßene zu fühlen und behandelt zu werden. Zum
Beispiel können Menschen, die queer, transsexuell, neurodivergent, fett und/oder anderweitig von sozialen Normen abweichen, an dem Ort, an dem sie leben oder aufgewachsen sind, verächtlich
angeschaut oder über sie getratscht werden. Mit anderen Worten, sie werden von respektlosen und ignoranten Menschen, denen sie begegnen, stigmatisiert und ausgegrenzt. Der Song fordert den
Begriff seltsam zurück und macht ihn zu einer starken kollektiven Identität. Daran habe ich aber nicht gedacht, als ich das geschrieben habe, aber jetzt erinnert es mich auch an die Zeile in dem
Film The Craft, wo eine der Hauptfiguren sagt: „Wir sind die Weirdos, Mister“.
Gudrun (Bass): Ich stimme dem zu, was Nina gesagt hat. Wenn wir uns selbst als „die seltsamen Mädchen“ bezeichnen und andere in unsere seltsame Welt einladen,
ist das ein Weg, einige der Namen, mit denen wir in unserer Kindheit beschimpft wurden, zurückzufordern und ein Gefühl der Gemeinschaft für Menschen zu schaffen, die sich auf die eine oder andere
Weise als soziale Außenseiterinnen gefühlt haben. Nina bezieht sich auf The Craft, und für mich – und ich denke für viele andere – waren andere coole ‚seltsame Mädchen‘ Vorbilder und die zu ihrer
eigenen ‚Seltsamkeit‘ standen – und meine eigene empfundene Seltsamkeit viel erträglicher machten. Das waren Wednesday Addams (aus ADDAMS FAMILY), Lydia Deetz (aus Beetlejuice),
Daria und Enid (aus Ghost World).
Nina (Gitarre/Gesang): Oh ja, ich liebe Wednesday und habe mich als Teenager sehr mit ihr identifiziert.
Eines eurer Lieder enthält Kritik an falschen Propheten. "Du bist nicht meine Schwester. Du bist nur eine Witzfigur. Du nennst dich Feministin, während du uns alle ausbeutest.
Feministin in der Theorie. Verräterin in Wirklichkeit. Bewundert von Gleichgesinnten, während du Queers hintergehst(...)". Gegen wen richtet sich diese Kritik und warum?
Nina (Gitarre/Gesang): Als ich diese Texte schrieb, hatte ich mehrere negative Erfahrungen mit
Mainstream-/institutionalisierten/akademischen/weißen/cis-Feministinnen gemacht und auch Geschichten von Ausgrenzung und Respektlosigkeit von Freunden gehört. Not my sister ist eine
direkte Antwort darauf, dass ich die Nase voll habe von Frauen, die sich selbst Feministinnen nennen, aber andere Feministinnen, Frauen, Trans-Menschen, Queers und Aktivistinnen nicht als
gleichberechtigt behandeln. Sie mögen in der Theorie Feministinnen sein, aber in der Praxis müssen sie noch viel über Intersektionalität, den Kampf gegen Hierarchien und die Überprüfung ihrer
eigenen Privilegien lernen. Natürlich kann jede*r noch etwas lernen, auch ich, und zum Glück wissen die meisten Feministinnen, wie sie sich ihren Schwestern, Geschwistern und Genossinnen
gegenüber respektvoller verhalten können. Der Song ist also aus dieser Enttäuschung heraus entstanden.
Eine der nachhaltigsten Errungenschaften der ersten Welle des Punk war das Aufbrechen traditioneller Normen und Rollenklischees. Punk ermutigte Frauen*, mit traditionellen
Geschlechterrollen zu experimentieren und diese zu reflektieren (z.B. THE SLITS, Siouxsie Sioux, Poly Styrene). Was war die Initialzündung für deinen Feminismus? Gab es bestimmte Bilder,
Songtexte oder Interviewaussagen von Künstlerinnen, die euch stark beeinflusst haben?
