Markus ‚Magenbitter‘ ist 39 Jahre alt, wohnt in Berlin, zeichnet Cartoons und Comix (bspw,. das PFF-Comic) mit subkulturellen Themen oder gestaltet Artworks für Bands. Markus selbst ist auch großer Fan von Comics und von Punk- und Ska-Musik. Früher war Markus auch als Bassist in Bands aktiv, musste aber aufhören, weil er vor 8 Jahren am Chronischen Erschöpfungs-Syndrom1 erkrankte. Seitdem ist er stark eingeschränkt. Markus ist mittlerweile Erwerbsminderungsrentner und arbeitet nur noch wenig als Grafiker. Wir unterhielten uns mit Markus über die Folgen der Krankheit und wie er damit umzugehen gelernt hat.
»Du merkst, da ist was absolut nicht in Ordnung mit deiner Gesundheit, aber niemand hat eine Erklärung dafür.«
Markus, du bist ME/CFS-Betroffener. Die Myalgische Enzephalomyelitis/das Chronische Fatigue-Syndrom1 ist eine schwere neuroimmunologische Erkrankung, die kaum erforscht ist. Niemand kann
besser beschreiben, wie es sich anfühlt, diese Krankheit zu haben, als Betroffene selbst. Wann hast du gemerkt, dass da etwas nicht stimmt?
2014, mit 31 Jahren, war ich plötzlich immer sehr erschöpft, auch nach einfachsten Aktivitäten. Ich dachte zuerst, ich wäre nur überarbeitet, aber auch nach Erholung wurde es
nicht besser. Dazu kamen Probleme mit der Verarbeitung von Reizen oder Geräuschen. Der Kopf ist dann schnell „voll“, und man kann nichts mehr aufnehmen. Aber die Verläufe sind sehr
unterschiedlich und sehen bei jedem Betroffenen anders aus.
Das schwierige ist, dass ME/CFS nicht im Labor nachweisbar ist, laut Blutbild ist man scheinbar kerngesund. Generell ist die Krankheit zu wenig erforscht, die Wissenschaft ist noch auf der Suche
nach dem Krankheitsmechanismus.
Nachdem ME/CFS in Gesundheitswesen und Politik lange nicht großartig wahrgenommen wurde, ist es jetzt als eine häufige Spätfolge von Corona (Long Covid/Post Covid Syndrom) endlich im Fokus.
Wie bist du mit der Diagnose umgegangen?
Es hat geschlagene 3 Jahre gedauert, bis ich endlich die Diagnose hatte, an einer von zwei Fachkliniken in Deutschland, die sich damit auskennen. Vorher gab es eine Odyssee von
Arzt zu Arzt, und keiner konnte etwas finden. Das war total surreal: Du merkst, da ist was absolut nicht in Ordnung mit deiner Gesundheit, aber niemand hat eine Erklärung dafür.
Schlussendlich die Diagnose zu bekommen, war dann eine Erleichterung, da ich endlich wusste, was Sache war.
Wie hat dein Umfeld auf die Symptome und die Diagnose reagiert?
Da die Krankheit allgemein kaum bekannt ist, gab es erst mal viele Fragezeichen: „Hä – und was ist das jetzt?“, also für mich viel Erklärungsbedarf und
Überzeugungsarbeit.
„Chronisches Erschöpfungssyndrom“ klingt ein wenig nach Burn-Out oder Herbstdepression. ME/CFS ist aber eine schwere organische Erkrankung, die zu starken Einschränkungen wie Berufsunfähigkeit
oder auch Bettlägerigkeit führen kann. Das muss man den Leuten erst mal vermitteln, und es dauert eine Weile bis ankommt, dass ich zum Beispiel keine 1000 m mehr laufen kann, ohne mich zu
überlasten und hinterher davon eine Stunde ausruhen muss.
Inzwischen haben es aber alle einigermaßen kapiert und sind entsprechend rücksichtsvoll, fragen mich zum Beispiel nicht mehr, ob ich beim Umzug helfen kann, was zu Beginn der Erkrankung noch
vorkam.
Was wünschst du dir als Betroffener vom sozialen Umfeld im Umgang mit der Krankheit?
Inzwischen weiß mein soziales Umfeld ja um die Erkrankung, und dass ich nicht lange gehen und stehen kann und mich mal für Pausen zurückziehen muss. Wichtig wäre halt, dass
breit über die Thematik aufgeklärt wird, damit die Allgemeinheit weiß, dass ME/CFS ähnlich wie Multiple Sklerose eine üble, zur Behinderung führende Krankheit ist, also dass die Schwere des
Krankheitsbildes anerkannt wird.
Die Krankheit ist nicht heilbar, die Symptome können gelindert werden. Gibt es etwas, was dir hilft, die akuten emotionalen/psychischen Phasen in der Bewältigung
durchzustehen?
