Die Migrationsssozialarbeit hilft erwachsenen Geflüchteten und ihren Familien zu selbstständigen Handeln in allen Bereichen des täglichen Lebens.
Das betrifft die Beratung und Orientierungshilfe nach dem Eintreffen der Geflüchteten genauso wie die Beratung in allen Fragen des täglichen Lebens. Bei Fragen zu Wohnung, Gesundheit,
Behördengängen, Zugang zu Schulen und Kindergärten sowie Zugang zu Sprachlernmöglichkeiten stehen Ansprechpartner*innen wie Nicole Prehn und Qusai Al Khateeb vom Diakonischen Werk
Delmenhorst/Oldenburg-Land e.V.1 mit Rat und Tat zur Seite.
Migrationssozialarbeit ist ein offenes Konzept für alle Migrant*innen und soziale, solidarische Arbeit mit Menschen, die vor Krieg, Verfolgung oder anderen existenzbedrohenden Situationen
geflüchtet sind und dadurch in einer für sie fremden Umgebung in soziale Problemlagen geraten. Dabei spielen die Beachtung der Menschenwürde und die Förderung des Bewusstseins der Menschen mit
und ohne Migrationshintergrund für gegenseitige Offenheit, Toleranz, Respekt und Veränderungsbereitschaft und damit der Erhalt des sozialen Friedens eine zentrale Rolle. Nicole Prehn und Qusai Al
Khateeb stehen stellvertretend für Mitarbeitende der Migrations- und Flüchtlingssozialarbeit, damit Geflüchtete ihren Alltag selbstbestimmt organisieren und an der Gesellschaft teilhaben können.
Sie unterstützen die Menschen in ihrem Alltag und regen zu Mitbestimmung und Partizipation an.
Sie soll zur Stärkung und persönlichen Weiterentwicklung beitragen, vor allem durch das Empowerment von einzelnen Menschen und Gruppen. Nur so kann eine wirkliche Teilhabe an der Gesellschaft im
Sinne der Inklusion geflüchteter Menschen funktionieren. Wir haben ein Lokaltermin bei der Migrationsberatung der Diakonie in Wildeshausen gemacht und uns mit Nicole und Qusai über ihre wichtige
soziale Arbeit unterhalten.
Was war für dich der Beweggrund, diese Stelle auszufüllen?
Nicole Prehn: Ich bin gelernte Pädagogin. Mit meinem Berufswunsch einhergeht die Motivation, anderen zu helfen und etwas Sinnvolles zu tun. Dazu kommt, dass ich mit Englisch
und Französisch zwei Fremdsprachen spreche. Ich habe mich auf das Inserat der Diakonie beworben, die Migrationsberater*innen gesucht haben. Ich habe mir gedacht, dass das gut zu mir und meinen
Fähigkeiten und Zielen passen würde.
Wann war das genau?
Nicole Prehn: Ich habe im Mai 2022 angefangen.
Qusai Al Khateeb: Ich komme aus Syrien. Ich habe in meinem Heimatland arabische Sprache und Literatur studiert. Hier in Deutschland habe ich eine sprachliche Weiterbildung
gemacht und einen Deutschkurs absolviert. Zurzeit mache ich noch ein Studium zum Master in Sozialer Arbeit. Ich habe die Anzeige wie meine Kollegin auch im Internet gesehen und mich auf diese
Stelle beworben.
Also gibt es das Angebot der Migrationsberatung und Migrationssozialarbeit der Diakonie noch gar nicht so lange?
Nicole Prehn: Doch, das gibt es schon seit einigen Jahren. Meine Kollegin Izabela Cholewa, die vor Kurzem aufgehört hat, war bereits 2019 hier. Nur wir beide sind noch relativ
neu dabei.
Arbeitet ihr hier in Wildeshausen denn autark?
Nicole Prehn: Wir sind mit der Migration-Sozialarbeit der Diakonie in Delmenhorst/Oldenburg-Land zugehörig. Wir haben zweimal im Monat Teamsitzungen wo alle
Migrationsberater:innen aus dem Landkreis Oldenburg zusammenkommen und uns mit unserer Vorgesetzten ab- und besprechen, uns austauschen, was wir auch als große Unterstützung empfinden.