Gudrun (Bass): Ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern, was genau mich dazu inspiriert hat, mich als Feministin zu bezeichnen. Es scheint etwas zu sein,
das schon immer da war, das aus einem frühen Bewusstsein dafür entstanden ist, was es bedeutet, als junges Mädchen aufzuwachsen. Vielleicht hat es etwas mit einer meiner frühesten
Kindheitserinnerungen zu tun, in der mich eine Gruppe betrunkener erwachsener Männer anmachte, als ich in Begleitung meines Vaters auf dem Weg zur Grundschule an ihnen vorbeiging. Sie machten
Bemerkungen darüber, wie glücklich mein Vater sei, eine so heiße Tochter zu haben. In diesem Moment fühlte ich, wie eine schreckliche Scham in mir aufstieg, ich fühlte mich schmutzig und wollte
nicht mit meinem Vater darüber sprechen, als er sagte, dass das "ein paar schräge Typen" seien. Ich hatte das Gefühl, mich verstecken zu müssen, als ob etwas mit mir nicht stimmte, denn sonst
hätten sie mich nicht ins Visier genommen. Ich habe das Gefühl, dass dies eine allgemeine Angst davor ausgelöst hat, sich in der Öffentlichkeit zu bewegen, da die Gefahr der sexuellen Belästigung
sehr real ist. Eine Angst, die ich zum Glück mithilfe von viel radikalfeministischer Literatur überwunden habe. Ich schätze, diese Erfahrung könnte mein persönliches feministisches Erwachen
gewesen sein. Der Punkt, an dem ich erfuhr, wie es wirklich ist, eine Frau in dieser Gesellschaft zu sein. Und ich denke, jede hat ihren eigenen Moment, ihre eigene Erfahrung, wenn sie sich
dessen bewusst wird.
Zwei Autorinnen, die meinen Feminismus stark geprägt und beeinflusst haben, allerdings auf eine eher formale und theoretische Weise, sind Catharine MacKinnon und Andrea Dworkin.
Durch die Lektüre ihrer Werke war ich in der Lage, viele Zusammenhänge darüber zu erkennen, wie Patriarchat und Frauenfeindlichkeit unsere Lebenserfahrung direkt beeinflussen. Ich betrachte
MacKinnons „Feministische Staatstheorie“ als die (radikale/marxistische) feministische Bibel und kann sie gar nicht genug empfehlen (überspringe nur den ersten Teil, wenn du
dich im klassischen Marxismus nicht so gut auskennst, denn das könnte dich vom weiteren Lesen abhalten).
Heute wird viel über Geschlechterunterschiede und Rollenstereotypen diskutiert, ob Frauen und Männer völlig gleich sind oder ob man die Unterschiede einfach akzeptieren
muss.
Gudrun (Bass): Ich denke, seit in der Wissenschaft Anstrengungen unternommen werden, Gender zu dekonstruieren, haben wir uns von der Debatte, ob man die
Gleichheit oder die Differenz besonders betonen soll, die viele frühere feministische Schriften kennzeichnete, weitgehend entfernt. Heutzutage geht es meiner Meinung nach eher darum, die gesamte
Geschlechtertrennung zu überwinden (was immer das auch heißen mag) und sich von der Vorstellung zu befreien, dass es eine festgelegte, vorbestimmte Art und Weise gibt, wie ein Mann oder eine Frau
zu sein und sich zu fühlen. Ein Denken, das über diese binäre Aufteilung von Männlichkeit und Weiblichkeit hinausgeht, über Stereotypen hinaus und hin zu einer offenen Erkundung all der Dinge,
die die eigene Identität mit sich bringen kann, all der Möglichkeiten, wie eine Person sich ausdrücken kann. Ich glaube nicht, dass es in der aktuellen Debatte darum geht, wie sich Männer und
Frauen zueinander verhalten, sei es durch Differenz- oder Gleichheitsdenken. Der Schwerpunkt hat sich darauf verlagert, alle Arten des binären Denkens kritisch zu hinterfragen und die Idee, dass
es nur zwei feste Geschlechter gibt, zu demontieren.