Im Alltag komme ich gut zurecht. Schwieriger wird es in ungewohnten Umgebungen, zum Beispiel wenn wir mit der Familie in Urlaub fahren. Oder wenn ich mich überlaste und nicht
an gemeinsamen Unternehmungen teilnehmen kann, ist es frustrierend, aber ich kann auch nichts dagegen machen. Im Vergleich zu anderen Betroffenen kann ich mich schnell wieder erholen. Solche
Erschöpfungszustände dauern bei mir nur 1–2 Tage, bei anderen schon mal mehrere Wochen oder Monate. Ich weiß also, dass es nur vorübergehend ist und auch wieder bergauf geht.
Und für die Seele: Ich hab eine Psychotherapie gemacht, um die Situation zu verarbeiten. Das hat sehr geholfen.
Allerdings passiert es, dass Ärzt*innen Menschen mit komplexen Beschwerden, für die sich mit den klassischen Methoden keine Ursache finden lässt, manchmal zu schnell für psychisch krank
halten. Hast du dennoch den Eindruck, die Diagnose ist zutreffend oder hast du öfter daran gezweifelt?
Ja, Ärzt*innen schieben einen schnell in die „Psycho-Ecke“, mir wurde von meiner damaligen Hausärztin auch eine Depression unterstellt, in einer Reha-Klinik eine mögliche
Persönlichkeitsstörung – das ist schon verdammt verletzend, was man da teilweise zu hören bekommt.
Eine Weile lang war ich mir auch noch unsicher, ob da etwas dran sein könnte. Aber man ist ja nicht blöd und kennt seinen Körper, ich habe mich nicht depressiv gefühlt, sondern krank. Als ich
dann mit anderen Betroffenen Kontakt hatte, denen es größtenteils genauso erging, und mit einer auf ME/CFS spezialisierten Ärztin, war ich mir sicher, dass ich eine organische Krankheit habe und
nichts Psychisches.
Patient*innen hingegen fühlen sich vom Arzt /der Ärztin nicht ernst genommen, missverstanden, als psychisch krank abgetan. Denkst du, dass viele Ärzt*innen auch inkompetent sind und oft
keine Ursachenforschung betrieben, im Sinne, dir helfen zu wollen? Welche Erfahrungen hast du diesbezüglich gemacht?
Das trifft voll und ganz gut, habe ich ja in der vorherigen Antwort beschrieben. Was solche Krankheiten wie ME/CFS, Fibromyalgie oder Reizdarmsyndrom angeht (alle noch nicht
erforscht), haben die Herren und Damen in Weiß große Vorurteile. Das wurde ihnen wahrscheinlich so beigebracht, und ein Umdenken findet trotz entsprechender Studien und Hinweise auf organische
Ursachen dieser Krankheitsbilder nur langsam statt. Die „5-Minuten-Medizin“ trägt halt auch dazu bei, dass Ärzt*innen ihre Patient*innen in kurzer Zeit abfertigen müssen, wenn ihre Praxen
rentabel laufen sollen.
Es sind natürlich nicht alle so, ich habe auch mit sehr korrekten Mediziner*innen zu tun gehabt, die mich ernst genommen haben, aber die waren eher die Ausnahme.
Markus, hast du viel zum Thema gelesen oder recherchiert, um selbst mehr über die Krankheit zu erfahren? Was hat dir das gebracht?
Ja, da sich die wenigsten Ärzte damit auskennen, werden viele von uns Patienten selbst aktiv und informieren sich durch Broschüren von Selbsthilfe-Organisationen oder im
Internet. Ich habe sogar auf eigene Kosten Laboruntersuchungen machen lassen, die die Krankenkasse nicht bezahlt, um weitere Dinge abzuklären. Das ist total bescheuert. Eigentlich sollten ja die
Fachleute diese Arbeit machen, und nicht wir Betroffene, aber wenn einem niemand hilft, wird man halt selbst aktiv.
Eine prominente ME/CFS-Patientin ist übrigens die Politikerin Marina Weisband (früher Piraten-Partei), gerade wegen der Ukraine oft in den Medien. Und ältere Fußballfans kennen vielleicht noch
den ehemaligen Bundesliga-Spieler Olaf Bodden (u. a. 1860 München). Er musste wegen der Krankheit seine Fußballer-Laufbahn beenden und ist heute ein Pflegefall.
Bereits nach geringer körperlicher oder geistiger Anstrengung sind Begleitsymptome (Erschöpfung, Müdigkeit) stark ausgeprägt. Wie koordinierst/planst du Abläufe in deinem
Alltag?