Die Diakonie Oldenburger Land formuliert in ihrer Zielsetzung „Wir wollen auch Institutionen und Organisationen Hilfen in interkulturellen Fragestellungen geben, um damit Vorurteilen und
sozialer Ungleichstellung entgegenzutreten und ein gemeinschaftliches und gleichberechtigtes Leben in unserer Gesellschaft zu ermöglichen.“ Was genau ist damit gemeint und wie lässt sich das Ziel
praktisch umsetzen?
Nicole Prehn: Es gibt viele Institutionen, mit denen wir zusammenarbeiten. Z. B. auch mit dem Landkreis Oldenburg. Des Weiteren arbeiten wir auch mit Schulen und
Lehrkräften zusammen, weil die schulpflichtigen Kinder unserer Klientel Schulen besuchen. Des Weiteren arbeiten wir mit Erzieher*innen aus den Kitas und Kindergärten zusammen. Darüber hinaus
arbeiten wir mit anderen sozialen Einrichtungen aus dem Landkreis und den Kommunen zusammen. Für all die sind wir die Ansprechpartner*innen.
Qusai Al Khateeb: Nicht zu vergessen die wichtige Zusammenarbeit mit den Jugendzentren, der VHS und „mischMIT!“, eine Freiwilligenagentur in Wildeshausen2.
Nicole Prehn: Wir haben auch einen Kollegen, der Ehrenamtskoordination für ukrainische Geflüchtete macht. Der hat nicht hier sein Büro, aber mit dem arbeiten wir auch zusammen.
Wie sehen diese Hilfen in der Praxis aus?
Qusai Al Khateeb: Viele Geflüchtete sprechen kommen deutsch. Wir unterstützen geflüchtete beispielsweise bei der Anmeldung an Schulen.
Also weiterführende Angebote als Orientierungshilfe.
Nicole Prehn: Genau. Was ich auch schon mal gemacht habe, ist, Kinder von unseren Klienten an den Schulen anzumelden.
Qusai Al Khateeb: Zudem veranstalten wir im örtlichen Jugendzentrum mit den pädagogischen Mitarbeiter*innen im „JottZett“ einmal im Monat ein interkulturelles Café. Hier können
sich Jugendliche aus den verschiedenen Kulturen begegnen, kennenlernen und austauschen.
Wann kommen geflüchtete Einzelpersonen oder Familien mit euch in Kontakt?
Nicole Prehn: Manchmal melden die sich direkt bei uns. Die haben z. B von Bekannten, die hier schon länger wohnen, von unserem Angebot erfahren. Was aber auch passiert, ist,
dass die Kommune oder der Landkreis auf uns zukommt, die uns mitteilt, dass Neu-Anmeldungen vorliegen oder dass nach unserem Angebot gefragt worden ist und die dann an uns weiter vermittelt
werden.
Welche Hilfsangebote werden denn verlangt?
Nicole Prehn: Ein Kernthema ist die Grundsicherung, die Sicherung des Lebensunterhalts. Wo man Bürgergeld bekommt. Wo und wie man Einrichtungsgegenstände bekommt. Und wie schon
erwähnt, dass wir dabei helfen wie man Schulanmeldungen tätigt. Oder wie man einen Kitaplatz organisiert, was ja aufgrund der großen Nachfrage und des geringen Angebots schwierig ist. Weitere
Nachfragen zu Hilfsangeboten sind Unterstützung bei Arztterminen. Das ist auch oftmals ein Problem, weil viele Ärzt*innen keine Patient*innen mehr aufnehmen und nach wie vor sind Sprachbarrieren
große Herausforderungen. Immer wenn es einen Arzttermin gibt, benötigen unsere Klient*innen entsprechend eine*n Sprachmittler*in.
Was sind die mittelfristigen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Integration von Geflüchteten?
Nicole Prehn: Vieles hängt wirklich von der Sprache ab. Sehr viel zu tun habe ich mit Sprachmittlungsanträgen.
Wer genau sind denn diese Sprachmittler*innen?
Nicole Prehn: Das sind keine ausgebildeten Dolmetscher*innen, sondern Ehrenamtliche, die die jeweilige Sprache sprechen.
