Während sich in der Welt der Akademiker*innen und Ingenieure die Idee des Upcycling (die noch nicht diesen Namen hatte) in der Welt der Mode herausbildete, begannen die Jugendsubkulturen der 70er und 80er Jahre mit der kreativen Wiederverwendung von Stoffen zu experimentieren: Die amerikanischen und britischen Punks waren vielleicht die ersten, die alte Kleidungsstücke, insbesondere Jeans, an den individuellen Geschmack anpassten und bspw. die Sicherheitsnadel benutzten, die zum Zusammenhalten der verschiedenen zusammengefügten Teile verwendet wurde und Kleidungsstücke in ein Symbol der Rebellion und Anarchie verwandelten.
Doch bevor diese Anti-Mode in den 70er Jahren gesellschaftlich provozierte, nahm in den späten 1960er Jahren eine Geschmacksrichtung ihren Anfang, die heute mit dem Begriff der „Destroyed Optik“ belegt wird. Damals fanden es junge Leute chic, ihre alten zerlöcherten Jeans weiterhin zu tragen. Sie wollten bewusst gammelig aussehen, um sich vom Adretten und Wohlgeordneten der älteren Generation abzusetzen. Auch ein Desinteresse am Konsum sollte demonstriert werden. Diese Attitüde verstärkte sich dann in der Punk-Bewegung der 1970er Jahre, die absichtlich Heiles zerstörte und die bis heute Couture und Mainstream-Mode beeinflusst.
Vivienne Westwood
Als ältestes von drei Kindern wurde Vivienne Isabel Swire 1941 in einer englischen Kleinstadt geboren. Sie stammt aus einfachen Verhältnissen und arbeitete in den 60er-Jahren zunächst als Grundschullehrerin in London. Zuvor studierte sie ein Semester an der Harrow Art School Modedesign. Verließ diese aber mit dem Gedanken, nie Erfolg in einem kreativen Beruf haben zu können. Dennoch, sie sprühte schon damals vor Energie, wusste nur noch nicht, wie sie diese umsetzen sollte. Nach der Scheidung von Derek Westwood lernte sie Malcolm McLaren kennen, mit dem sie fast zwanzig Jahre zusammen war.
Nicht minder beeinflusst von dieser Beziehung zu Malcolm McLaren, dem späteren Manager der Sex Pistols, begann Westwood wieder mit dem Schneidern und entwickelte einen ganz eigenen, autodidakten Stil. Zu dieser Zeit machte sich in England die Punk-Subkultur breit – und Vivienne Westwood befand sich quasi mittendrin. Für ihre Designs gründete sie 1971 gemeinsam mit McLaren ihren ersten Laden in der King´s Road, der mehr Künstleratelier als Boutique war. Dessen Namen änderte sich zudem im Laufe der Jahre mit jeder neuen Kollektion: „Let it rock at paradise garden“ zu „Too fast to live, too young to die“, einfach „Sex“ und „Seditionaries“.
Punk-Ideologie mit „Do it yourself“-Charakter
Ihre anfänglichen Inspirationen entdeckte sie allerdings im Retro-Charme der Fünfziger. Sie trennte alte Ready-to-Wear Stücke und Teddyboy-Anzüge in ihre Einzelteile auf, dekonstruierte und veränderte diese, kopierte Schnitte und nähte sie nachher wieder zusammen. Mode, Kunst, Musik – anfangs verschwammen die Grenzen. Westwoods Kleidung wirkte zufällig und hatte gemäß der Punk-Ideologie „Do it yourself“-Charakter. Bedruckt mit Sprüchen und Motiven, mit Latex, Reißverschlüssen, Ketten, Nieten und Sicherheitsnadeln versehen, provozierte ihre Mode immer mehr und fand Gefallen bei Bohemians, Außenseiter*innen und Aktivist*innen.
»Ich sah mich damals noch nicht als Modemacherin. Wir suchten (...) nach Motiven der Rebellion, um es dem Establishment zu zeigen. Das Ergebnis war Punk.«
In den letzten Jahren hat die Modeindustrie angesichts der wachsenden Besorgnis über den fortschreitenden Klimawandel begonnen, immer umfassendere Maßnahmen zu ergreifen, um ihren Fußabdruck auf
dem Planeten zu verringern und neue, nachhaltigere Produktionsmodelle einzuführen. Der Anstoß dazu kam nicht nur von der Spitze der Unternehmen, sondern auch von der Öffentlichkeit, die während
des DIY-Booms, der während der Abriegelung stattfand, kreative Wiederverwendungs- und Upcycling-Techniken über soziale Netzwerke wie Instagram und TikTok verbreitete. Trotzdem stehen hier
kommerzielle Absichten und sind auch ein Widerspruch zwischen dem DIY-Konzept und den kommerziellen Anforderungen.
Upcycling in der heutigen Zeit hilft dabei, Ressourcen zu schonen und trägt somit zum Umweltschutz bei. Gleichzeitig entstehen dabei trendige Gebrauchsgegenstände – richtige Unikate. Weit
verbreitet ist inzwischen die Nutzung von Europaletten als Möbelstücke. Ob Tisch, Sofa oder Bett – Paletten sind stabil, günstig und lassen sich mit ein wenig Fantasie und handwerklicher Begabung
in coole Einrichtungsgegenstände verwandeln. Beim Upcycling sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt. Erlaubt ist, was gefällt – und es gibt wohl kaum einen Gegenstand, der nicht dafür infrage
kommt. Weitere populäre Upcycling-Ideen sind Pinnwände aus Wein- und Sektkorken, alte Emailletassen als Blumentöpfe und Marmeladengläser als Lampenschirme. Auch leere Toilettenpapierrollen müssen
nicht im Papiermüll entsorgt werden, denn sie lassen sich hervorragend zu Geschenkverpackungen aufwerten. Inzwischen haben sich sogar viele Start-ups mit Upcycling-Produkten einen Namen gemacht,
darunter auch zwei Brüder, die Taschen aus alten Gummireifen und Lkw-Planen herstellen und damit zum Kult geworden sind.