David Lebuser hat 2021 seinen sozialversicherungspflichtigen Job an den Nagel gehängt und zusammen mit Freundin Lisa Schmitt das gemeinnützige Projekt SIT’N’SKATE gegründet. Dieses Projekt will unter dem Motto „Destroying Stereotypes“ mit gängigen Klischees über Rollstuhlfahrer*innen als hilfsbedürftige Opfer aufräumen.
„Es ist schön sich den Themen widmen zu können, für die man brennt, für die man Leidenschaft und tiefe Überzeugung hat und dennoch fällt natürlich jede Menge Arbeit damit an, diese Arbeit und sein Leben zu finanzieren.“
SIT’N’SKATE ist ein gemeinnütziges Projekt der SUPR SPORTS gGmbH und hat die Vision die Gesellschaft inklusiver zu gestalten und vorherrschende Vorurteile zu zerstören. Auf den regelmäßigen
Rollstuhl Skate Treffen steht Teilhabe und Gemeinschaft im Vordergrund und man lernt über die niederschwellige Bewegungserfahrung den Rollstuhl besser zu beherrschen. So wird man sicherer im
Alltag und tankt Selbstbewusstsein.
Mit den Bildern von Rollstuhlfahrer*innen im Skatepark wollen die Projektleiter*innen außerdem die Sicht auf behinderte Menschen verändern. „Wir zeigen, dass man mit dem Rollstuhl mehr machen
kann und behinderte Menschen nicht hilflos und zu bemitleiden sind. Sie sind individuell und bunt, wie alle anderen Menschen auch.“
Hallo David. Schön, dass du dich an unserem Schwerpunktthema beteiligst. Wie kam es zu Gründung des SIT'N'SKATE-Projektes, das mittlerweile ja ein Verein ist?
SIT'N'SKATE1 war anfangs „nur“ eine Initiative, bzw. ein Name für das gemeinsame Engagement von Lisa und mir. Ich
habe ja seit 2013 Angebote und Veranstaltungen zum Rollstuhl Skaten angeboten und als wir gemeinsam weiter gemacht haben, haben wir SIT’N’SKATE gegründet. Zwischenzeitlich waren wir freiberuflich
als so eine Art Trainer*innen unterwegs, dann hatten wir eine GbR gegründet. Da wir aber immer eine soziale, gemeinnützige Ausrichtung verfolgt haben, sind wir dann mit dem Hamburger
Sozialunternehmen SUPR SPORTS2 zusammen gekommen. Dort ist SIT’N’SKATE nun als gemeinnützig anerkannt und kann sowohl Ressourcen von
SUPR SPORTS bekommen, also auch in deren Sinne sich für Inklusion allgemein in sozialen Sport Projekten einsetzen.
„Destroying Stereotypes“ lautet euer Motto für SIT'N'SKATE. Mit welchen Vorurteilen warst und bist du konfrontiert?
Als behinderter Mensch, in meinem Fall als Rollstuhlfahrer, hat man mit verschiedensten Vorurteilen zu tun. Als Kern vieler Vorurteile haben wir mal die „geringe
Erwartungshaltung“ ausgemacht. Das bedeutet, verallgemeinert und vereinfacht, dass, wenn jemand einen Mensch mit Behinderung sieht, er nicht viel von ihm und seinen Leben erwartet. Man denkt oft
erst mal daran wie traurig das ist, wie sehr er leiden muss und was er alles nicht kann. Diese Annahmen haben dann oft auch echte Diskriminierung zur Folge.
Ein Beispiel ist, wenn eine Stadt eine Sportanlage plant, dann wird diese oft nicht in allen Bereichen barrierefrei geplant, weil man sich schlicht nicht vorstellen kann, dass behinderte Menschen
diese nutzen können. Dabei blendet man oft dann auch aus, dass es nicht immer nur um aktive Teilhabe geht, sondern dass Rollstuhlfahrer*innen ja vielleicht auch einfach mal zuschauen wollen oder
jemand begleiten könnten. Deswegen wollen wir vor allem hier ein Gegengewicht setzen.
