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Tanz auf Ruinen

Tanz auf Ruinen ist Upcycling, (Kunst)-Werkstatt und Do-it-yourself-Ideenschmiede
Seit 2014 machen Thomas Zigahn und Kolleg*innen unter dem Label „Tanz auf Ruinen“ aus alt und wertlos, neu und besser.
Tanz auf Ruinen Upcycling versucht nutzlos erscheinenden oder ausgedienten Stoffen (von alten Fahrradmänteln über Kronkorken, Tetrapaks bis hin zu wertlosen Umlaufmünzen) ein neues, hochwertigeres Leben einzuhauchen. Beim „Upcycling“ werden diese „Abfälle“ unter nachhaltigen Gesichtspunkten als Material für die Schaffung neuer, hochwertigerer Produkte verwendet.

 Als Beispiel sind hier ausgediente Fahrradmäntel zu nennen, die üblicherweise als Energieträger in der Zementindustrie verbrannt werden. Aus diesen Fahrradmänteln entstehen stylische individuelle Gürtel. So werden Ressourcen, die für die Herstellung hätten verarbeitet werden müssen, geschont, da bereits vorhandene Materialien „geupcycled“ werden. Angeboten werden auch Schnupperkurse und Workshops, um das Themengebiet Upcycling von verschiedenen Seiten zu beleuchten.  Tanz auf Ruinen fungiert zudem auch als Non-Profit Independent-Label (Tanz auf Ruinen Records) mit liebevollen Aufmachungen und Veröffentlichungen auf MC und LP von Acts wie BLACK SQUARE, LÜGEN, EL MARIACHI oder BALBOA BURNOUT. Die neueste Veröffentlichung ist „Brexit Colada – Das Erbe“ auf LP ab Dezember ´22. In diesem Zusammenhang werden im Ladengeschäft, in der Rheinische Str. 137, 44147 Dortmund, auch schon mal kleine Ladenkonzerte veranstaltet. Im Interview konzentrieren wir uns auf das Upcycling. Thomas erläutert die Zugsamenhänge von Nachhaltigkeit, Veganismus und Upcycling, über urbane Lebensräume und Herausforderungen.


»Ich setze mich mittlerweile seit fast 10 Jahren beruflich mit Nachhaltigkeitskonzepten auseinander und es frustriert mich dann schon, wenn sich gesamtgesellschaftlich betrachtet nicht viel ändert.«


Thomas bei der Arbeit
Thomas bei der Arbeit

Thomas, deine Interessen implizieren Aspekte wie Upcycling, Nachhaltigkeit, Veganismus. Wie sind diese Aspekte miteinander verwoben?
    Das hängt ja alles miteinander zusammen. Wir als Menschen hinterlassen einen gewaltigen Fußabdruck auf diesem Planeten und verändern unsere gesamte Mitwelt. Leider ist die Gesellschaft zurzeit nicht besonders nachhaltig oder vorausschauend dabei. Es dreht sich halt alles um den Kapitalismus und Geld. Ich setze mich mittlerweile seit fast 10 Jahren beruflich mit Nachhaltigkeitskonzepten auseinander und es frustriert mich dann schon, wenn sich gesamtgesellschaftlich betrachtet nicht viel ändert. Auch das die verschiedenen Konzepte immer einzeln voneinander betrachtet werden, finde ich schwierig. Ich versuche an der Stelle mein Wissen über Konzepte wie Cradle2Cradle1, Zero Waste, Upcycling, etc. weiterzugeben.
Es kommen ja z. B. immer wieder  unsinnige Argumentationen auf, wie z. B. „Für Tofu wird der Regenwald abgeholzt“. Das sind dann immer diese sehr verkürzten Aussagen, die Menschen irgendwo aufgeschnappt haben. Das stimmt erst mal nicht, sondern da werden eher Anbauflächen für Futtermittel geschlagen. Weltweit werden etwa 60 Mrd. sogenannte große Nutztiere ernährt und gemästet, aber für 8 Mrd. Menschen ist dann nicht genug Essen da. So ist doch sofort erkennbar, dass wir da ein gewaltiges Verteilungsproblem haben und da bestimmte wirtschaftliche Interessen hinterstecken. Und wenn dann auch noch 2022 plötzlich wieder diskutiert wird, ob Atomkraft jetzt nicht doch vielleicht die Lösung sei, dann denke ich auf der einen Seite: Haben da gerade die 80er  angeklopft? Und auf der anderen Seite, da muss man doch irgendwas entgegensetzen. Und ich glaube, das geht zum größten Teil über Bildung und Aufklärung.