Gibt es da einen Mitarbeiter*innen-Pool, auf den ihr zurückgreifen könnt?
Nicole Prehn: Genau. Vom Landkreis gibt es einen Service, den wir sehr häufig nutzen und auf den wir zurückgreifen können. Was vieles vereinfacht wäre, dass die Geflüchteten
bereits deutsche Sprachkenntnis besitzen. Vieles, was wir machen und unterstützend anbieten, würde dann wegfallen. Was wir auch anbieten sind Ausfüllhilfen bei Anträgen. Auch hier würden diese
Hilfsangebote bei einer deutschen Sprachkenntnis als Voraussetzung wegfallen oder den Prozess vereinfachen. Auch wichtig für eine erfolgreiche Integrationshilfe sind Freizeitangebote. Wir
vermitteln Kinder, die Fußball spielen wollen, an Vereine, die hier soziale Kontakte zu deutschen Kindern bekommen.
Was sind eurer Erfahrung nach die größten Hürden und Herausforderungen, um schnell auf den Arbeitsmarkt vermittelt zu werden?
Nicole Prehn: Es gibt ja Stellen, die sich genau darum kümmern: Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen3.
Ansonsten sind wir hier wieder bei der Sprache als Barriere. Für viele, gute, offene Stellen sind deutsche Sprachkennntisse eine Grundvoraussetzung. Das bedeutet, das viele Menschen
schnellstmöglich Deutschsprachkurse4 und Integrationskurse belegen sollten/müssten.
Gibt es Lebensgeschichten von Migrant*innen, die euch besonders nahe gingen?
Nicole Prehn: Aufgrund der gesetzlichen Schweigepflicht dürfen wir hier gar nicht so viel erzählen. Aber es gibt ja bekannte Geschichten: Frau und Kind sind hier, der Mann ist
in der Ukraine. Und klar, die Menschen haben viel erlebt, haben Traumata, sind unter abenteuerliche Bedingungen hierhergekommen. Das macht schon was mit dir. Da muss man schon einen guten Weg
finden, damit umgehen zu können. Ansonsten kann man den Beruf nicht ausüben.
Qusai, wie bist du von Syrien nach Deutschland gekommen?
Qusai Al Khateeb: Das war sehr schwierig und auch sehr abenteuerlich. Ich bin über sechs verschiedene Länder zu Fuß, mit dem Bus und mit dem Zug geflüchtet. U. a. Von der
Türkei über Serbien, Österreich bis nach Deutschland.
Es gibt auch in Wildeshausen viele private Ehrenamtliche HelferInnen, die Geflüchtete aufgenommen haben/aufnehmen. Dazu kommen mit MischMit und dem Rotary Club weitere Angebote in der
Migrationssozialarbeit. Ist Wildeshausen im Landkreis besonders gut aufgestellt oder braucht es Verbesserungsvorschläge?
Qusai Al Khateeb: Es gibt sehr viele Ehrenamtliche, die Frauen und Kinder im Alltag unterstützen. Kinder, die nicht zur Schule gehen oder Frauen*, die keine Sprachkurse
besuchen, werden dann z. B. von Ehrenamtliche betreut. Ich finde die Zusammenarbeit mit den einzelnen Gruppen und der Freiwilligen-Agentur „mischMIT“ sehr gut.
Nicole Prehn: Was ich noch ergänzen will und feststelle, ist, dass unsere Zusammenarbeit mit den Behörden oft schwierig ist. Das liegt vor allem an der eingeschränkten
Erreichbarkeit der Behörden. Ich denke da zum Beispiel an die Ausländerbehörde, deren Mitarbeiter*innen zum Teil auch sehr viel zu tun haben, voll ausgelastet und deswegen telefonisch schwer
erreichbar sind. Ein weiteres Beispiel ist die fehlende Erreichbarkeit der Familienkasse. Hier gibt es Probleme bei schnellen Rückmeldungen, die ich zu wichtigen Fragen zum Kinderzuschlag oder
zum Kindergeld benötige. Diese Beispiele beschweren unsere tägliche Arbeit.
