Sexismus ist eine Machtstruktur, die die Gesellschaft anhand von Geschlecht (biologisch und sozial) und Begehren einteilt. Dies haben wir alle am eigenen Körper und Seele erfahren – wir haben gelernt und lernen noch immer, was es bedeutet ein „Mann“ und eine „Frau“ zu sein, wie wir auszusehen haben, wie wir uns zu verhalten haben, was wir zu erwarten haben, wen wir wie zu lieben und zu begehren haben und wir haben auch erfahren, was passiert, wenn mensch nicht in diese Kategorien passt und nicht die Regeln befolgt. Diese Machtstruktur prägt uns also nicht nur in dem was und wer wir sind, sondern auch wie wir uns anderen gegenüber verhalten. Sexismus bedeutet auch, dass seit Jahrhunderten Männer strukturell bevorteilt sind. Dies prägt nicht nur unsere alltäglichen Begegnungen und Handlungen, sondern findet sich auch in unseren Institutionen und in unserem Wissen.
Ana-Cara Methmann macht politische Bildungsarbeit im Anti-Diskriminierungsbüro Sachsen e.V. (ADB), ist Ethnologin (M. A.), Trainerin zu den Themen Migration, Kultur und Rassismuskritik, ist selbst in links-politischen Zusammenhängen unterwegs und beschäftigt sich u.a. mit Awareness-Strukturen.
Wir unterhielten uns mit Ana-Cara über Zusammenhänge von Sexismus und männliche* Dominanzverhältnissen in politischer Arbeit.
Ana-Cara, du befasst dich sehr umfassend und auf vielfältiger Weise mit Diskriminierungsformen, machst Workshops und hältst Vorlesungen zu diesem Thema. Was sind die Schwerpunkte deiner
Arbeit und welche Ziele steckst du ab?
Erst einmal zu meinen Schwerpunkten. Das sind die Themenbereiche (Anti-)Sexismus und Rassismus(-kritik). In meiner Arbeit lege ich den Fokus auf Selbstreflexionen, soweit es
das Veranstaltungsformat zulässt. Also am liebsten führe ich mehrtägige Seminare durch - hierbei werden Menschen meines Erachtens eher zum Nachdenken, Reflektieren und Fragen stellen angestoßen.
Manchmal, wenn der Rahmen es nicht anders zulässt, dann halte ich auch Vorträge, aber eher ungern. Ich glaube, das führt nicht so weit, wenn es um diese Themen geht, wenn die Menschen nur zuhören
und es um reine Wissensvermittlung geht. Ich versuche auch, dabei immer kleine Methoden einzufügen, damit die Zuhörer*innen die Themen mit ihrem eigenen Alltag verknüpfen können. Es geht ja bei
den Themen nicht nur darum, dass Menschen viel Wissen darüber haben, sondern darum, wie sie in diese gesellschaftlichen Verhältnisse wie Rassismus und Sexismus involviert sind und wir ihr Wissen
sie in ihrem Handeln beeinflusst.
«Wir sind alle Teil dieser sexistischen Machtverhältnisse und können nicht außerhalb sein. Wir reproduzieren fortwährend Sexismus...»
Um der gängigen Praxis bürgerlicher Gerichtsbarkeit etwas entgegenzusetzen, haben Feministinnen innerhalb der linken Szene das Konzept der Definitionsmacht entwickelt. Was ermöglicht
dieses Konzept und warum ist es notwendig?
Hinter dieser Frage steckt eine Menge. Es gibt keine einheitliche Version von Definitionsmacht. Deswegen in aller Kürze, was sie für mich bedeutet. Betroffene von sexistischen
Grenzüberschreitungen haben die Entscheidungsmacht, ab wann etwas eine solche Grenzüberschreitung darstellt. Das bedeutet, dass es in dem Moment nicht darum geht, Beweise für ein solches
Verhalten, ob das nun wirklich sexistisch war, darzulegen; es geht auch nicht darum, wie es gemeint war. Sondern darum, wie es bei der Person angekommen ist. Darüber hinaus kann die Person
darüber entscheiden, was in der konkreten Situation und im Nachhinein mit sich, ihrem Umfeld und der übergriffigen Person passieren soll.