Mit Fotos und Videos von Rollstuhlfahrer*innen aus dem Skatepark wollen wir der Gesellschaft zeigen, dass vieles möglich ist und man mit Behinderung ein individuelles, aktives und tollen Leben
haben kann. Uns ist klar, dass das nicht für jeden zutrifft, aber andersherum leidet halt auch nicht jeder an seiner Behinderung und das muss den Leuten unserer Meinung nach klar werden.
Wie gehst du mit Stigmatisierungen um?
Ich versuche zu zeigen, dass das Label „Behindert“ oder „Rollstuhlfahrer“ nicht negativ belegt ist. Außerdem versuche ich zu sensibilisieren, z. B. wenn es um den
Sprachgebrauch zu geht. Dabei ist mir aber wichtig keine weiteren Barrieren aufzubauen, sondern locker und flexibel zu bleiben. Ähnlich wie mit den Vorurteilen muss man dort natürlich aktiv dran
arbeiten.
Führen diese auch mal zu Selbstzweifel/Depressionen oder zu mehr Ansporn, es allen zeigen zu wollen?
Natürlich mache ich auch sämtliche Gefühlslagen durch und bin mal müde, mal top motiviert. Ich hatte in den letzten Jahren oft depressive Phasen, Schlafstörungen, Zweifel und
war oft nah am Burnout. Das kam aber weniger durch meine Behinderung an sich, sondern aufgrund des Workloads und der sehr emotionalen Arbeit. Als Aktivist und auch als SIT’N’SKATE- Gründer bin
ich ja sehr nah am Thema, rund um die Uhr. Es gibt für mich oft keinen Feierabend im eigentlichen Sinne, denn ich hänge meine Behinderung ja nicht ins Schließfach. So kommt es oft dazu, dass sich
Freizeit und Arbeit ungesund vermischen und es ist und bleibt schwierig da einen Strich zu ziehen. Am Ende ist aber natürlich jede negative Erfahrung ein Ansporn noch mehr für die eigenen Rechte
zu kämpfen und jeder Erfolg zahlt auf das persönliche Wohlfinde Konto ein. Leider gibt es halt Phasen, in denen man das Gefühl hat, dass die negativen Erlebnisse, wie alltägliche Diskriminierung,
Mehraufwand usw., überwiegen und dieses Konto kann dadurch schnell ins Minus geraten. Ich habe für mich zum Glück einen guten Weg gefunden wie ich immer wieder positive Erfahrungen sammeln kann:
skaten gehen, am besten mit Freund*innen und dann zumindest auch mal nicht mit der Mission „Inklusion“, sondern einfach mit der Mission „Gut fühlen“.
»Es gibt für mich oft keinen Feierabend im eigentlichen Sinne, denn ich hänge meine Behinderung ja nicht ins Schließfach.«
David, Lisa, ihr seid ja nicht nur Wheelchairskate-Profis, sondern auch Botschafter*innen der Inklusion. Wie konkret lassen sich denn Möglichkeiten und Methoden für von
stigmatiserungsbedrohte Menschen bspw. im Rollstuhl in der Praxis verbessern?
Das kann man pauschal nur schwer beantworten. Zum Einen muss dringend die Politik endlich reagieren und bessere Regelungen für Barrierefreiheit, Teilhabe und gegen
Diskriminierung definieren. Unsere Teilhabegesetze haben den Namen im internationalen Vergleich nicht verdient und dienen oft nur als Schutz nach Außen. So kann die Regierung zeigen, dass man ja
was für Menschen mit Behinderung getan hat, weil steht ja auf dem Gesetz. Wenn man aber reinschaut, dann fehlen viele wichtige Dinge, wie Barrierefreiheit in der Privatwirtschaft bspw..
Wir sind guter Dinge, dass sich hier nun auch was bewegt, aber der Prozess ist viel zu langsam und wir hängen einfach schon 30 Jahre hinterher im Vergleich zur USA, Schweden, UK oder
Österreich.
Und dann denken wir natürlich, dass wir selbst und andere Aktivist*innen, gemeinnützige Projekte, vor allem Bottom Up3, eine wichtige
Wirkung entfalten, Dinge auch schnell zu verbessern.