Wir ME/CFS-Patient*innen müssen unsere Energie gut einteilen, Aktivitäten und Gehstrecken sorgfältig planen. Ich kann nicht am Nachmittag mit meinen Kindern auf den Spielplatz
und dann abends noch auf ein Punk-Konzert gehen, nur eine „anstrengende“ Unternehmung am Tag ist möglich. Dieses Fatigue-Management nennt man „Pacing“.
Wer an CFS leidet, hat den Antrieb, wird aber von seinem Körper daran gehindert, wieder aktiver zu werden. Mensch will, kann aber nicht. Da scheint ja nur eines zu helfen: absolute Ruhe
und Untätigkeit. Auf was musst du alles verzichten und was nervt dich am meisten?
Stimmt, das echt furchtbar, so zum nichts tun verurteilt sein. Ich habe mich in meinen Comics und Zines immer gern als gemütlichen Couch-Potato dargestellt, bin aber in vielen
Dingen recht aktiv und fleißig. Es ist schon erschreckend, was man alles nicht mehr machen kann: Tanzen, Schwimmen, Sport, in einer Band sein, wild mit meinen Kindern spielen. Aber irgendwann
gewöhnt man sich halt an diese Untätigkeit. Es geht ja nicht anders.
Immerhin kann ich meine Ruhezeiten nutzen, indem ich Musik und Hörbücher höre oder TV schaue (lesen strengt leider an und geht nur mal eine Viertelstunde lang). Viele schwerer Betroffene können
nicht mal das, da wäre Fernsehen zu überfordernd. Zum Beispiel helfe manchmal einer anderen CFS-Patientin in meiner Wohngegend, die kann gar kein Licht mehr verarbeiten, sie lebt komplett in
Dunkelheit und kann nur noch sehr eingeschränkt sprechen. Das sind dann krass harte Zustände.
Demgegenüber bist du ein kreativer Mensch. Arbeitest du in Zeiteinheiten und wie langwierig kann ein Projekt dauern, an dem du arbeitest?
Genau, wenn als Grafiker arbeite und zeichne, mache ich das nur in 20-Minuten-Einheiten und danach wieder 20 Minuten Pause. So komme ich auf etwa 2 Stunden am Tag. Daneben habe
ich mit meiner Freundin ja noch zwei Kinder. Letztere und der Haushalt „fressen“ auch einiges an Energie.
Ich schaffe also nur etwa 25 % vom Arbeitstag eines gesunden Menschen. An meinem letzten Fanzine P.F.F. Nr. 4 habe ich 3 Jahre gesessen! Deshalb mache ich lieber kleine Projekte. Ich hätte zwar
Bock mal wieder eine längere Comicgeschichte zu zeichnen, aber wahrscheinlich würde das 5 Jahre dauern – wer weiß, ob wir uns dann im Atomkrieg mit Russland befinden, oder ob durch eine
Covid-Variante „Omega“ wieder harter Lockdown ist und alle Zeichenblöcke zu Klopapier umfunktioniert werden müssen. Sowas ist mir also leider zu langwierig. Dann lieber hier mal ein Cartoon und
da mal ein Flyer.
Was hast du für persönliche Ziele und Wünsche?
Momentan bekomme ich nur eine sehr kleine Erwerbsminderungsrente und muss, so gut es geht, dazuverdienen. Dadurch hab ich wenig Zeit für Spaßprojekte wie Fanzines und Comics
zeichnen, das ist schade. Da gibt es noch zwei Optionen von Behördenseite, die meine Situation verbessern würden, das muss ich wahrscheinlich einklagen – mal schauen, wie das ausgeht.
Ansonsten wäre natürlich Hammer, wenn endlich jemand ein Medikament gegen ME/CFS entwickeln würde, und ich wieder gesund werden könnte. Manche Forscher*innen arbeiten daran, aber es wird
finanziell noch zu wenig gefördert.
Ansonsten danke für dein Interesse, du hast dich ja echt schlau gemacht zur Thematik!
Und an die Underdog-Leser*innenschaft: checkt mal meine Comics aus: www.Magenbitter.net
P.S. Tipp: Ihr seid krank und kein*e Arzt/Ärztin findet etwas? Es gibt an manchen Uni-Kliniken Zentren für seltene oder unerkannte Krankheiten, die spielen dann Dr. House und
kriegen vielleicht raus, wo der Schuh drückt.
Fußnote:
1. Die Myalgische Enzephalomyelitis/das Chronische Fatigue-Syndrom ist eine schwere neuroimmunologische Erkrankung, die oft zu einem hohen Grad körperlicher Behinderung führt. Weltweit sind etwa 17 Mio. Menschen betroffen. In Deutschland sind es geschätzt bis zu 250.000, darunter 40.000 Kinder und Jugendliche. Damit ist ME/CFS relativ weit verbreitet. Die WHO stuft ME/CFS seit 1969 als neurologische Erkrankung ein. ↩