Ich denke, dass Konzept der Definitionsmacht hat sehr wichtige Momente und es ist ein Kampf innerhalb sexistischer Verhältnisse gewesen, diese Perspektive zumindest in
einzelnen gesellschaftlichen Bereichen „salon-fähig zu machen“ und eben auch, dass es um eine parteiische Unterstützung geht und nicht die Beweislast bei der Betroffenen ist.
Allerdings habe ich mich nicht so ausführlich mit diesem Konzept und seiner Entstehung auseinander gesetzt - und ich bin mir gar nicht so sicher, ob es nun wirklich in der linken Szene seinen
Ursprung hat - was auch immer die nun genau ist, oder Einflüsse nicht auch z.B. aus einer schwarzen, feministischen Bewegung in den USA kommen.
Um das Konzept wird viel diskutiert, und ich habe
keine abschließende Meinung dazu.
Du fragst, was es ermöglicht. Es gibt kein einheitliches Verständnis von Definitionsmacht. Für mich bedeutet es, dass im Falle einer Grenzüberschreitung, die im Kontext
Sexismus stattfindet, z.B. eines sexualisierten Übergriffs, die Person, die diese Grenzüberschreitung erfährt, definiert, ob und ab wann es eine solche ist und dies vom Umfeld, sei es dem
konkreten Gegenüber, Freunden, Verwandten, der Politgruppe etc. anerkannt wird. Dieser Moment ist wichtig, weil es einen Raum zum durchatmen schafft, in dem zunächst nichts erklärt werden muss -
dieser ist dringend notwendig in solchen Situationen.
Denn oft ist es nicht möglich sofort zu analysieren, was da passiert, sondern ein „STOPP“ oder ein nachträgliches „Aufmerksam-Machen“ und damit auch „Gehört-Werden“ ist wichtig. Das ist erst mal
ein Anker, um die Aufarbeitung des Geschehenen zu beginnen.
Aufarbeitung geht für mich dann in mehrere Richtungen. Eine davon ist, herauszufinden, was die verletzte Person braucht, wie sie unterstützt werden kann, ob sie Kontakt zum
übergriffigen Person haben möchte etc. Da ist viel Vorsicht gefragt, aber es ist wichtig der Person Unterstützung anzubieten - und dies steht zunächst im Fokus.
Und hier sehe ich eine Grenze einer Aufarbeitung im Sinne der Definitionsmacht.
Denn Teil des Konzepts ist es auch, dass die Betroffene Person den weiteren Verlauf der Aufarbeitung definiert - nicht nur für sich, sondern auch, was mit übergriffigen Person passieren soll. Das
ist zum einen eine ganz schön große Verantwortung, also zu entscheiden, wie mit einer anderen Person verfahren werden soll - auf der Party ist es vielleicht leichter, weil die übergriffige Person
z.B. erst mal rausgeschmissen werden soll, aber was ist im Kontext einer Politgruppe, das hat längerfristige Konsequenzen. Und für mich stellen sich da ein paar Fragen: Was ist zum Beispiel wenn
die betroffene Person z.B. einen Gruppenausschluss des Typs fordert? Sind wir als Gruppe bereit, das dann wirklich radikal, unhinterfragt, ohne Vorwürfe, ohne Nachfragen umzusetzen? Können wir
das überhaupt mit uns selbst vereinbaren? Was passiert danach mit der Gruppe? Wie arbeiten wir das auf? Was passiert mit jahrelangen Freundschaften zu der ausgeschlossenen Person?
Ich denke, dass kann die Gruppe nur gemeinschaftlich aushandeln - gleichzeitig sollte dem Wunsch der betroffenen Person natürlich viel Raum und Verständnis eingeräumt werden.
Eine weitere Richtung der Aufarbeitung, die nicht unbedingt Teil der Definitionsmacht ist, ist die Verantwortung des Umfelds.