Was war für dich der auslösende Moment, zu erkennen, dass Dinge aufzuwerten besser ist, als sie wegzuwerfen und es Möglichkeiten gibt, das umzusetzen?
    Das habe ich schon von zu Hause aus gelernt. Ich nutze heute z. B. teilweise noch Elektrogeräte, die ich vor 30 Jahren gebraucht von meinen Eltern bekommen habe. Die versuche ich so lange zu reparieren bis es nicht mehr geht. Zum Themenbereich Upcycling kann ich jetzt nicht so genau sagen, ob es den einen Moment gab. Wobei, als ich vor über zehn Jahren auf dem Mauerpark-Flohmarkt in Berlin zum ersten Mal einen Gürtel aus Fahrradreifen gesehen habe, hat mich das schon geflasht. Da habe ich mir direkt gedacht, das kannste auch mal probieren. Und so kam der Stein ins rollen.

Während die Bezeichnung „Upcycling“ noch relativ neu ist, existiert das, was sich dahinter verbirgt, eigentlich schon seit Menschengedenken.
    Ja genau. Das „Aus Alt mach Neu“ -Prinzip war ja vor der industriellen Wohlstands- und Wegwerfgesellschaft eigentlich tägliche Maxime. Alles wurde verwertet, genutzt, repariert und umgearbeitet bis es wirklich nicht mehr zu gebrauchen war. Ein bisschen nach dem Vorbild der Natur, da gibt es ja auch keinen Müll. Upcycling bezeichnet meines Erachtens den Vorgang, aus einem obsoleten, defekten oder unbenutztem Material/Gegenstand etwas höherwertiges (im Gegenteil zum Recycling) zu schaffen und somit die Materialien im Wertstoffkreislauf zu halten und keine oder möglichst keine neuen Ressourcen zu nutzen.

Dabei hast du mit deinem 1. Staatsexamen Sonderpädagogik sowie Master of Arts Rehabilitationswissenschafte ganz andere wichtige Bereiche abstecken wollen: Teilhabe Leben und Inklusion. Was waren denn deine Beweggründe, hierzu nicht weiter praktisch zu arbeiten und forschen?
    Ja, also nach dem ersten Staatsexamen war ich im Referendariat an einer Förderschule und ich hatte vorher zu Inklusion gearbeitet und auch mein Staatsexamen zu dem Thema veröffentlicht. Die Realität an der Förderschule hatte für mich dann leider rein gar nichts mit Inklusion zu tun. Im Anschluss daran habe ich dann in einem Jugendzentrum gearbeitet und noch einen Master in Rehabilitationswissenschaften dran gehängt. Teilhabe für ALLE ist mir wichtig, aber in den herkömmlichen Berufsfeldern stoße ich da immer wieder an meine Grenzen, genau das auch umzusetzen. Ich habe insgesamt 13 Jahre in pädagogischen Berufsfeldern gearbeitet und auch geforscht, aber irgendwann kam der Punkt, dass ich das nicht ausschließlich ein Leben lang machen will. Meine kreative Ader kam immer mehr an die Oberfläche, gepaart mit einer schon immer vorhandenen Ablehnung gegenüber hierarchischen und autoritären Zuständen. Das führte letztendlich zur Kündigung des normalen Arbeitsverhältnisses und dazu mich freiberuflich zu melden.

Thomas, du bist seit Oktober 2015 Mitglied im Verein „Die Urbanisten2“. Was sind denn vor diesem Hintergrund deine persönlichen Ziele und Aktionsfelder?
    Also zuerst einmal gibt es da eine inhaltliche und auch räumliche Nähe zum Verein. Mein Atelier ist im gleichen Gebäude wie das Büro der Urbanisten. Da ich ja Soloselbstständig bin und es manchmal Anfragen für (Bau-)projekte gibt, die für eine Person alleine zu groß sind, arbeite ich da oft mit den Urbanisten zusammen. Weiterhin überschneidet sich auch der pädagogische Bildungsbereich, also die Workshops und Vorträge, die ich gebe, mit den Themenfeldern der Urbanisten und das lässt sich oft ergänzen.

Und wie konkret lässt sich durch das städtische Zusammenleben der Menschen vor Ort neue Perspektiven für urbane Lebensräume schaffen?
    Der Plan ist ja mit den Menschen aus dem Viertel das Viertel zu gestalten. Also nicht, wir setzen da irgendein Kunstwerk oder Objekt hin und gucken was dann passiert, sondern im besten Fall wird mit den Leuten vor Ort ein Plan erstellt, was auf die Straße soll. Ob das dann ein Urban Garden, eine Sitzgelegenheit oder Kunst im öffentlichen Raum wird, das soll schon mit den Menschen abgestimmt werden.

