LOTTA #85
64 DIN-A-4-Seiten; € 3,50.-
Lotta, Am Förderturm 27, 46049 Oberhausen
www.lotta-magazin.de
Der Schwerpunkt „Ostdeutschland rechtsaußen?!“ beleuchtet das Phänomen extrem rechter Umtriebe, Ausschreitungen und politische Wahlerfolge der AfD im „Osten“ der Republik.
Die Gewaltexzesse in Rostock-Lichtenhagen und Hoyerswerda waren noch nicht aufgearbeitet, versagten in den Folgejahren Politik und Behörden im Umgang mit der extremen Rechten, die bis heute
hemmungslos offen agieren kann. Für viele Betroffene herrscht ein Klima der Angst vor, geprägt von Hass und Gewalt, Drohungen und Mord. Spätestens nach den rassistischen Ausschreitungen in
Heidenau, Freital oder Chemnitz, mit der Entstehung von PEGIDA sowie den Wahlerfolgen der AfD mit dezidiert völkisch-nationalistischen Landesverbänden in Thüringen und Sachsen zieht sich eine
erneute Debatte um die Spezifika der extremen Rechten in „Ostdeutschland“ durch die letzten Jahre. Mit Ausnahmen größere Städte wie Leipzig oder Dresden gibt es durchaus Landstriche, die wie in
Mittelsachsen ein Netzwerk völkischer Neonazi-Familien etabliert, die durch die „Initiative Zusammenrücken“ als rechte Siedlungsgemeinschaft einen Sehnsuchtsort für Heimatverbundenheit, völkische
Traditionen und einer „gesunden Volkssubstanz“ Ausdruck verliehen bekommt.
Die Fragen nach den Gründen der gesellschaftlichen Akzeptanz oder Duldung von Rechtsaußen erklärt Marcel Hartwig u.a. mit einem „mentalitätsgeschichtlichem Hintergrund“, bei dem sich
„bisherige Lebensentwürfe“ wandelten und eine „Fortexistenz eines spezifischen deutschen Nationalismus in der DDR“ eine wesentliche Rolle spielte. Die extreme Rechte profitiert von Faktoren
gesellschaftlicher Entwicklung wie Abwanderung, schwach aufgestelltem Demokratieverständnis. Marcel schlussfolgert, dass Ostdeutschland zum Testfeld für extrem rechte Realpolitik wird.
Sebastian Friedrich und Volkmar Wölk skizzieren die Entwicklung, Erfolgsbedingungen und Grenzen der AfD im Osten. Antifaschistischer Protest ist meist in größeren Städten zu
beobachten, wo Student*innen leben. Das Netzwerk Polylux legt einen großen Fokus auf den ländlichen
Raum, weil viele der Aktivist*innen selbst dort aufgewachsen sind. So erhalten/erfahren bspw. Geflüchtete, Migrant*innen und Menschen in prekären Lebenslagen zunächst Unterstützung und
Solidarität. Antifaschistischer Support ist nötig, wo er gebraucht wird.
Gesamteindruck:
Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Marco Wanderwitz konsternierte, dass die Diktaturerfahrung der DDR verhindert, dass ein Teil der Ostdeutschen in der Demokratie ankommt. Andere, wie etwa die ostdeutsche Historikerin Christina Morina, verweisen dagegen auf die Nach-Wende-Erfahrung. Hinzu kommt die eher schwache Struktur der Zivilgesellschaft. Dabei ist sie eine wichtige Schule für die Demokratie, indem sie durch Prozesse der Verhandlung, der Konfliktaustragung, der Entwicklung von Respekt über Vereine und andere Gesellschaften eine Voraussetzung für demokratische Kultur legt. Hier hat die extreme Rechte zu lange unbehelligt agieren können und besetzt mit Erfolg, Engagement und politische Kreativität bürgerliche und gesellschaftliche Milieus. Die AfD im Osten ist eine Partei, in der Menschen an der Spitze mitwirken, die als Autohändler, Hausmeister oder Handwerker die Sprache der Menschen sprechen. Darin erkennen sich viele wieder. Die westdeutsche Rechte hat Ostdeutschland als die Region erkannt, die besser als jede andere für ihre Zwecke entwickelt werden kann. Aus antifaschistischer Perspektive ist die ostdeutsche extrem rechte Erfolgsgeschichte eine enorme Herausforderung, die mit dem Netzwerk Polylux Hoffnung bringt, eine starke Zivilgesellschaft zu fördern.