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Liebe und Hass als emotionaler Sprengsatz

Musiker*innen streiten sich über eine gemeinsame musikalische Zukunft, finden keinen Konsens, trennen sich und gehen getrennte Wege. In einer Beziehung kann das ähnlich ablaufen. Eine Beziehung kann toxisch sein. Vergiftende Beziehungsmuster sind u.a. durch Egoismus, Unterdrückung und Kontrollsucht durch eine*n der Partner*innen gekennzeichnet.

Verhaltensweisen wie Beleidigungen, Kränkungen und Ignoranz und Verkehrungen der „Tatsachen“ (Du bist krank! Du bist nicht normal!) prägen das Konstrukt. Obwohl es eine innere Stimme gibt, die dir dringend zu einer Trennung rät, kommst du von dem/der Partner *in nicht los. Kommt es dann zur Trennung, wird es dann gefährlich, wenn der/die Verschmähte*r nicht akzeptieren kann und will, verlasen worden zu sein und beginnt, den/die Ex zu „stalken“.
Vielen Täter*innen geht es zunächst nur darum, den/die Partner*in zurückzugewinnen. Schließlich ist es laut ihrem Empfinden ihr Besitztum, über das Täter*innen die totale Kontrolle haben wollen und alles tun, diese auch über alle moralisch-ethische Grenzen hinweg wiederzuerlangen. Nicht zu akzeptieren, dass mensch zurückgewiesen wurde, bedeutet in der Folge, dass ein Hinterherlaufen als Protesthaltung bizarre Formen annimmt: Realitätsverzerrung bishin zu Mord. Motive wie Liebeswahn, Hass, Rache, Kontrolle, Macht sind und waren auch immer Anlass für Musiker*innen, über das „Stalking“ Texte zu schreiben. Liebe und Hass als konstruktive/destruktive Symbiose für eine intensive, wechselseitige Abhängigkeitsbeziehung.


„Augen-sehen-Küsse-spüren, Liebe ohne Krampf(...)Weiter geht’s. Der erste Streit-die Eifersucht-wir tun uns leid. Krampf-Gewalt-Schluss, wir hassen uns(...)Ich bin genauso blöd wie du!“ (DAS MOOR-Kreislauf)