Darüber hinaus hast du 2015 die „Upcycling-Werkstatt“ mitbegründet. Was passiert dort: Ist das ein reiner Produktionsort und/oder ist das auch ein Lernort, Treffpunkt und Workshop?
    Das ist mittlerweile eine offene Werkstatt, wo Menschen ihre Projekte eigenständig oder unter fachkundiger Anleitung umsetzen können. Dort finden auch diverse Workshops statt. Ich mache da aber nur noch Honorar-Aufträge und Workshops, weil mir einfach die Zeit fehlt, um mich noch mehr einzubringen.

Thomas, bist du Autodidakt oder hast du noch eine künstlerische/handwerkliche Aus- oder Fortbildung gemacht?
    Ja, ich bin da wirklich autodidaktisch unterwegs. Ich habe neben meinen Studien keine Ausbildung gemacht. Ich war aber schon immer vielseitig interessiert und motiviert, Dinge zu begreifen oder zu erlernen. So lerne ich gerade Russisch, Akkordeon spielen und Schlösser knacken, einfach, weil ich es interessant finde. Und Autodidakt heißt ja auch in meinem Fall nicht, dass ich das ganze Wissen selbst aus Büchern oder dem Internet hole. Ich arbeite ja auch mit vielen anderen spannenden Menschen zusammen. Und wenn ich mal was schweißen will und keine Ahnung habe, dann frag ich wen, wer das kann und lass mir das erklären. Das geht meist viel schneller, als das komplett alleine zu probieren. Anfänger*innenfehler kann mensch so auch viel besser vermeiden.

Kannst du an einem Beispiel veranschaulichen, wie du alte Dinge aufwertest und dabei etwas Neues kreierst?
    Z.B. ein einfaches Produkt, was aus altem Stromkabel, Fahrradschlauch, zwei Kronkorken und einem Stück Weinkork besteht: Der Kronkorkenschlüsselanhänger. Da sammel ich die alten Materialien an verschiedenen Stellen, die einzelnen Teile werden dann gereinigt, sortiert und  zusammengesetzt. So entsteht aus den einzelnen relativ wertlosen Komponenten ein nutzbarer Schlüsselanhänger. Das ist allerdings auch ein sehr simples Beispiel, wofür ich nicht mal Werkzeug außer einer Schere brauche.

How to make:

Der Kronkorkenschlüsselanhänger.

Wie ist dein Arbeitsprozess gestaltet. Hast du einen Schwerpunkt oder sind dir in deinen Möglichkeiten und Umgang mit Materialien keine Grenzen gesetzt?
    Ja es gibt schon einige Begrenzungen. Zuerst mal nutze ich ja nur sogenannten „Müll“. Das reicht von benutzten Kronkorken, Comics, wo Seiten fehlen über abgelaufene Werbebanner bis zu defekten Fahrradschläuchen und -Reifen (die ja nur noch ins Recycling gehen würden) über obsolete Gegenstände, die eigentlich nicht defekt sind, wie z.B. Disketten, Bücher, Geld nicht mehr existenter Währungen oder alte Computertastaturen.
Der Schwerpunkt ist schon haushaltsüblicher Abfall, oder das was im Keller so rumliegt. Und dann gibt es natürlich die Begrenzung unseres kapitalistischen Systems. Ich muss die Sachen schon für Geld verkaufen, um mein Atelier und natürlich auch mich selbst finanzieren zu können. Aus dem Müll muss dann auch irgendwie ein nutzbarer Gegenstand oder zumindest Schmuck werden, den ich zu einem für mich fairen Preis auch an die Leute verkauft bekomme.

Woher kommen die Ideen? Hast du Inspirationsquellen?
    Mittlerweile habe ich einen guten Blick dafür, welche Materialien sich für was eignen und eigentlich mehr Ideen in der Schublade als ich realisieren kann. Aber natürlich schaue ich mich auf anderen Veranstaltungen um, nutze das Internet und DIY-Literatur. Ich bin ja kein Erfinder, sondern Upcycler. Ich nutze nur Dinge um.