Ich habe das Gefühl, dass viele meiner Mitschüler über dieses Thema nachdenken, und je mehr sie darüber nachdenken, desto mehr scheinen sie damit zu kämpfen. Ich denke, dieser Kampf hat damit zu
tun, dass sich in jüngster Zeit viele neue Möglichkeiten aufgetan haben, die Identität als etwas zu betrachten, das sich im Laufe der Zeit verändern kann, was zunächst überwältigend erscheinen
kann, weil wir so lange darauf sozialisiert wurden, uns auf eine bestimmte Weise zu verhalten, wie ein guter Junge oder ein nettes Mädchen, und den Schein zu wahren. Aber wenn das alles nicht
mehr stimmt, womit können und wollen wir uns dann noch identifizieren? Wer wollen wir wirklich sein? Wie können wir uns von all diesen verinnerlichten Geschlechterstereotypen befreien, um
herauszufinden, wie eine „authentischere“ Art des Seins aussehen würde? Wie erkennt man den Unterschied zwischen dem, was einem beigebracht wurde, wie man zu fühlen und zu sein hat, und dem, was
man wirklich fühlt und sein möchte?
Wie haben deiner Meinung nach neue feministische Theorien und Praktiken die Situation von Frauen* im Musikgeschäft verändert? Könnt ihr Beispiele nennen?
Gudrun (Bass): Ich denke, meine vorherige Antwort kann als Hintergrund dienen, um die besondere Richtung aufzuzeigen, in die sich neue feministische Theorien
und Praktiken bewegen. Was speziell das Musikgeschäft angeht, gibt es meiner Meinung nach derzeit viele Künstlerinnen – sowohl im Mainstream als auch im Underground – die ihre Kreativität nutzen,
um eine Antwort auf die Fragen zu finden, mit denen ich zuvor geendet habe. Als herausragende Beispiele für die Veränderung der Geschlechterverhältnisse können sie uns dazu anregen, unser eigenes
binäres Denken kritisch zu hinterfragen und nach einem Weg jenseits der verschiedenen Dichotomien zu suchen, die ein vergeblicher Versuch sind, den komplexen Gegebenheiten der Realität einen
Anschein von Ordnung zu verleihen. Und die natürlich nicht nur dazu dienen, ein Gefühl von Ordnung zu schaffen, sondern bewusst als Mittel eingesetzt werden, um Kontrolle zu erlangen, um zu
bestimmen, was richtig und wahr ist. Ein Beispiel dafür ist der nicht-binäre britische Punk-Künstler Jacob V Joyce, der in der Band Screaming Toenail aktiv ist, aber
auch Zines und viele andere wirklich coole Kunstwerke macht.
Ich merke, dass ich mich von dieser spezifischen Frage nach Frauen* in der Musik wegbewege. Wenn du dich dafür interessierst, empfehle ich dir die Lektüre verschiedener Autobiografien, wie z.B.
Kim Gordons „Girl in a Band“, in der sie erklärt, dass der Titel eine Anspielung darauf ist, dass ihr von Interviewern immer wieder die gleiche Frage gestellt wird, nämlich: „Wie ist es, ein
Mädchen in einer Band zu sein?“. Ich bin mehr daran interessiert, zu erforschen, wie man Musik machen kann, die sich mit der Überwindung bestimmter festgelegter Vorstellungen in der Gesellschaft
darüber beschäftigt, wie man sich verhalten oder präsentieren soll, um als geschlechtskonform durchzugehen, unabhängig davon, als was man sich selbst identifiziert.