Angesichts des Zuzugs von Menschen befürchten viele Deutsche große Konflikte zwischen Einheimischen, Migrant/innen und Geflüchtete bzw. zwischen Christen und Muslimen sowie eine Zunahme
extrem rechter und terroristischer Gewaltakte. Seht ihr den diakonischen Auftrag langfristig in Gefahr?
Nicole Prehn: Nein, ich denke nicht. Wenn wir mit Vorteilen konfrontiert werden, versuchen wir diese zu entkräftigen. Aber ich denke nicht, dass unsere Arbeit in Gefahr
ist.
Wenn dann auch noch christlich geprägte Politiker von einem Sozialtourismus sprechen, werden Geflüchtete stigmatisiert/abgewertet und Ideale der extremen Rechten verstärkt. Brauchen wir
mehr erfolgreiche Integrationsgeschichten, auch in den Medien, um Ressentiments und Vorurteile zu überwinden?
Nicole Prehn: Diese Vorbehalte gibt es einfach und es ist auch schwer diese zu entkräftigen. Ich finde auch, dass die mediale Berichterstattung zu negativ ist. Mehr
Erfolgsgeschichten könnten ein Mittel sein, das zu ändern und zu verbessern.
Zudem erleben sich viele Menschen mit Migrationshintergrund nicht als sozial anerkannt. Warum ist das deiner Meinung nach so und was muss sich ändern, damit eine soziale Gleichstellung
funktioniert?
Qusai Al Khateeb: Wir hatten einen Fall, wo eine Frau nicht bereit war, sich integrieren zu lassen. Eine soziale Gleichstellung kann nur funktionieren, wenn die Bereitschaft
zur Integration da ist, wenn die Bereitschaft da ist einen Sprachkurs zu belegen. Denn eine tatsächliche Teilhabe in allen Bereichen, insbesondere am gesellschaftlichen und kulturellen Leben,
kann nur ermöglicht werden, sich zugehörig zu fühlen.
Repressionen und Gewalt gegenüber MigrantInnen nehmen zu. Gleichzeitig sorgen mediale Traumatabedingte Gewalttaten Einzelner für Stigmatisierungen. Gibt es auch Fall-Beratungen zu diesem
Thema?
Nicole Prehn: Also es gibt das Psychosoziale Zentrum in Oldenburg. Im Psychosozialen Zentrum gibt es für geflüchtete Menschen eine pädagogische und psychologische Beratung und
Begleitung sowie verschiedene Entlastungsangebote und Therapiemöglichkeiten an. Wir selber beraten in dieser Hinsicht nicht, weil wir keine ausgebildeten Psycholog*innen sind.
Gibt es denn etwas was ihr euch wünscht für euch persönlich oder auch für die Arbeit?
Nicole Prehn: Was wir immer benötigen, nicht nur für ukrainische Geflüchtete, sondern generell, sind Menschen die sich ehrenamtlich betätigen und sogar die jeweilige Sprache
als Voraussetzung mitbringen, bei einer erfolgreichen Integration mitzuwirken. Persönlich wünsche ich mir, eigene Vorurteile abzubauen und auf Menschen zuzugehen. Und sich mal überlegen, was
Geflüchtete in ihrem Heimatland alles erlebt haben und wie diese sich jetzt in einem fremden Land fühlen, um sich vielleicht mal vorzustellen, wie es einem selber damit gehen würde.
Fußnoten:
1. https://www.diakonie-doll.de/rat-hilfe/migrationsberatung/migrationsberatung-landkreis-oldenburg ↩
2. Die Freiwilligenagentur Wildeshausen mischMIT! versteht sich als das Bindeglied zwischen engagementbereiten Bürgern und gemeinwohlorientierten Einrichtungen, Vereinen und Institutionen: https://www.mischmit.org/ ↩
3. Das Anerkennungsgesetz des Bundes gibt Fachkräften aus dem Ausland das Recht, dass ihr Berufsabschluss auf Gleichwertigkeit mit dem deutschen Referenzberuf überprüft wird: https://www.anerkennung-in-deutschland.de/html/de/index.php ↩
4. https://www.make-it-in-germany.com/de/leben-in-deutschland/deutsch-lernen/deutschkenntnisse ↩