Christina Spitzmüller ist taz-Kolumnistin1 und schreibt u. a. über Upcycling, bezeichnet das aber lieber als „Schöner Müll“. Ob
alte Tonträger, Plüschtiere, CD-Hüllen, Gummi-Dinosaurier, Plastikfische und demnächst vielleicht auch einen Kuscheltampon für die Freundin. Christina ist auf der Suche nach Objekten, die noch
nicht so viel Einzug in der „Schöner Müll“-Welt gehalten haben. Dabei haben diese natürlich auch eine Daseinsberechtigung. Selbstreflexion beim Essen, Liebe zu Pflanzen und Pflanzenfotos
als Alternative zu Hunde- und Katzenfotos. Wichtig ist ihr das andere im Besonderen zu finden. Dafür begibt sich Christina auf die Suche nach Ideen für das kreative Handwerk. Die Ideen kommen ihr
am Supermarkt-Kühlregal, in asiatischen Restaurants, Spontan-Trips mit dem Auto bei 20 km/h oder im Naturkundemuseum.
Doch Christina ist nicht nur geschickt mit Nadel und Faden, sondern auch mit dem Bass. Diesen zupft sie neuerdings in einer mackerfreien und emanzipierten Punk-Band namens ‚Gebrechen‘. Sie hat
dadurch nicht nur ein neues Lebensgefühl dazu bekommen, sondern auch die Erkenntnis gewonnen, dass Punk mehr ist, als drei Akkorde, bisschen Rumgebrülle und bunte Haare. Dadurch hat Christina
auch ein neues Selbstverständnis erhalten: „Ich muss heute zur Bandprobe“ klingt viel besser, als nicht zu können, weil man noch zum Elternabend/zur Hundeschule/Arbeit muss.
Christina leistete nach ihrem Abitur im Heilpädagogischen Zentrum (HPZ) Pskow in der einzigen Förderschule für Kinder und Jugendliche mit geistigen Behinderungen ein Freiwilliges Soziales Jahr
(FSJ) in den Weiten Russlands. Da es in Russland kaum Materialien gibt, auf die Pädagog*innen zurückgreifen können, hieß das Motto bereits dort: ‚Learning by doing‘ durch Kreativität und
Improvisation. Der Grundstein für das spätere Upcyling-Verfahren war gelegt. Später hat Christina Interdisziplinäre Russlandstudien in Potsdam und Irkutsk studiert und lebt als freie Journalistin
in Berlin. Endlich angekommen, kann sie sich ganz und gar dem Punk und dem Upycling widmen.
»Man blickt hinter die Fassade des Mülls, versucht, das Schöne daran zu erkennen und daraus etwas möglichst Brauchbares zu machen!«
Hallo Christina! Du warst/bist ja u. a. freie Mitarbeiterin bei der Regionalzeitung Schwarzwälder Bote und bei der Moskauer Deutschen Zeitung, Moskau. Warum hast du dich für diese
doch sehr unterschiedlichen Ausrichtungen entschieden und was hat dich an den Aufgaben/journalistischen Tätigkeiten fasziniert?
Hallo Fred! Für diese beiden Zeitungen hab ich vor langer Zeit geschrieben. Beim Schwarzwälder Boten noch zu Schulzeiten, bei der Moskauer Deutschen Zeitung, weil ich damals
ein FSJ in Russland gemacht habe. Inzwischen bin ich aber in einem anderen journalistischen Bereich und schreibe kaum noch selbst. Beim Schwarzwälder Boten ging’s mir darum, den Journalismus
erstmal kennenzulernen – es fängt sich meist leichter bei einer Regionalzeitung an als gleich bei den großen Namen. Ich konnte dort sehr viel machen, von Jahreshauptversammlungen beim örtlichen
Wanderverein bis hin zur Sommerreportage über den Bademeister gab’s eine große Bandbreite. Cool war, dass es viele unterschiedliche Aufträge gab und mir schnell viel zugetraut wurde und ich auch
gemerkt habe – das kann ich gut, das macht mir Spaß, das will ich weiter machen.
Mit deinen taz!-Kolumnen hast du auf eine sehr humorvolle, unterhaltsame (Schreib)Weise Upcyclings-Ideen und praktische Anleitungen vorgestellt. Was waren deine Beweggründe fürs
Upcycling?
Ich schmeiße ungern Dinge weg, aus denen man noch was machen kann. Weil ich daran denke, wie viel Energie und Aufwand es gekostet hat, dieses Ding herzustellen, zu
transportieren, zu mir zu bringen. Außerdem kauf ich ungern ein – ich will wissen, unter welchen Bedingungen Produkte hergestellt werden und oft ist das nicht so leicht herauszufinden. Deswegen
versuch ich, vieles selbst zu machen – was natürlich mit vielen Privilegien verbunden ist: Ich kann mir die Zeit dafür nehmen, ich hab die entsprechenden Geräte zu Hause und den Platz.