Die meisten Menschen kennen Police‘ „Every Breath You Take“ als Schmusehit. Doch eigentlich geht es in dem Song um Stalking. „Jeden Atemzug, den du tust und jeden Schritt – ich passe auf dich auf.“ Die entscheidende Zeile lässt sich aber auch übersetzen mit: „Ich hab dich im Blick.“ Womit die düstere Stimmung eher zum Ausdruck kommt, die Sting im Kopf hatte. Every Breath You Take ist ein Stück über Eifersucht, krankhafte Liebe, über zwanghaftes Stalking.
Und R.E.M. mit ihrem „The One I Love“ ist ein Gruß an eine, die der Erzähler irgendwo zurückgelassen hat, nachdem er sie eine Zeit lang einfach ausgenutzt hat, um sich die Zeit zu vertreiben. Jetzt soll sie allein abstürzen.
Auch Adeles Lied „Someone like you“ handelt von der Trennung einer langen Beziehung. Jahre später steht das Song-Ich unangemeldet vor der Tür des längst glücklich verheirateten Ex-Freunds, um ihm zu sagen: „Für mich ist es noch nicht vorbei – aber mach dir keine Sorgen, ich werd’ schon jemanden finden, der genauso ist wie du.
Baby, ich jage dich heute Nacht, jage dich, esse dich bei lebendigem Leib. Wie Tiere. Vielleicht denkst du, dass du dich verstecken kannst. Ich kann deinen Geruch kilometerweit riechen.“
Sie wollen Gewalt, Angst, sexuelle Objektivierung; dieses Lied hat es in sich! „Animals“ ist ein Song der amerikanischen Pop-Rock-Band Maroon 5 aus ihrem Album V. Dies ist einer der erfolgreichsten Songs der Band.
Wie ich wünschte, du könntest das Potenzial sehen. Das Potenzial von dir und mir. Es ist wie ein elegant gebundenes Buch, aber in einer Sprache, die du noch nicht lesen kannst. Du musst etwas Zeit verbringen. Und ich weiß, dass du Liebe finden wirst, ich werde dein Herz besitzen.” „I Will Possess Your Heart“ der amerikanischen Band Death Cab for Cutie schildert eine einseitige obsessive Beziehung.
Ganz weit oben in den „Stalking“-Charts steht Clay Aikens „Invisble“: „Wenn ich unsichtbar wäre.
Und ich dich einfach in deinem Zimmer beobachten könnte(...)Ich strecke die Hand aus, aber du fühlst mich nicht einmal. Selbst wenn ich schreie, Baby, du hörst mich nicht (du hörst mich nicht).Ich bin nichts ohne dich(…)“.
Debbie Harry von Blondie schrieb das Lied „One way or another“ aus der Perspektive eines Ex-Freundes, der sie verfolgt hatte. Das Lied folgt dem obsessiven Stalker, der sein „Objekt“ im Bus und zum Supermarkt folgt. Der Stalker hat einen unsterblichen Durst und nichts scheint ihn zu stillen: „So oder so, ich werde dich gewinnen. Ich werde dich kriegen. So oder so werde ich dich sehen. Ich werde dich treffen. Eines Tages, vielleicht nächste Woche, ich werde dich treffen. Ich werde an deinem Haus vorbeifahren und wenn die Lichter aus sind, werde ich sehen, wer in der Nähe ist.
Für besonders großes Aufsehen sorgte 1985 Sänger Falco mit seinem kontroversen Hit „Jeanny“. Darin geht es um einen Mann, der ein junges Mädchen entführt und tötet – ein besonders extremes Beispiel für Stalking in der Musik. Es war das Video, in dem Falco sämtliche metaphorische Register der Bildsprache zog: Die ewig lockende weibliche Verführung und einen kranken Stalker, den er bis zum Weg in die Gummizelle selbst zum Besten gab. Verschiedene Rundfunkstationen weigerten sich, das Lied zu spielen. Ein weiteres pikantes Detail, welches ebenfalls zu dem Boykott beigetragen haben dürfte, ist die Tatsache, dass das Lied auf einen realen Mädchenmörder anspielt. Jack Unterweger hieß der Mörder, der wegen dem Mord an einer 18-Jährigen im Gefängnis saß. Später wurde ihm eine mysteriöse Mordserie an Prostituierten zur Last gelegt, die alle mit einem aus ihrer Unterwäsche zusammengebundenen Henkersknoten erwürgt wurden. Als Knast-Literat war Unterweger ein gern gesehenes Mitglied der Wiener Partygesellschaft. Er soll das reale Vorbild von Falcos „Jeanny-Lyrics“ gewesen sein. 1994 beging Unterweger im Gefängnis Selbstmord.
Selbst im Punk_Sektor sind und waren Songs über Stalking ausgeprägt. BETONCOMBO zerlegen in „Ich krieg dich“ das Objekt der Begierde: „Hey Mädel, merkst du’s nicht. Ich mag, ich lieb’ dich, und weiß, ich krieg dich. Das ist jetzt das 10. Mal, ich habe keine Wahl(...)Jetzt habe ich sie kalt gemacht, sie hat mich ja nur ausgelacht(…).
Aber  es gibt auch die skizzierte „Opfer“-Perspektive, in der Frauen* Rächer*innen sind, so wie ANGESCHISSEN in „Schwein“: „Leichtsinnig ging sie im Wald spazieren, ihren räumen hinterher. Sie bemerkte diesen Mann nicht, wie er starrte, so kalt und leer. Ein Rascheln lässt sie erfrieren. Und die Angst macht ihr das Atmen schwer. Augen zu, weiter marschier’n. Doch die Schritte kommen näher ran. Eine Hand, so kalt, so knochig alt. Sie wollte schreien, kriegt den Mund nicht auf. Doch dann zieht sie ihre Knarre raus. Das Magazin ist leer. Und dann legt sie die Patronen nach…

Seit dem 31. März 2007 ist Stalking ein Straftatbestand laut § 238 StGB und kann mit Freiheitsstrafen von bis zu 3 Jahren bestraft werden. Der sogenannte Stalking-Paragraf 238 wurde im März 2017 verschärft. Doch es gab sehr viel Kritik, das Gesetz musste nachgebessert werden. Zum 1. Oktober sind die Regelungen zur effektiveren Bekämpfung von Nachstellungen und zur besseren Erfassung des Cyberstalkings in Kraft getreten. Zugleich sieht das Gesetz aber eine Neuregelung für besonders schwere Fälle vor, bei denen eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren ausgesprochen werden kann. Hierzu sollen Fälle von Nachstellungen über längere Zeiträume oder Taten gehören, durch die der Täter eine Gesundheitsschädigung des Opfers oder einer dem Opfer nahestehenden Person verursacht. Ebenso soll es als besonders schwerer Fall gelten, wenn der Täter über 21 und das Opfer unter 16 Jahre alt ist.
Derzeit muss ein „beharrliches“ Nachstellungsverhalten nachgewiesen werden, das geeignet ist, die Lebensgestaltung des Opfers „schwerwiegend“ zu beeinträchtigen. Diese Voraussetzungen werden abgesenkt. Im Gesetzestext wird das Wort „beharrlich“ durch „wiederholt“ und das Wort „schwerwiegend“ durch „nicht unerheblich“ ersetzt.
Für die von einer toxischen Beziehung oder Stalking betroffenen Personen ist es sehr wichtig: Du bist nicht falsch oder seltsam! Du musst nicht gleich zur Waffe greifen wie im Song „Schwein (ANGESCHISSEN, s., oben). Du solltest aber erkennen, dass du wertvoll bist. Dafür musst du nichts Besonderes tun, nichts leisten, nichts Besonderes sein! Nur wenn mensch wirklich begriffen hat, dass der eigene Wert nicht von der Meinung anderer abhängig ist, wird mensch sich davon nicht abgewertet fühlen.