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Von Kühen, Punk und Dosenbier

Wahrscheinlich hat jede*r von uns schon mal upgecycelt. Etwa im Kindergarten, zu Hause, um aus alten Klorollen, Zeitungspapier und Pappmaschee irgendwelche Gebilde und Kunstwerke zu basteln. Im Grunde habe ich schon upgecyelt, als ich den Begriff noch gar nicht kannte. Meine Mutter hatte mir einen Schwung weißer T-Shirts gekauft, die ich im Teenie-Alter mit 14 Jahren aufpeppte (wobei ich stark anzweifle, dass es sich um eine Aufwertung handelte). Ich begann mit dem Edding-Stift Schriftzüge von Punkbands und Plattencover frei Hand auf die Shirts zu malen. Im Ergebnis zierten fortan der gerupfte NORMAHL-Adler der „Ein Volk steht hinter uns“ Platte gemalt auf dem Shirt, ergänzt mit dem Schriftzug „Totale Ablehnung“ oder das DAILY TERROR „Schmutzige Zeiten“-Motiv sowie der Schriftzug des in den 80er Jahren in asseligen Deutsch-Punk-Zirkeln „Ich sauf am Brunnen“ sehr beliebten KARLSQUELL-Dosenbiers.

Auf dem Dachboden entdeckte ich einen Karton mit Kleidung des verstorbenen Nachbarn und ehemaligen Arbeitskollegen meines Vaters. Darin befand sich eine karierte Stoffjacke. Ich schnitt mit einer Schere einige Löcher hinein, verzierte die Jacke mit Schriftzügen, Logos, Buttons, Aufnähern, Sicherheitsnadeln und hatte so mit 14 Jahren meine erste „Punk“-Jacke.
Jeanshosen habe ich mit Domestos gebleicht und nach der Wäsche ebenfalls mit Aufnähern, mit Edding geschriebene Bandnamen und Logos (INFERNO,  Upright Citizens, Heimat-Los) und Parolen („Every woman, every man, fight the system where you can!“); „Schieß doch Bulle“) nach meinen Vorstellungen aufgehübscht.
Mit kurz darauf getragenen Second Hand-Lederjacken ging ich ähnlich vor: Nieten, Leoparden-Kunstfell, Aufkleber, Aufnäher und Schriftzüge von Bandnamen zierten nach mühsamer Kleinstarbeit das aufgewertete Kleidungsstück. Aus einem Würfelbecher aus Leder fertigte ich ein Nietenarmband an oder kaufte im „GRÜNEN WARENHAUS“ ein Hundehalsband, um hierauf Nieten anzubringen und trug es stylish am Hals oder Handgelenk.

Alles DIY, alles im Namen des Punk.

Meine Mutter hatte mir später eine blaue Jeansjacke mit gleichgroßen bunten Stoffresten aus Gardinen, Bettwäsche, Handtüchern etc. im Patchwork-Style aufgenäht. Hierzu hatte sie zunächst die Nähte der Jeans-Innenseiten aufgetrennt, um anschließend Stoff für Stoff vorne und hinten auf der aufgetrennten Hosenbeine aufzunähen.
Einige Jahre später hatte ich eine neu gekaufte Lederjacke zu einer Kuhwiese gefahren. Ich warf die neue Jacke über den Zaun, damit die angelaufenen Kühe die hineingeworfene Jacke zertrampeln und diese nicht mehr nach Neuware aussieht. Um das Ergebnis zu perfektionieren, holte ich zu Hause einen großen Hammer aus meines Vaters Werkstatt im Keller, sorgte zusätzlich für einen „Dellen“-Look, raspelte mit einer groben Feile Risse ins Leder und sprühte im Anschluss dezent noch grüne und rote Lackfarbe als besondere Note auf Ärmel und Rückseite. Das diente der Vorbereitung für die weitere Verarbeitung (s. Methode oben: Auftragen von Nieten, Aufnähern etc.).
Noch heute, wenn ich an einer Kuhweide vorbeikomme, denke ich an meine neu gekaufte Lederjacke zurück, die so hingebungsvoll von Kühen bearbeitet worden ist, dass ich mich ob der damaligen kreativen Arbeitsteilung und Kooperation bedanken möchte.