Wenn ich z.B. mitkriege, dass ein Freund von mir sich sexistisch verhält, dann ist es mein Wille und meine Verantwortung mit ihm darüber zu sprechen.
Damit will ich sagen, dass der Umgang mit sexistischen Verhalten gesellschaftliche Aufgabe ist.
Somit ist es für mich unabdingbar sich mit den übergriffig agierenden Personen zu beschäftigen - also ihr aufzuzeigen, dass ihr Verhalten nicht in Ordnung ist, dafür zu sorgen, dass sie versteht,
was sie getan hat, was das mit sexistischen gesellschaftlichen Verhältnissen zu tun hat, welche Rolle die Positionierung der Person innerhalb dieser Machtverhältnisse spielt. In den meisten
Fällen solcher Grenzüberschreitungen haben es die sexistisch oder rassistische handelnden Menschen nicht geplant - sondern agieren aus einem Unwissen, teilweise sogar aus einem „gut gemeint“
heraus. Das soll das Verhalten nicht entschuldigen, aber ich denke, gerade hier bedarf es einer Aufarbeitung des Informierens und einer Unterstützung im Reflektieren. Ich für meinen Teil bin sehr
dankbar und finde es keine Selbstverständlichkeit, wenn Menschen mich auf mein dominantes, mein sexistisches und rassistisches Verhalten aufmerksam machen. Sicher ist es nicht immer leicht zu
hören, es tut weh und stößt auch bei mir immer mal wieder auf Unverständnis. Ich gebe mir Mühe, dann aber nicht verteidigend verbal um mich zu schlagen, sondern versuche das mitzunehmen, darüber
nachzudenken und dies mit Menschen in meinem Umfeld zu besprechen.
Und dann schwirrt mir noch der Punkt im Kopf rum, dass Definitionsmacht nicht unbedingt nur im Kontext sexistischer Verhältnisse stehen muss. Ähnliches ist doch im anderen Machtverhältnissen, wie
zum Beispiel Rassismus ebenso notwendig - dass Menschen, die Rassismus erfahren diesen definieren und dies anerkannt wird, und nicht ein „Ja, aber“, „war nicht so gemeint“ oder „sei doch nicht so
empfindlich“ entgegnet wird.
Wie erlebst und wo beobachtest du sexistisches Verhalten in deinem Alltag?
Überall – auf der Straße, in der Zeitung, in der Werbung, auf der Arbeit, auf Konferenzen und in Workshops, in meinem Verein, in meinen engsten Beziehungen.
Und wie ich es erlebe: es tut noch immer weh. Immer wieder bin ich frustriert, weil ich das Gefühl habe, dass, wenn ich mich nicht so viel mit Sexismus auseinandersezten würde, ich weniger sehen
würde, und es dann auch weniger weh tun würde. Auf der anderen Seite bin ich meiner Auseinandersetzung mit Sexismus sehr dankbar. Es hilft mir vieles zu analysieren und zu verstehen. Oft war ich
verletzt, hab Grenzüberschreitungen erlebt, aber konnte diese nicht benennen - das passiert jetzt eher selten. Und ich bin dadurch mutiger und schlagfertiger geworden, denn wenn ich schnell
verstehe, was um mich herum passiert, dann ermöglicht es mir einen größeren Handlungsspielraum.
«Männliche Dominanzen in der linken Szene sind wirklich vielfältig, aber eines eint sie eigentlich überall – sie privilegieren die Cis-Männer und ihre Wünsche und Entscheidungen und führen dazu, dass sie sich leichtfertiger bewegen können und wesentlich weniger Kämpfe im Kontext Sexismus austragen müssen.»
Die meisten Linken verstehen sich als antisexistisch. Das heißt aber noch lange nicht, dass es in ihren politischen Projekten keine männlichen Dominanzstrukturen gibt.
Was sind eigentlich männliche Dominanzstrukturen und wie äußern sich die diese in der linken Szene?