»Als selbsternannte feministische Band wollen wir natürlich auch den modernen intersektionalen Feminismus repräsentieren, und allein die ‚einfache‘ Tatsache, etwas zu repräsentieren, wenn man im öffentlichen Raum auftritt, hat meiner Meinung nach eine Wirkung (wie klein sie auch sein mag) in der Welt der alltäglichen Dinge.«; Gudrun
Gab es Situationen, in denen du als Musiker mit toxischer Männlichkeit, Sexismus und Vorurteilen konfrontiert warst?
Gudrun (Bass): Oh, auf jeden Fall! Man könnte fälschlicherweise annehmen, dass diese Dinge nicht (so oft) passieren, wenn man Teil einer eher Underground-,
linken, aktivistischen Szene ist. Aber wie jede Frau, die das hier liest, wahrscheinlich weiß und selbst erlebt hat, gibt es reichlich Beispiele für Sexismus, auch zum Beispiel in besetzten
Häusern oder zurückgewonnenen, angeblich ‚sicheren‘ Räumen. Obwohl ich sagen muss, dass wir bisher nur wirklich positive Erfahrungen in besetzten Häusern gemacht haben, wenn wir dort als
Musikerinnen auftraten.
Um auf die Frage zurückzukommen: Seit ich bei Lavender Witch spiele, hatte ich das Glück, eine ganze Reihe von beschissenen Begegnungen zu erleben. Das reicht von leicht unterhaltsamen, aber ach
so nervigen Männergesprächen, über ‚gut gemeinte, konstruktive Kritik‘, um die niemand gebeten hat und die auch niemanden interessiert, die aber trotzdem dafür sorgt, dass man sich hinterher
schlecht fühlt. Wenn man auf der Bühne steht und sich fragt, ob das gleiche in demselben Ton und auf dieselbe Art und Weise gesagt worden wäre, wenn man ein Mann gewesen wäre, bis hin zu einem
Auftritt, der von einem perversen Mann organisiert wurde, der eine von uns in sein Kunstprojekt einbeziehen wollte und versuchte, sie dazu zu bringen, im Austausch für ein paar Bier nackt vor
seiner Kamera zu posieren. Ich will niemanden diskreditieren, aber glaube mir, an diesem Abend wurde eine dicke rote Linie mit seinen Forderungen und seinem Verhalten überschritten, mit dem wir
absolut nicht einverstanden waren. Zum Beispiel: Ich ging auf die Toilette, und als ich gehen wollte, sah ich, dass er in der Schlange wartete, sichtlich erregt über die sexuelle Fantasie, dass
wir zusammen auf der Toilette waren, und Sex haben könnten. Ich bin froh, dass ich keine Skrupel habe, einem solchen Arschloch die Meinung zu sagen, aber es sollte einfach gar nicht erst dazu
kommen.
Eine Möglichkeit, wie toxische Männlichkeit in der deutschen Kultur wirkt, ist zum Beispiel auf politischer Ebene. Es gibt eine politische Partei, die AfD oder Alternative für
Deutschland, die in Deutschland schnell an Macht und Unterstützung gewinnt und deren Ideologien und Überzeugungen auffallende Ähnlichkeiten mit den problematischen Normen der toxischen
Männlichkeit aufweisen. Gibt es ähnliche politische Tendenzen in Belgien und wie beeinflussen sie die öffentliche Meinung?
Gudrun (Bass): Wie überall auf der Welt hat auch Belgien seinen Anteil an rassistischen, unerträglichen, diskriminierenden rechten Ideologien und politischen
Parteien, die leider breite gesellschaftliche Unterstützung erhalten und die, wie zum Beispiel die NVA, von vielen Belgier*innen bei Wahlen gewählt werden. Wir sind ein sehr rassistisches Land,
deshalb sind sie sehr beliebt. Es sollte nicht überraschen, dass die Rechte der Frauen für sie ein Witz sind. Sie stützen sich stark auf eine rassistische Ideologie, um den Islam und Praktiken
wie das Tragen einer Burka zu kritisieren. Angeblich, weil sie sich so sehr um die Rechte der Frauen sorgen, aber in Wirklichkeit benutzen sie diese angebliche Sorge nur als Rechtfertigung, um
ihren eigenen rassistischen Diskurs fortzusetzen und die öffentliche Meinung über den Islam und seine Anhänger zu beeinflussen. Glücklicherweise gibt es auch ein recht bekanntes feministisches
Gegengewicht, eine Organisation namens BOEH (was für ‚being the boss of or over your own head‘ steht), die sich entschlossen für das Recht der Frauen einsetzt, selbst zu entscheiden, was
sie mit ihrem eigenen Körper tun oder nicht.