Mit unseren Angeboten bspw. machen wir Kinder und Jugendliche im Rollstuhl fit für den Alltag und geben ihnen auch eine große Prise Resilienz, Selbstbewusstsein und Selbstständigkeit mit.
Man kommt hier ab und an in ein Dilemma, denn auf der einen Seite finden wir, dass Staat und Gesellschaft sich nicht auf die oft ehrenamtliche Arbeit von engagierten Bürger*innen ausruhen können,
auf der anderen Seite ist man aber als kleine Organisation einfach wendiger und schneller und kann Missstände so oft direkt und schnell beseitigen, was dann wieder als Best Practice für das
Großeganze dienen kann.
Wir hoffen jedenfalls, dass wir unseren Teil dazu beitragen können, dass sich die Situation für behinderte Menschen in unserer Gesellschaft auch wirklich verbessert und sind von der Wirkung
unserer Projekte auch überzeugt.
Und wie kannst du das öffentliche Interesse für Menschen mit Behinderungen bezogen auf Gleichstellung, Gleichberechtigung und Selbstbestimmung richten?
Wir versuchen sehr auf Sichtbarkeit zu drängen, was aber nicht einfach ist. Und auch hier gibt es ja ein Dilemma, in dem wir uns immer wieder finden. Denn auf der einen Seite wollen wir zeigen
wie toll und positiv ein Leben mit Behinderung sein kann, aber auf der anderen Seite müssen wir auch Probleme sichtbar machen. Denn uns bringt selbst die größte Sichtbarkeit ja nur etwas, wenn
sich Menschen am Ende auch hinterfragen und sich für unsere Ziele einsetzen.
»Der kleine Kellerschuppen hingegen ist vielleicht nicht optimal zugänglich und kann es vielleicht auch nicht für alle ermöglichen, aber sprechen hilft und dann kann man gemeinsam an Lösungen arbeiten – das ist Inklusion!«
Um nun das öffentliche Interesse zu steigern, versuchen wir über unsere eigenen Kanäle attraktive Angebote anzubieten, online aber auch bei Veranstaltungen. Außerdem freuen wir uns, wenn
Magazine, Medien, TV und Co auf uns zukommen und dem Thema so eine Bühne geben. Besonders freue ich mich, dass wir auch immer öfter außerhalb der „Special Interest“ Behinderten Themen gefragt
werden. Besonders freut mich das gesteigerte Interesse im Mainstream, aber persönlich am allermeisten freue ich mich über das Interesse in Punkrock- und Skateboard-Medien. Einfach weil das die
Welt ist, in der ich mich seit jeher bewege und ich es wichtig finde, dass wir auch innerhalb der Subkultur wichtige und schwierige Themen behandeln können. Vor allem, wenn wir das nicht in
unseren offenen und auf Solidarität setzenden Szenen schaffen, wie wollen wir das dann in der Gesamtgesellschaft tun?
Welchen Ansatz verfolgst du dabei?
Ich hoffe, dass wir Mitstreiter*innen gewinnen können und dass mehr Menschen einfach auf Barrierefreiheit und Teilhabe achten. Wenn Booker von Shows bei den Venues
fragen, ob der Laden denn auch barrierefrei ist, könnte das für uns schon einiges bewirken. Oder wenn Veranstalter vermehrt darauf achten, dass ihre Angebote auch Menschen mit Behinderung
anspricht, bzw. sie direkt mit behinderten Menschen in den Austausch gehen. Ich jedenfalls freue mich viel mehr über einen kleinen Kellerschuppen, der mich fragt, ob und wie sie denn Teilhabe
ermöglichen können, als über die Super Konzert Arena, die zwar nach DIN-Norm barrierefrei ist, aber in der Planung niemals mit einem behinderten Menschen gesprochen hat. Denn dort fühle ich mich
oft einfach an den Rand gedrängt. Inklusiv ist es jedenfalls nicht, wenn ich fernab von allen anderen Gästen auf einem Balkon stehe und mein Bier nur mithilfe von Begleitung aufgefüllt werden
kann. Der kleine Kellerschuppen hingegen ist vielleicht nicht optimal zugänglich und kann es vielleicht auch nicht für alle ermöglichen, aber sprechen hilft und dann kann man gemeinsam an
Lösungen arbeiten – das ist Inklusion!
