V.A.
GDR Undergroundtapes 1980 - 1990 MC
Black Cat Tapes/tapetopia/aufnahme + wiedergabe
Die gesammelten Werke auf tapetopia ergaben sich aus einer Reihe von Vinyl-Veröffentlichungen, die auf Kassetten aus dem ostdeutschen Underground der 80er Jahre basieren, insbesondere aus der
Ostberliner "Mauerstadt"-Musikszene. Trotz der sehr geringen Anzahl von Original-Kassetten, die damals im Umlauf waren, waren viele der Bands in subkulturellen Kreisen beliebt, was sie in den
inneren Kreisen der Regierung höchst verdächtig machte.
Musik auf Tape zu bannen war das größte Problem im Osten.
Ostdeutsche Kassettenrekorder wie Stern, Sonett, Minett, Anett, Babett oder das Kassettendeck der volkseigenen RFT waren exorbitant teuer und nur selten im Handel erhältlich. Eine gängige Praxis
war, gebrauchte Kassetten von "Stars" der offiziellen DDR-Plattenfirma AMIGA zu überspielen. Die hier vorliegenden Künstler*innen überzeugen mit toller Sound-Qualität. L'ambassadeur des ombres
ware ein Projekt aus Musikern von DIE VISION und NEUN TAGE ALT. Ihr Song "Terrible Beauty Is Born" basiert auf lyrische Textfragmente aus Gedichtbänden, die im Darkwave-Sound verwoben werden.
Ansonsten wähne ich mich auf einem GENIALE DILLETANTEN-Festival. Klick & Aus oder FO 32 Extra Hart Arbeitendes Rastermaterial Für Kontakt sind schon spezielle Soundbastler-Beiträge zwischen
Neubauten und Avantgarde Noise-Experience. Kein pures Sampling, sondern "Instrumente / stahl action / texte in schweißtreibenden 24 stunden aktionen auf tonbänder aufgenommen - diese neu
zusammengeklebt - richtige magnetbandschleifen gebastelt etc.". Hier ist Musik machen, genauso so wie Musik produzieren echtes Abenteuer und tief verwurzelt im Untergrund. NEUNTAGE (oder 9 TAGE)
ertönen mit ihrem Synth-Pop-Dark-Wave im hervorragend produzierten Sound. Der in Thüringen geborene Musiker und Elektronik-Freak Taymur Streng war 1979 nach Berlin gezogen und befasste sich unter
dem Eindruck von Industrial- und Avantgarde-Bands wie Throbbing Gristle, Cabaret Voltaire und The Residents intensiv mit experimenteller Musikelektronik und synthetischer Klangerzeugung. Die
dafür notwendigen Instrumente und Aufnahmegeräte entstanden in Eigenbau.
9 Tage traten mit eher poppigen, darkwavigen Sounds an die Öffentlichkeit. Taymur war in mehreren Projekten von Ornament & Verbrechen involviert, Ende der 80er existierte zudem der 9
Tage-Ableger L'ambassadeur des ombres mit Musikern von Die Vision. Es gibt also viele Überschneidungen, viel Dada und Klangkunst. Der Expander Des Fortschritts ähnelt bspw. DER PLAN (Hans und
Gabi) und ist im ZICK ZACK-Umfeld angesiedelt. Musik aus der Kunst- und Theaterszene und zum Schluss mit ROSA BETON auch etwas Schrammel-Punk. Musik als experimenteller Beitrag und kreativer
Ausdruck für einen radikalen Wandel, aber auch um Musik selbst zu produzieren und als Tondokument in Kleinstauflage die Runde machten. Eine wunderbare Zusammenstellung, die belegt, wie bunt,
kreativ und experimentierfreudig der DDR-Untergrund war, in denen die Künstler*innen am Rande der Illegalität wandelten. Einige dieser produzierten Tapes machten unter Eingeweihten die Runde und
erlangten Legendenstatus, wie z.B. die "Rotmaul"-Kassette der Freakwave-Truppe Ornament & Verbrechen oder "AIDS delikat" von den Krachmachern von Klick + Aus. Es sind also wahre Schätze
vorhanden und es macht Spaß, die Akteur*innen beim Experimentieren mit Klängen, Instrumentenwahl und Aufnahme-Technik zuzuhören. Infiziert von der englischen Punk-Bewegung setzen die Akteur*innen
nicht auf virtuoses Können, sondern strebten nach Selbstorganisation und agierten jenseits gängiger Kunst- und Kulturnormierungen und gesellschaftlicher Erwartungen. Für mich im jeden Fall
bedeutsam, weil Motivation und Artikulation der Gegenkulturen auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs beim improvisieren und Ausprobieren ähneln (wie bei GENIALE DILLETANTEN/Verschwende deine
Jugend-Reihe). In der Gegenüberstellung werden so auch Parallelen und grenzüberschreitende Berührungspunkte sichtbar.