Es gibt viele Ähnlichkeiten zwischen toxischer Männlichkeit und den Überzeugungen der AfD, aber zwei Gemeinsamkeiten, die zu den sozialen Problemen beitragen, sind, dass beide Gruppen
eine Tendenz zur Gewalt haben und dass beide Gruppen Hass auf Menschen zeigen, die nicht cis-geschlechtlich männlich sind. Wie kannst du als Musikerin dazu beitragen, Feminismus und
Intersektionalität im Alltag zu entwickeln?
Gudrun (Bass): Mein allgemeiner Ratschlag, um Feminismus und Intersektionalität in den Alltag zu integrieren, unabhängig davon, ob man Musiker*in ist, wäre,
Augen und Ohren offen zu halten, so viele Bücher wie möglich zu lesen und so viele Informationsquellen zu nutzen, die einem zur Verfügung stehen, um sich weiterzubilden und diese Informationen
mit allen zu teilen, die bereit sind, zuzuhören. Verschwende deine Zeit nicht mit dem Versuch, jemanden mit Argumenten von etwas zu überzeugen, denn das wirst du nicht schaffen, egal wie
stichhaltig die Argumente auch sein mögen. Wenn sie nicht offen dafür sind, ist es reine Zeitverschwendung. Es ist besser, seine Energie dort einzusetzen, wo sie wirklich gebraucht wird, wo sie
eine positive Wirkung entfalten kann. Zum Beispiel in Situationen, in denen du aus erster Hand Zeuge von etwas Diskriminierendem bist. Sei nicht nur Zuschauer*in, sondern mische dich ein und
stelle den Sachverhalt richtig. Ein Arschloch nach dem anderen. Macht weiter. Eines Tages werden wir es schaffen und das Patriarchat überwinden. Achte auf eine gesunde Selbstfürsorge. Kümmere
dich um deine Mitmenschen. Seh nach, wie es anderen geht, finde deine Gemeinschaft und halte Ausschau nach anderen, die mitmachen wollen. Hinterfrage alle vorgefassten Meinungen, die du
vielleicht hast, und hinterfrage kritisch deine eigenen Privilegien. Hör zu, wenn jemand spricht.
Ich sehe meine Rolle als Musikerin bei all dem darin, Musik zu machen, die von Natur aus persönlich und damit politisch ist. Ich nutze Texte und verschiedene Medien wie Zines, um das Bewusstsein
für intersektionale feministische Themen zu schärfen und dabei Spaß zu haben. Musik zu machen ist ein Weg, meine eigene Selbstfürsorge zu praktizieren. Es ist ein Weg, meine eigenen aggressiven
Gefühle und Impulse, die durch das verursacht werden, was ich gerade durchmache, in etwas zu kanalisieren, das außerhalb meiner selbst liegt und diese Aggression nicht weiter nach innen oder
gegen mich selbst zu richten.
Ich sehe die Band als eine kleine Gemeinschaft, in der wir uns umeinander kümmern und respektvoll miteinander umgehen, ohne große Egos, die uns im Weg stehen. Die Art und Weise, wie wir
miteinander kommunizieren, ist die Art und Weise, von der ich mir wünsche, dass wir alle so miteinander umgehen würden.