David, du und Lisa reisen oft und gerne. Ein wichtiges Thema ist die Barrierefreiheit, die dir/euch immer wieder begegnen. Was ist bezogen auf den Alltag in dieser Hinsicht besonders
nervig/störend?
Beim Reisen gibt es einige Dinge, die echt nervig sind. Angefangen von den nicht ebenerdigen Zügen im Fernverkehr, der Anmeldepflicht bei der Bahn (und ja, sie können deine
Fahrt einfach ablehnen), und dass Hotels in Deutschland es nicht schaffen, verlässliche Informationen zu Barrierefreiheit online zu stellen.
Und ob nun auf Reisen oder im Alltag ist es natürlich ätzend, dass man einfach in sehr, sehr vielen Läden, Geschäfte, Cafés und Restaurants nicht reinkommt. Wobei, das ist beim Reisen sogar
oftmals besser. Denn wie schon erwähnt gibt es schon eine ganze Reihe an Ländern, die Barrierefreiheit besser geregelt haben. In den USA bspw. Dort ist aber die Hilfsmittelversorgung schlechter
und die allgemeine Gesundheitsversorgung teurer. Dort können wir einfach in Hotels einchecken, sogar online das rollstuhlgerechte Zimmer buchen und es gibt nur wenige Läden, die nicht
barrierefrei sind und kein Rollstuhlklo haben.
»Die physische Barrierefreiheit ist immer noch nicht politisch geregelt!«
Eine schöne Geschichte, die ich gerne erzähle, ist von unserer ersten Zugfahrt in den USA. Wir sind damals von Boston nach NYC mit dem Zug gefahren. Da wir uns in Deutschland immer anmelden
müssen, sind wir ein paar Tage vorher zum Bahnhof an den Ticketschalter und fragten, was wir tun müssten. Die Dame am Ticketschalter schaute mich verdutzt an und meinte: „Ticket kaufen und
rechtzeitig vor Abfahrt da sein.“
In London sind sämtliche Taxis rollstuhlgerecht und elektrobetrieben, sonst bekommen sie gar keine Zulassung mehr. In Deutschland hieß es gerade erst wieder von MOIA, es gäbe keine barrierefreie
und elektrische Lösung, weswegen man das auch nicht anbieten könne. Wenn man dann recherchiert (ich kann hier den Blog und Beiträge von Christiane Link4 empfehlen), erfährt man, dass genau das gleiche auch in London gesagt worden ist. Da aber die Regierung klar gesagt hat, wir regeln das und ihr müsst Lösungen schaffen, war
dies auf einmal problemlos möglich. Auch hier muss es als einfach den politischen Willen geben!
Die physische Barrierefreiheit ist immer noch nicht politisch geregelt!
Nein, vor allem eben nicht in der Privatwirtschaft. Die Gesetze in Deutschland haben große und lange Namen, aber dahinter sind sie oft leer. So ist in den Gesetzen
„BehindertenGleichstellungsGesetz (BGG), Bundesteilhabegesetzt (BTHG) und Barrierefreiheits(!)Stärkungs(!!!)Gesetz (BFSG) keine Barrierefreiheit geregelt, die nicht öffentliche Gebäude regelt.
Also müssen wir unseren Kaffee im Rathaus trinken und wann spielt eigentlich mal eine Punkband im Bezirksamt? Also was ich damit sagen will ist, dass wir gerade die Orte des täglichen Lebens
barrierefrei machen müssen, und ich weiß nicht, was andere Menschen in ihrer Freizeit so machen, aber ich versuche möglichst selten in Behörden abzuhängen zu müssen.
David in Aktion:
Rollstühle werden in Deutschland von Ärzt*innen als Heil- und Hilfsmittel verordnet und von den Krankenkassen finanziert. Warum musst du deine zum größten Teil selbst
finanzieren?