Als ich dann vor Jahren ein Praktikum bei der taz gemacht habe, gab’s dort schon die Rubrik „Schöner Müll“. Da dachte ich „hey, dass mach ich doch eigentlich auch oft genug, wieso nicht drüber
schreiben?“
So kam ich dazu, über schönen Müll zu schreiben. Ich finde den Ausdruck auch viel passender als Upcycling: Man blickt hinter die Fassade des Mülls, versucht, das Schöne daran zu erkennen und
daraus etwas möglichst Brauchbares zu machen.
DIY ist natürlich nicht gleich Upcycling. Wenn ich für ein hippes Projekt erstmal Paletten im Baumarkt kaufen muss, aus denen ich dann ein Sofa baue, das mir irgendwann nicht mehr gefällt, ist
das für mich kein Upcycling – die Paletten sind am Ende dann oft nur noch als Brennholz zu gebrauchen. Wenn ich aber aufgeriebene Hosen repariere oder aus zu kleinen Wollpullis Kinderklamotten
nähe, ist das für mich sinnvolles Upcycling. Oder aus CD-Hüllen, die im Müll landen würden, Aufbewahrungsboxen, die dann nochmal mehrere Jahre im Einsatz sind.
Was macht für dich das Besondere an Upcycling aus?
Dass man damit arbeiten muss, was da ist. Also, dass man vom Objekt her denkt. Nicht die Idee – ich will das oder jenes haben – ist der Anfang, sondern das Ding: Das ist hier,
das hat so keine Verwendung mehr, was mache ich daraus? Wenn ich so darüber nachdenke, ist es fast schon eine Lebenseinstellung: Akzeptieren, was da ist, und daraus das beste machen, statt sich
darüber zu ärgern, was alles nicht so ist, wie man es haben möchte. Mein Lieblingsshirt hat ein Loch? Okay, dann sticke ich eine Blume drauf, statt traurig zu sein, ihn nicht mehr tragen zu
können.
Die Dinge bekommen dadurch, dass man sie selbst herstellt, oft noch mehr Wert. Ich verbinde was mit ihnen, meistens einen Menschen, der sie mir geschenkt hat, oder einen Ort, wo ich sie gefunden
habe. Was aber auch ein Problem ist, weil es mir dann schwerfällt, sie in unbekannte Hände wegzugeben.
Du hast Materialien wie alte Platten, Strumpfhosen, Bass-Saiten und Sojasaucen-Fische(!) verwendet. Wie kommen deine innovativen, kreativen Upcycling-Ideen zustande?
Durch Zeit, Nachdenken, Anschauen, was andere machen, und durch Ausprobieren. Ich versuche, mich von der Form leiten zu lassen. Kann man sie verändern oder muss sie so bleiben?
Alte CD-Hüllen lasen sich in der Form nur schwer verändern, aber sie sind fast quadratisch, sie lassen sich wunderbar zu kleinen Boxen zusammenkleben. Auch an einer alten Waschtrommel lässt sich
nicht viel verändern, höchstens noch etwas anschrauben – mit sechs Füßchen und einer Platte aus Holzresten wird daraus ein wunderbarer Couchtisch mit Stauraum. Ein eingelaufener Wollpulli ist
meist auch nicht mehr zu retten, aber das Material ist schön und weich – es lebt weiter als Handschuhe, Mütze oder Kuscheltier. Solche Ideen kommen mir recht schnell, weil sie naheliegend
sind.
Aber es gibt auch schwierige Materialien. Aus meinen alten Bass-Saiten wollte ich unbedingt etwas machen, aber sie sind so widerspenstig und halten sich nur schwer in einer Form. Letztlich habe
ich sie kreuz und quer an einem alten Bilderrahmen festgetackert und dienen nun als Magnettafel. Noch schwieriger war es mit den Strumpfhosen. Die lagen mehrere Jahre bei mir rum, bis ich
irgendwann darauf kam, was ich mit ihnen anstellen kann.
Was sind die größten Herausforderungen dabei, aus Altem etwas Neues zu machen?
Für die „Schöner Müll“-Rubrik bei der taz hab ich immer nach besonderen Materialien gesucht, die ich verwenden kann. Privat arbeite ich hauptsächlich mit Stoff und Wolle, alten
Klamotten, aussortierten Stoffresten, solche Dinge. Da ist oft recht klar, was draus werden kann, und die Möglichkeiten sind meist sehr offensichtlich: Stoffreste kann ich durch Patchwork zu
größeren Stoffstücken verarbeiten, mit denen ich dann weiterarbeiten kann. Aus Wollresten werden bei mir oft Kissenbezüge – ähnlich wie beim Patchwork häkle ich hier Granny Squares2, die ich dann zusammenfügen kann. Also ist mir bei diesen Materialien meist schnell klar, was ich daraus machen kann und will.
