LOTTA #87
64 DIN-A-4-Seiten; € 3,50.-
Lotta, Am Förderturm 27, 46049 Oberhausen
www.lotta-magazin.de
Die Neonazi-Szene ist im Wandel. Längst vorbei die Zeiten, wo Skinheads Nazis waren und Neo-Nazis auch äußerlich zu erkennen und mit durch eindeutige Szene-Codes zu
identifizieren waren. In den 80er und Anfang der 90er Jahre gab es neben den sogenannten Boneheads die NPD, Freie Kameradschaften und Rechtsrock-Bands, in denen „der Kampf um die Straße und
Köpfe“ tobte und eine extrem rechte Beteiligung der Akteure eindeutig zuzuordnen war.
In den 00er Jahren etablierte sich das Phänomen der Autonomen Nationalisten: Schwarz vermummte Jugendliche hinter bunten Transparenten, Slogans wie „Smash Capitalism!“ oder „Fight the system!“:
Mit den ‚Autonomen Nationalisten‘ (AN) war eine neue Generation von Neonazis in Erscheinung getreten, die deren bisherigen Klischee komplett widersprach. Stilistisch angelehnt an jugendkulturelle
Ausdrucksformen der Linken, sorgten diese ‚neuen Nazis‘ gleichermaßen für allgemeine Irritation wie für Sogwirkung in der extremen Rechten. Rechte Rap- und HC-Acts entstanden und suchten
Anknüpfungspunkte in der „Szene“, während rechte Veganer*inne ihr Heil in Sozialen Netzwerken fanden.
Als Identitäre Bewegung bezeichnete sich eine Ende 2012 auch in Deutschland entstandene Gruppierung neu-rechter Aktivist*innen, die vor allem öffentlichkeitswirksame Aktionen durchführten. Durch
aufwändig inszenierte, spektakuläre Aktionen im öffentlichen Raum, die auf verschiedenen Plattformen online gestellt werden, sollen Anhänger*innen rekrutiert werden. Die bekanntesten Aktionen
sind die Besetzung des Brandenburger Tors mit Anti-Flüchtlings-Transparenten (2016) und ein Jahr später unter dem Motto „Defend Europe“, der (misslungene) Versuch, mit einem gecharterten Schiff
an Libyens Küste Geflüchtete an der Reise nach Europa zu hindern.
Gesamteindruck:
Im Fokus der Betrachtung liegen die Bundesländer Hessen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Hier ist die extrem rechte Landschaft geprägt von einer einem Milieu aus „Reichsbürger*innen“, „Pandemie-Leugner*innen“, Wandergruppen, AfDler*innen und Messenger-Gruppen. Die neue Heimat der extremen Rechten ist so vielseitig wie – aus antifaschistischer Sicht – kaum zu erfassen, weil sich der Hass und gewaltbereite Aktionen zunehmend in geschlossenen Chat-Gruppen verbreitet und verabredet wird. Ein „In“ und „Out“-Update veranschaulicht den Wandel, der bedingt durch Krisen und Kriege auch derzeit die Gesellschaft spaltet. Eine Spaltung, die unbedingt verhindert werden muss. Vertiefen sich die Krisen, so ist das im rechten Denken ein weiterer Beleg für den Kampf um eine autoritäre Gesellschaftsordnung, die auch für ökonomische Stabilität sorgen soll. Ob Tag X, Kulturkampf, „Großer Austausch“-Fantasien. Wenn unklar ist, wie es weiter geht, ist es immer leichter, die Apokalypse zu predigen, als eine andere, bessere Welt zu skizzieren.