Das ist ein komplexes und schwieriges Thema. Auf der einen Seite bekommt man in Deutschland ja alle notwendigen Untersuchungen und Hilfsmittel grundsätzlich bezahlt. In den USA
bspw. nicht, dort ist Behinderung oft auch ein Armutsgrund. Wobei auch hierzulande behinderte Menschen gern arm gehalten werden, sei es durch Vermögensregulierung (wenn sie Sozialleistungen
bekommen dürfen sie nicht sparen…) oder durch geringe Löhne in Werkstätten. Aber zurück zu den Hilfsmitteln. Es ist so, dass man grundsätzlich gut finden kann und muss, dass man hierzulande keine
teuren Rechnungen für die wirklich wichtigen und dringend erforderlichen Sachen befürchten muss. Aber wenn man dann genauer hinschaut, tun sich wieder viele Probleme auf. Auf der einen Seite ist
Inklusion und Teilhabe am Sport in aller Munde und es ist auch durchaus gesellschaftlich und politisch gewollt, dass Menschen mit Behinderung einen Zugang zu Sport haben. Dass sie dafür aber
Hilfsmittel brauchen, dass dann wiederum nicht. So bekommt man in Deutschland nur unter sehr schweren Bedingungen ein Hilfsmittel wie einen Sportrollstuhl bezahlt. Nun kann man hier sagen, dass
die Solidargemeinschaft nicht für die Hobbyausübung eines Einzelnen aufkommen muss, aber gehen wir tiefer in die Thematik, so fällt etwas erschreckenderes auf.
Ich möchte das an zwei kurzen Beispielen erklären:
Ein Mensch hat einen Unfall, er bekommt einen Rollstuhl für seinen Alltag. Dann möchte er gerne Sport machen, damit er fit und gesund bleibt und seinen Rollstuhl auch im Alltag gut bewegen kann.
Normalerweise fördert die Krankenkasse ja sogar die Sportbestrebungen ihrer Mitglieder*innen, z. B. mit einer Smartwatch als Prämie. Aber für Menschen mit Behinderung sieht das anders aus.
Den Sportrollstuhl bekommt er nicht bezahlt, mit etwas Glück springt ein anderer Kostenträger ein, aber das ist hochbürokratisch und oft auch sehr willkürlich und undurchsichtig. Dann kauft er
sich einen Sportrollstuhl, macht Sport und wird fit und selbstständig. Dadurch kann er nun vielleicht wieder besser am Leben teilhaben, arbeiten gehen und der Gesellschaft etwas zurückgeben. Da
müsste die Krankenkasse sich freuen oder? Nun braucht er irgendwann einen neuen Rollstuhl für den Alltag und bekommt den natürlich auch wieder bezahlt. Aber weil er nun ja viel fitter ist,
bekommt er einen deutlich schlechteren, denn das reiche ja aus, um die Wegstrecke im sogenannten nicht näher definierten Nahbereich zu berollen.
Bsp. 2: Die Geschichte beginnt gleichermaßen: Mensch, Unfall, Rollstuhlversorgung, aber diesmal macht er keinen Sport, lässt sich vielleicht sogar gehen und verschlechtert seine
Situation dadurch. Auch er braucht bald einen neuen Rollstuhl und hier muss die Krankenkasse nun auf einmal viel mehr ausgeben, da er sich mit dem alten Modell kaum noch bewegen kann.
Es werden also Mehrausgaben notwendig und es ist toll, dass diese auch bezahlt werden. Aber ich glaube fest daran, dass, wenn wir Menschen ermutigen und unterstützen ein aktives Leben zu führen,
wir unterm Strich mehr von haben, sowohl im Geldtopf der Kassen, als auch als Gesellschaft, was eh viel wichtiger ist als Geld.
Und so bezahlte ich meine Skaterollstühle bislang auch selbst, wobei ich ja fairerweise erwähnen muss, dass ich mit meinen Alltagsrollstühlen sehr viel Glück hatte und ich gerade erst wieder eine
gute Versorgung bekommen habe.