Weil ich für die taz aber immer auf der Suche nach ungewöhnlichen Materialien war, die noch nicht in jedem Upcycling-Blog behandelt wurden, dauerte dieser Prozess oft länger, manchmal sogar
Jahre. Ich hab das Zeug dann zu Hause und es wartet auf seine Verwendung. Manchmal suche ich gezielt im Internet nach Ideen, meist ist das aber nicht brauchbar. Mein Anspruch ist in der Regel,
dass ich wirklich nur mit dem arbeite, was ich da habe, und nicht noch was dazukaufen muss. In letzter Zeit gibt es den Trend, aus Kordeln Körbe zu nähen. Um Stoffreste zu verwerten, werden diese
in diversen Blogs dann um die Kordeln gewickelt. Weil ich dazu allerdings erst neu produzierte Kordeln kaufen müsste, ist das keine Option für mich. Jetzt habe ich aber in einem Blog gesehen,
dass man dicke Stoffstreifen auch in sich drehen kann und sie so zusammennähen. Ich hab das noch nicht ausprobiert, aber das wäre eine Option.
Was für mich auch eine Herausforderung ist: Nicht immer wird aus dem vermeintlich schönen Müll auch wirklich etwas Schönes. Und manchmal muss ich dann auch einsehen, dass ich aus dem Müll nichts
schaffen konnte, was ich dann auch gern benutze oder gern verschenke, weil es einfach keinen Charme hat. Dann hab ich viel Zeit auf etwas verwendet, was dann letztlich doch Müll bleibt.
Nutzt du andere Inspirationsquellen, besuchst andere Upcycling-Blogs? Wenn ja: Welche sind deiner Meinung nach besonders empfehlenswert und warum?
Wie schon erwähnt, ist das bei meinem Anspruch oft schwierig. Ich folge auf Instagram verschiedenen Handarbeits-Seiten und bin in entsprechenden Facebook-Gruppen. Manchmal kann
ich mich da inspirieren lassen – aber eher allgemein, ich versuche dann manchmal, die Ideen, die mit neuem Material umgesetzt werden, mit Upcycling-Materialien zu machen.
Projekte, die unter Upcycling laufen, sind oft aber sehr aufwendig oder gar teuer, man braucht bestimmtes Werkzeug, ein Auto zum Transport, so was. Das finde ich nicht praktikabel.
Wie hast du das Rätsel der Strumpfhose gelöst?
Ich habe daraus Blumenampeln geknüpft. Das war ein langer Prozess, weil ich lange einfach nicht wusste, was ich mit kaputten Strumpfhosen anfangen soll. Zuerst hab ich damit
meine Balkontomaten festgebunden, weil das Material nicht einschneidet. Dann kam mir die Idee, aus Wollstrumpfhosenbeinen Zugluftstopper zu machen, wenn ich sie mit Stoffresten oder anderen
Strumpfhosen stopfe – nicht besonders schön, aber im Winter sehr praktisch. Und dann kam ich irgendwann auf die Idee mit den Schnüren: Aus den Strumpfhosen lassen sich lange, sehr elastische
Schnüre schneiden, die kann man dann miteinander verknoten – ein bisschen wie bei den Makramee-Blumenampeln, nur muss man dabei die große Elastizität einberechnen.
Mit Punk hattest du zunächst kaum Berührungspunkte. Trotzdem bist du in einer Punkband gelandet. Wie kam es denn dazu?
Ganz klassisch: Über eine Suchanzeige im Internet. Ich hab früher viel Musik gemacht, seit ich in Berlin wohne, aber kaum mehr. Dann hat eine Band wen für den Bass gesucht, das
ins Internet geschrieben, und ich hab mich darauf hin gemeldet. Inzwischen heißen wir „Gebrechen“3, haben wegen Corona noch kein
einziges Konzert gespielt, aber ein paar Lieder aufgenommen und ich fühl mich sehr wohl mit der Konstellation und der Musik.
Deine Erfahrung mit simplen Akkorden und komischen Liedtexten hat dich zur Erkenntnis gebracht, dass Trostlose und Resignierte des Ganzen zu mögen. Was für einen Erkenntnisgewinn hast du
über Punk denn noch gewonnen?