Als selbsternannte feministische Band wollen wir natürlich auch den modernen intersektionalen Feminismus repräsentieren, und allein die ‚einfache‘ Tatsache, etwas zu repräsentieren, wenn man im
öffentlichen Raum auftritt, hat meiner Meinung nach eine Wirkung (wie klein sie auch sein mag) in der Welt der alltäglichen Dinge.
Ihr nutzt dafür auch andere Medien wie Fanzines. Welche Bedeutung haben Fanzines als Medium für euch und was sind die wichtigsten Aspekte?
Gudrun (Bass): Wieder einmal war es Nina, die mich mit Zines bekannt gemacht hat, und so haben wir uns auch kennengelernt (ich war auf einem
24-Stunden-Zine-Event, das sie veranstaltet hat). Vor diesem Tag wusste ich über Zines Bescheid und interessierte mich für sie, weil ich zum Beispiel Riot Grrrl Zines entdeckt hatte, aber ich
hatte nie eines gemacht. Das ist Jahre her, aber ich hatte so viel Spaß bei der Herstellung dieses ersten Zines, es war eine so kathartische Erfahrung, dass ich seitdem (wenn auch nicht
regelmäßig) verschiedene Arten von Zines gemacht habe, die sich normalerweise mit Fragen der psychischen Gesundheit beschäftigen. Sie behandeln persönliche Probleme wie Sucht, sie sind eine
Möglichkeit für mich, mit vergangenen und aktuellen Traumata umzugehen, sie dienen als Plattform, um über beliebige Dinge zu sprechen, die ich mag, und sie helfen mir, mit Menschen in Kontakt zu
kommen, vor allem, wenn ich an Zine-Messen teilnehme.
Zines sind ein großartiges Beispiel für die DIY-Einstellung, die wir in der Band alle lieben. Sie sind eine weitere Möglichkeit, bestimmte Geschichten zu erzählen, so wie unsere Musik oder die
Kunstwerke, die Nina für die Band macht, bestimmte Geschichten über unser Leben oder über das Leben im Allgemeinen oder über gemeinsame Themen von Menschen am Rande der Gesellschaft erzählen. Die
Zines, die wir zu unserer Musik machen, fügen nur eine weitere Ebene oder eine weitere Stimme zu dem hinzu, was wir zu sagen versuchen. Und was wir zu sagen versuchen, hat viel mit dem Standpunkt
zu tun, dass das Persönliche politisch ist. Das bedeutet, dass in jeder persönlichen Erfahrung ein Echo eines viel umfassenderen Phänomens steckt, etwas, das mit Sicherheit auch von anderen
erlebt wird. Es ist wichtig, all diese verschiedenen Arten von privaten Erfahrungen zu teilen, denn durch die Praxis des Teilens können wir ihre Gemeinsamkeiten erkennen und Trost füreinander
finden. Dadurch werden auch die größeren Machtstrukturen sichtbar, die diese Erfahrungen prägen und die uns jeden Tag beeinflussen. Unsere Geschichten zu teilen, sei es durch unsere Musik oder
unsere Zines, ist unsere Art, uns zu wehren, zu protestieren, unserer Stimme Gehör zu verschaffen, Stellung zu beziehen und zu versuchen, diese Machtstrukturen einzureißen, indem wir sie als das
entlarven, was sie sind und wie sie mit unserer gemeinsamen Existenz verwoben sind.
Nina (Gitarre/Gesang): Ich bin mit allem einverstanden, was Gudrun sagt. Zines sind ein zugängliches Medium, um sich auszudrücken, sogar noch mehr als Musik,
weil man keine ausgefallenen Materialien braucht, um sie zu machen (nur Papier + einen Stift + Zugang zu einem Kopierer oder Drucker). Jede*r kann sie machen, egal wie gut man ist. Ich glaube
auch, dass jede*r Musik machen kann, aber ein Instrument in die Hand zu nehmen, könnte etwas einschüchternd sein. Die Zine-Community ist auch sehr einladend und ermutigend für Neulinge, was ich
sehr schätze. Es ist sehr feministisch und politisch, unsere eigenen Medien zu machen, unsere Gedanken mitzuteilen und den Inhalt und Stil ohne externe Redakteure zu kontrollieren. Also, macht
jetzt ein Zine!