Aber ein Handbike oder Zuggerät? Oder eine Adaption um den Rollstuhl ins Auto zu bekommen? Nein das müssen sie selbst zahlen, denn damit würde man ja aus den undefinierten Nahbereich ausbrechen.
Worauf kommt es an, um den Rollstuhl auf deine Bedürfnisse anzupassen?
Grundsätzlich ist es erst mal wichtig, dass ein Rollstuhl gut angepasst und ausgemessen ist. Leider sehe ich häufig viel zu breite Rollstühle und viel zu passive. Passiv
bedeutet hier vor allem wo die Achse ist. Ist die Achse unterm Hintern, dreht der Rollstuhl leichter, kippt aber auch einfacher. Viele verstehen diese Einstellung falsch und machen den Rollstuhl
möglichst unkippbar. Dadurch dreht der Rollstuhl aber schwer und man kann ihn kaum über unebene Wege oder gar Kanten manövrieren.
Für mich persönlich sind dann noch individuelle Dinge wichtig, wie Farbe, Style und Akzente. Viele trauen sich nicht Veränderungen am Rollstuhl zu machen, aber es kann die Akzeptanz und die
Außenwirkung extrem verbessern, wenn das Teil auch zu dir passt.
David, gehen wir noch mal zurück, in die Zeit, wo du nach einem Sturz mit der Diagnose Querschnittlähmung konfrontiert warst. In der Folgezeit ging es dir darum, wieder
selbständig/unabhängig zu sein. Wie hast du dieses Ziel erreichen können?
Nun mein Unfall war ein drastisches Ereignis, dass mein Leben komplett umgekrempelt hat. Die erste Konfrontation mit der Diagnose hat mich fertig gemacht. Auch wenn ich mich
stark gegeben habe für meine Familie und meinen Freund*innenkreis, so habe ich jeden Tag in den Schlaf geheult. Den Prozess der Verarbeitung darf man nicht unterschätzen und er ist bei jedem
Menschen komplett anders. Ich bilde mir ein, dass mein großes Glück die gerade laufenden Paralympics waren. Dadurch konnte ich mir direkt attraktiven Sport im Rollstuhl reinziehen, was ich zuvor
nie wahrgenommen habe und das hat meine Akzeptanz definitiv positiv beeinflusst, auch wenn ich nicht direkt Juhu geschrieben habe.
In der Reha wollte ich vor allem wieder eins: Selbstständig sein und keine Hilfe brauchen. Dazu habe ich gelernt mit dem Rollstuhl über Hindernisse zu fahren, wie man auf Klo geht und man sich
umsetzt. Dass es mir sogar Spaß gemacht hat, mein neues Gerät auszuprobieren hat natürlich auch geholfen und spätestens seit ich den Skatepark für mich entdeckt habe, war die Mobilität im
Rollstuhl für mich kein Problem. Doch ich habe noch lange auch versucht wieder ein paar Schritte laufen zu können. Und das ist auch völlig normal und auch völlig okay. Ich möchte nur gerne an
alle appellieren, das Laufen nicht immer als höchstes Gut darzustellen, denn das macht es viel schwieriger mit der Situation klarzukommen. Viel wichtiger ist die Mobilität und ob die am Ende zu
Fuß oder auf Rädern stattfindet, ist grundsätzlich zweitrangig. Ich habe für mich irgendwann dann entschieden, dass der Aufwand, den ich dafür betreibe, vielleicht irgendwann mal ein paar
Schritte gehen zu können, nicht in Relation steht, mit dem, was ich schon als Rollstuhlfahrer kann. So habe ich dann einfach gesagt, ich komm klar, ich bin selbstständig und ich nutze meine Zeit
lieber zum Leben, skaten, reisen und so weiter. Aber da muss jede*r ihre/seine Ziele selbst definieren.
Deine ehrgeizigen Ziele führten zu einem drohenden Burn-Out. Hast du dich absichtlich mit Arbeit/Projekten vollgepackt, um dich nicht mit deiner Behinderung
auseinanderzusetzen?