Dass es den Punk an sich nicht gibt. Ich hab Menschen kennengelernt, die Punk sehr unterschiedlich leben. Für manche ist es die Musik, der Style, die bunten Haare, ein bisschen
Einstellung. Für andere das komplette Leben, das sich dann vielleicht auch nicht mit Lohnarbeit verträgt. Ich hab gelernt: Punk darf widersprüchlich sein, auch Menschen mit Punkhaltung dürfen
widersprüchlich sein, wie alles auf der Welt.
Ich bin nicht mit Punk oder Punker*innen in meinem Umfeld aufgewachsen. Es spielte keine Rolle in meiner Jugend, in dem Ort, in dem ich aufgewachsen bin. Jetzt kenne ich Menschen, die wegen ihrer
Punk-Einstellung und der Art wie sie aussehen, zusammengeschlagen wurden und viele Jahre ihres Lebens vor gewaltbereiten Nazis weglaufen mussten. Das war durchaus ein Erkenntnisgewinn für mich,
weil ich mich damit vorher nie beschäftigt hatte.
Was ich auch gelernt habe: Punk kann auch professionell und anspruchsvoll sein. Ich dachte ja, ich komm zur Band, weiß, wo die Töne liegen und spiele dann da halt so ein bisschen halbwegs im
Takt. Ich muss sagen: Der Anspruch war dann ein bisschen höher – es gibt mehr als drei Akkorde und es wird auch nicht nur geschrammelt. Aber genau deshalb macht es auch Spaß.
Dann hast du ja noch aus alten Bass-Saiten eine Magnettafel gebastelt. Punk und DIY ist also auch ein praxisnahes, alltagstaugliches Konzept. Würde die Punk-Subkultur ohne die
D.I.Y.-Bewegung existieren?
Ohne die DIY-Bewegung vielleicht nicht in der Form – die war ja insbesondere mit den Fanzines und Plattenlabels. Aber ohne Upcycling auf jeden Fall. Ich hoffe, ich lehne mich
nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich sage, Punk ist oft genug auch Downcycling: Hosen aufzureißen für einen used look, zum Beispiel. Grundgedanken vom Punk ist ja die individuelle Freiheit,
Provokation, Auffallen. Das alles geht auch ohne Upcycling und oft genug auch ohne DIY.
Wer anders sein will, kann seine Klamotten vielleicht nicht einfach bei H&M kaufen oder seine Möbel bei Ikea. Es gibt ja inzwischen genügend Labels, die auch Klamotten abseits des Mainstreams
anbieten.
Hast du schon mal darüber nachgedacht, deine DIY-Arbeiten nicht nur als Anleitungen für andere zur Verfügung zu stellen, sondern auch als Auftrag zu produzieren und zum Verkauf
anzubieten? Oder warum ist das keine Option für dich?
Darüber hab ich nachgedacht, aber dann müsste ich in meinem Haupt-Job weniger arbeiten und das möchte ich gerade nicht. Ich nähe, bastle und werke in meiner Freizeit viel mit
gebrauchen Materialien. Und wenn auf der Straße etwas liegt, was ich nicht liegen lassen kann, weil es doch noch wunderbar verarbeitet werden kann, dann nehm ich das mit und mach was draus. Und
ich repariere die Klamotten meiner Freund*innen und stricke ihnen Socken zum Geburtstag, das reicht mir fürs erste.
Hast du von einigen deiner Upcycling-Projekte ein Lieblingsstück, das du hier step by step vorstellen magst?
Die CD-Boxen, weil ich die tatsächlich oft nutze und viele von den Leser*innen hier bestimmt CDs zu Hause haben, die sie vielleicht neu verwenden wollen. Pro Box braucht man
fünf CD-Hüllen. Die Hüllen kann man entweder so lassen oder die Cover rausnehmen und anders gestalten. Eine der Hüllen bildet unten die Grundfläche. Eine CD-Hülle als Grundfläche verwenden und an
den vier Seiten je eine Hülle ankleben – mit Heißkleber oder „Kleben statt Bohren“-Kleber. Die Seitenwände stehen nicht auf der Grundfläche, sondern an deren Seiten, vergrößern die Grundfläche
also. Beim Kleben beachten, dass die Vorderseiten der Hüllen zur Innenseite der Box zeigen – sie könnten sich sonst nach außen öffnen, was die Box instabil macht.
Ich hab in ein paar der Hüllen noch Plastiktüten geklebt und sie bepflanzt. In anderen bewahre ich Kram auf.
Fußnoten:
1. https://taz.de/Christina-Spitzmueller/!a34580/ ↩
2. Ein Oma-Quadrat ist ein Stück quadratischen Stoffes, der in Häkeln hergestellt wird, indem von der Mitte nach außen in Runden gearbeitet wird. Oma-Quadrate sind traditionell handgefertigt. Sie ähneln grober Spitze. ↩