Wie kann ich mir das praktisch vorstellen. Gehst du mit offenen Augen durch die Gegend und hast immer einen Blick für Dinge, die du siehst und eine Idee, wie du diese aufwerten kannst?
    Ja, auf jeden Fall. Ich finde dauernd Kleingeld und besonders viele Metallgegenstände, da ich beim durch die Gegend laufen eigentlich immer auf die Straße schaue und alles einstecke, was herumliegt. Wenn mensch mit mir spazieren geht, bücke ich mich im Dauerzustand, um Dinge aufzuheben. Vor ca. 5 Jahren habe ich zum ersten Mal Straßenkehrmaschinenborsten entdeckt. Die liegen überall herum, weil sie beim Reinigen der Straße abbrechen, sind aus Eisen und je nachdem wie lange sie liegen in einem unterschiedlich verrostetem Zustand. Mittlerweile habe ich ein paar tausend davon gesammelt und jetzt wird es Zeit sich zu überlegen, was ich da so daraus machen könnte. Bis jetzt ist die Idee, daraus Schmuck zu machen, weil Straßenkehrmaschinenborstenschmuck auch einfach ein witziger Produktname ist.

Welche Herausforderungen ergeben sich bei jedem neuen Projekt und bist du schon mal an einem Projekt gescheitert?
    Ach, ständig. Ich habe die „Kiste des Scheiterns“ bei mir im Atelier stehen. Da kommen immer die ersten Entwürfe rein, die meist auch so Aussehen, wie die Kiste heißt. Da muss ich halt meistens üben und mich längerfristig mit auseinandersetzen bis etwas funktioniert. Ich stelle z.B. Ringe aus alten Münzen her. Bis zum ersten Mal aus einer Münze ein halbwegs passabler Ring geworden ist, sind drei Monate vergangen, ich habe diverse Münzen einfach zerstört und ich musste unzählige verschiedene Werkzeuge ausprobieren, um die richtigen zu finden. Heute gehen mir die Ringe natürlich sehr einfach von der Hand. Es passiert aber auch, dass ich mich mit einem Material hinsetze, wochenlang damit rumprobiere und es trotzdem nichts wird.
Ist halt alles learning by doing.

Thomas, ich nehme mal Beispiele aus dem Gebrauchskatalog von der Homepage. Was kannst du mit folgenden Dingen anfertigen:
    • Anschnallgurte aus dem Auto
    • Straßenkehrmaschinenborsten
    • Matchboxaustos
    • Nagellackreste

    Hehe, ja das sind Dinge, die Menschen mir u. a. spenden können. Also ganz schnell: Die Anschnallgurte werden als Trageriemen für Taschen genutzt. Sind halt mega stabil. Die Straßenkehrmaschinenborsten werden zurzeit erst mal nur gesammelt, da entsteht demnächst etwas draus. Die Matchboxautos werden zu Schlüsselanhängern umfunktioniert und Nagellackreste verwende ich in Kombination mit Fahrradkettenteilen, um daraus bunte Ohrstecker zu machen. Bei allen Materialien gilt: Ich habe da keine Nachschubknappheit. Es gibt so viel Müll und die Menschen haben so viele Dinge, dass ich meist ein volles Materiallager habe.

Thomas, ich danke dir für deine ausführlichen Antworten. Was sind deine beruflichen Perspektiven? Hast du dir weitere Ziele gesteckt oder bist du glücklich mit dem, was du gerade tust?
    Ich gebe sehr viele unterschiedliche theoretische und praktische Workshops für Erwachsene und Kinder und zeige denen, wie selbst geupcyclet werden kann. Außerdem ist seit Corona der Aspekt der bildenden Kunst noch weiter in den Vordergrund gerückt. Ich hatte letztes Jahr meine erste Solo-Ausstellung, in der ich Collagen aus Müll in vier Serien zu inhaltlich verschiedenen Schwerpunkten ausgestellt habe. Bei der Ausstellung gab es sehr viel positives Feedback und ich habe entgegen meiner Erwartung sogar 9 Bilder verkauft, was mich gerade sehr motiviert weiter in den Bereich der klassischen Kunst zu gehen.

Kontakt:
https://www.tanzaufruinen.de


Fußnote:

1. Der Cradle-to-Cradle-Ansatz schließt auch die umweltfreundliche Produktion und die Nutzung von erneuerbaren Energien mit ein. So werden der biologische und der technische Kreislauf mit einbezogen. Jeder muss ein in sich geschlossener Prozess sein. Organische Bestandteile eines Produktes landen wieder auf dem Kompost und somit im Kreislauf der Natur. Gebrauchsgüter werden so gestaltet, dass sie beispielsweise durch chemische oder mechanische Prozesse sinnvoll wiederverwertet werden können. 

2. Die Urbanisten verbessern das städtische Zusammenleben der Menschen vor Ort und schaffen neue Perspektiven für urbane Lebensräume. Der gemeinnützige Verein ist Impulsgeber, Initiator und Beteiligungsplattform – ein vielfältiges Netzwerk für die aktive Mitgestaltung der eigenen Stadt. https://dieurbanisten.de/