Hat euch schon mal jemand nützliche Ratschläge gegeben, wie man sich in der Musikindustrie zurechtfindet? Welchen Rat würdet ihr einer Musikerin geben, die gerade erst
anfängt?
Gudrun (Bass): Ich kann mich nicht an eine bestimmte Person erinnern, die mir diese Art von persönlichem Ratschlag gegeben hat, aber ich habe viel gelernt,
indem ich mit anderen Musiker*innen gesprochen habe, die Teil der gleichen Gemeinschaft in Brüssel sind und/oder mit denen wir befreundet sind. Es ist eine Gemeinschaft, in der sich Feminismus
mit Musik, mit Queer-Sein und mit linkem Denken und Aktivismus im Allgemeinen überschneidet. Eine Gemeinschaft, die versucht, inklusiv zu sein und einen sicheren Raum zu schaffen, um unsere
eigenen und die kreativen Bestrebungen anderer zu erkunden.
Mein Rat für angehende Musikerinnen und Musiker*innen wäre, eine eigene Gemeinschaft zu finden, in der ihr euch willkommen fühlt – wenn ihr nicht schon Teil einer solchen seid – und zu versuchen,
dort ein paar Auftritte zu bekommen.
Macht euch nicht zu viele Gedanken darüber, wie ihr am besten klingen könntet. Konzentriert euch nicht darauf, euer Instrument fehlerfrei zu spielen. Diese Dinge sind zweitrangig und werden dich
nur stressen. Das Wichtigste ist, dass du Spaß hast und dass du etwas machst, das dir selbst entspricht. Etwas Wahres und Ehrliches, etwas Verletzliches und Unvollkommenes. Denn genau so sind
Dinge, die echt und wahr und ehrlich sind. Ich bin davon überzeugt, dass so etwas immer einen Weg finden wird, bestimmte Leute zu berühren, die es hören. Es wird immer jemanden geben, der sich
damit identifizieren kann.
Versucht nicht, etwas zu sein, was ihr nicht seid, versucht nicht, einer verqueren Vorstellung gerecht zu werden, die ihr in eurem Kopf habt, wie ihr rüberkommen müsst, zu cool für die Schule.
Die Leute durchschauen das sofort. Sei kein Arsch.
Lass dich vom Alltag und von alltäglichen Situationen inspirieren. Hab keine Angst vor Experimenten, mach dich nicht verrückt. Mach dir nicht zu viele Gedanken darüber, was die Leute über dich
denken werden. Kümmere dich nicht zu sehr darum, ob und wann sie dir sagen, was sie über dich denken. Sei nicht allzu überrascht, wenn das passiert. Denn ihr stellt euch ja selbst in den
Vordergrund und das erweckt bei außen stehenden Leuten den Eindruck, dass sie nicht nur das Recht haben, sich ihre eigene Meinung über euch zu bilden (was sie natürlich auch dürfen), sondern
auch, dass es ihnen freisteht, sich euch mitzuteilen, wie unverblümt auch immer. Das ist in der Regel nicht böse gemeint, obwohl es verletzend sein kann, vor allem, wenn man etwas sehr
Persönliches geschrieben hat.
Ich habe das Gefühl, dass ich mit einigen abschließenden Worten der Weisheit schließen sollte, aber ich habe das Gefühl, dass ich bereits ein gewisses Maß an Kitschigkeit überschritten habe, mehr
als mir eigentlich lieb ist, und werde deshalb hier aufhören. Wir sehen uns auf der anderen Seite.
Homepage: https://lavenderwitchband.wordpress.com/