In den 1980er Jahren machte eine lose Gruppe gleichgesinnter Künstler*innen rund um den New Yorker Underground Filmemacher und Autor Nick Zedd sowie Richard Kern auf sich aufmerksam, indem sie durch trash- und gewaltbeladene Filmwerke die Sehgewohnheiten der breiten Masse malträtierte, ästhetische Grenzen überschritt und dementsprechend ihre Arbeit selbst als „Cinema of Transgression“, (übersetzt „Kino der Überschreitung“) bezeichnete.
Charakteristisch für die provokativen Undergroundfilme waren die billige Produktion mit Super 8 Kameras und eine anarchische Vermengung von Sex, Gewalt und Perversion mit Humor. Die Filmbewegung
des Cinema of Transgression stand in enger Verbindung mit der Musik, genauer mit dem New York Punk und der avantgardistischen No Wave-Bewegung. Entsprechend sind in den Undergroundfilmen
der rebellischen Jungkünstler*innen auch musikalische Szenegrößen wie Lydia Lunch oder Henry Rollins zu sehen.
Das Cinema of Transgression zielte darauf ab, gesellschaftliche Normen und Moral zu verletzen, wobei es die Grenzen, die es vorfand, nicht verschob, sondern überschritt. Der Begriff
„transgressiv“ selbst wurde erstmals von Zedd verwendet, um sein Vermächtnis mit den revolutionären Filmemachern Kenneth Anger, Paul Morrissey und John Waters
zu beschreiben, und „Underground“ war die Lebensweise und der Anspruch der Bewegung.
Die lose Gruppe von Filmemacher*innen und Künstler*innen konfrontierte und provozierte die akademisch verfeinerten Werke der damaligen Filmhochschulen, indem sie mit Super 8-Kameras und billiger
Ausrüstung Low-Budget-Filme im Punk-Stil mit nihilistischer Aggression, gewalttätiger Erotik, Sex, Drogen und Chaos drehten.
Jeder der Filme formulierte auf eigenwillige Weise Aussagen über die amerikanische Gesellschaft. Die Absicht war, zu schockieren, zu provozieren und zu konfrontieren.
Richard Kerns Fingered (1988) ist einer der kontroversen, provokanten Experimentalfilme der Bewegung. Der Film, in dem Lydia Lunch, Marty Nation und
Lung Leg auftraten, skandalisierte die Kritiker*innen und veranlasste Demonstrant*innen, Vorführungen zu stürmen. In dem Film spielt Lydia Lunch eine
Telefonsexhotline-Mitarbeiterin und Gelegenheits-Prostitutierte, die bei einem Date einen Mann kennenlernt und mit ihm im Auto eine Anhalterin mitnimmt, die sie beide später vergewaltigen.
Fingered erhielt skandalöse Kritiken. Die Kritiker*innen hielten ihn für pornografisch, vulgär, bösartig und erniedrigend. Die Village Voice (kurz Voice, war eine in New York
beheimatete amerikanische Wochenzeitung), nannte ihn eine „schreckliche Ansammlung von Sex/Vergewaltigung/Gewalt“. Demonstrant*innen tauchten bei den Vorführungen auf und schütteten Farbe über
die Projektoren oder warfen sie auf die Leinwände. Kerns Freund Nick Zedd hatte in seinem Manifest vorgeschlagen, dass Filmemacher*innen „alle Grenzen überschreiten“, „alle
Tabus brechen“ und Filme voller „Blut, Ekel, Schmerz und Ekstase“ machen sollten.
Fingered
Die Film-Festival-Tour endete am 19. März 1986 im Roxy Theatre in Los Angeles. Um die Provokation, die sie in Fingered einbringen wollten, aufrechtzuerhalten, beschlossen Kern und Lydia Lunch, das Publikum zu verarschen. Lydia Lunch stand auf der kleinen Bühne. Der Laden ist voll. Richard Kern hat sie von hinten angebrüllt und gesagt: ‚Runter von der Bühne, du Schlampe!‘ Sie fing an, ihm etwas zurückzuschreien. Richard kam mit einem Messer, das er zurechtgelegt hatte, durch die Menge gerannt. Er hatte Schauspieler Jet, der auf der Bühne als Lydia Lunchs Leibwächter agierte, bereits mit Blutbeuteln präpariert und fing an, auf ihn einzustechen. Der ganze Club war wie leergefegt. Auf der Stelle.
SST Records, die Fingered vertreiben wollten, bekamen kalte Füße. „Ich war ziemlich aufgeregt, weil ich zu der Zeit ein großer Fan von Black Flag und dem SST-Label war. Als Black Flag auf Tournee war, kamen sie in meiner Wohnung in der East 13th vorbei. Sie hatten bereits das VHS-Tape-Cover, die Poster usw. entworfen, und wir hatten einen Vertrag ausgehandelt. Greg Ginn und Chuck Dukowski saßen in meinem Schlafzimmer und sahen sich den Film an. Nach zehn Minuten stand Greg Ginn auf, sagte: ‚Wir werden den Film nicht veröffentlichen‘, und ging hinaus. Angesichts der finanziellen Probleme von SST und der notorischen Unfähigkeit, Tantiemen zu zahlen, war das ein wahrer Segen“ erinnert sich Richard Kern1.
Fußnote:
1. Zitiert nach https://pleasekillme.com/fingered-richard-kern/ ↩