Nach meinem Unfall, in der Reha, hatte ich tatsächlich eine recht euphorische Phase. Ich habe mir meinen Therapieplan voll gestopft, wollte alles mitnehmen und habe dann auch
direkt danach mit der Umschulung angefangen, um wieder arbeiten zu gehen. Heute wünschte ich mir manchmal schon, ich hätte mir hin und wieder mehr Zeit gelassen. Aber der drohende Burnout kam
erst viel später und hatte damit nichts zu tun. Ich habe von 2008 bis 2012 ja den Sport erst mal nur so für mich gemacht, als Hobby, erst 2012 wurde es dann auch zu meinem Hauptsport und löste
Rollstuhlbasketball langsam ab. Das kam durch meine erste Teilnahme an einem Rollstuhl Skate Contest in den USA und ich wollte dann den Sport auch in Deutschland bekannter machen. 2013 haben wir
damit gestartet und seit dem versuche ich mit verschiedenen Projekten, Vereinen und Verbänden an der Vision einer inklusiven Skateboard Szene zu arbeiten. Dass ich mich damit auch schon mal zu
sehr belaste, liegt aber eher an der Wichtigkeit der Thematik für mich selbst. Wie schon gesagt, man legt seine Behinderung nicht zum Feierabend ab und so stolpert man schon mal selbst bei einem
bierseligen Punkrockkonzert in eine neue spannende Idee, die man dann auch umsetzen möchte. Letztes Jahr musste ich aber die Reißleine ziehen. Ich habe meinen Brotjob im Kindersanitätshaus
4ma3ma, der bis dato meinen Lebensunterhalt bezahlt hat, aufgegeben, um mehr Ressourcen freizumachen für die Dinge, die ich mit voller Leidenschaft und Elan voranbringen möchte. Und wo ich eben
einen Mehrwehrt durch meine Arbeit sehe und an die positive Wirkung glaube. Das hat mir sehr gutgetan und das hat auch SIT’N’SKATE sehr gut getan. Dennoch muss ich wieder mal aufpassen und auch
mal Nein sagen, aber eben nur um die Power für die Dinge zu haben, die ich bereits mache.
Was sind deine/eure konkreten Pläne für dieses Jahr?
Dieses Jahr wollen wir unsere regelmäßigen Rollstuhl-Skate- Angebote ausbauen. Wir haben nun neben Hamburg und Dortmund auch Treffen in Bremen und Hannover geplant. Außerdem
haben wir Kooperationen mit dem DRIV, dem nationalen Skateboard Verband, und bringen dort Skaten mit Behinderung bis nach Italien. Mit dem Skateboard e. V. in Hamburg sorgen wir für
inklusive Skateparks in der Stadt und auch anderswo versuche ich weiterhin diese Themen zu unterstützen. Ob nun im Fachbereich WCMX5 des
Deutschen Rollstuhl Sportverbands, bei SUPR SPORTS, SIT’N’SKATE oder mit anderen Vereinen. Ich bin sehr froh, dass sich ein schlagkräftiges und inklusives Team entwickelt, mit dem wir gemeinsam
diese Themen voranbringen können.
Fußnoten:
1. https://www.sitnskate.de/ ↩
2. SUPR SPORTS ist ein gemeinnütziges Sozialunternehmen, welches sich in erster Linie an soziale Sportprojekte wendet. Es bietet eine offene Plattform für Qualifizierung, Vernetzung und Sichtbarkeit: https://www.suprsports.de/ ↩
3. Bottom-up-Projektplanung bedeutet, dass das Team die Projektziele und die entsprechenden Aufgaben identifiziert, die dann in verschiedene Aktivitäten und Aufgaben unterteilt werden. ↩
4. https://www.behindertenparkplatz.de/ ↩
5. WCMX ist ein Rollstuhlsport, bei dem im Skatepark-Tricks gemacht werden, wie Skateboarding oder BMX, meistens in einem Skatepark. Erfunden wurde der Sport von Aaron Fotheringham. In Deutschland war David Lebuser der erste, der diesen Sport bekannt machte. ↩