Das ist eine spannende Frage, allein dieser Begriff „antisexistisch“. Ich glaube, dass kann niemand wirklich sein. Wir sind alle Teil dieser sexistischen Machtverhältnisse und
können nicht außerhalb sein. Wir reproduzieren fortwährend Sexismus und damit meine ich nicht nur Cis-Männer, sondern auch mich z.B. als Cis-Frau - ich reproduziere auch an Stellen Sexismus,
gegenüber anderen Cis-Frauen und Trans-Personen. Ich finde dieses „Label“ sogar gefährlich, weil es eine zusätzliche Hürde für die Auseinandersetzung mit Sexismus ist.
Aber du fragtest nach männlichen Dominanzstrukturen in der linken Szene - die sind vielfältig. Einerseits wird da ‚ne Menge rumgemackert. Es geht viel um Körper, um Stärke, um „Nazis und Bullen
auf die Fresse“ - oft um martialische Außenwirkung. Und dann gibt‘s vieles in den internen Strukturen. Es gibt da einen tollen Reader vom unabhängigen redaxkollektiv 2014 zu Antisexismus. Da ist ein Fragebogen drin, wer welche Aufgaben in der Gruppe
erledigt. Die erscheinen oft als Kleinigkeiten, sind sie aber nicht - denn es geht darum, wie viel Wertschätzung es für diese Aufgaben gibt bzw. inwieweit sie als unabdingbar für die Existenz der
Gruppe gesehen werden (z.B. wer spricht, wie viel in den Plena, in denen inhaltliche Entscheidungen getroffen werden, wer kocht das Essen oder räumt auf, säubert die Aschenbecher und wer macht
die Vernetzungsarbeit mit anderen Gruppen).
Ich habe mal in einem meiner Workshops den Begriff „smarter soft macker“ gehört. Den fand ich sehr treffend bzgl. männlichen Dominanzen von Cis-Männern, die wissen, was
Sexismus ist, wissen, dass die eine privilegierte Position haben, also sehr reflektiert sind. Sie wissen, was das angemessene Verhalten ist, also mackern nicht so offensichtlich rum – irgendwie
wissen wie sie sich verhalten müssen (z.B. kein Oberkörper frei, kein lautes Sprechen, kein Unterbrechen etc). Die bekommen dann Anerkennung für ihre feministischen Positionen und ihr
reflektiertes Verhalten, werden gehört, treffen weiterhin genauso inhaltliche Entscheidungen mit, und machen wenig Reproarbeit - also schaut mensch genauer hin, gleiche Position, vemeintlich
feministisch, ohne Privilegien abgegeben zu haben – da passt irgendwas nicht zusammen. Die Auseinandersetzung mit diesen „smarten soft mackern“ - die es ganz schön häufig in der linken Szene gibt
- fällt mir manchmal besonders schwer: Die Dominanzen sind so versteckt und sie sind daher viel schwieriger angreifbar.
Um zu deiner Frage zurückzukommen - männliche Dominanzen in der linken Szene sind wirklich vielfältig, aber eines eint sie eigentlich überall – sie privilegieren die Cis-Männer und ihre Wünsche
und Entscheidungen und führen dazu, dass sie sich leichtfertiger bewegen können und wesentlich weniger Kämpfe im Kontext Sexismus austragen müssen.
Wie sind hier Geschlecht und Herrschaftsverhältnisse miteinander verwoben?
Na, das ist eine sehr umfangreiche Frage. Ich wähle hier mal die kurze Antwort - auch weil ich es gerade schon angeschnitten habe: auf vielfältige Weise. Genauso wie es
gesamtgesellschaftlich alltäglich und strukturell passiert, ist es auch in der linken Polit-Gruppe - der Unterschied ist, dass es dort eventuell anders thematisiert und damit umgegangen
wird.
Die Beispiele habe ich ja gerade schon erwähnt - entlang von Genderkategorien sind Anerkennung, Mitbestimmung, Privilegien geordnet. Reproarbeit z.B. in der Polit- oder Hausgruppe bleiben oft an
FLTI hängen, wie sauber machen, Räume ordentlich halten, sich um das Essen für die Veranstaltung zu kümmern etc.
Cis-Männern sprechen in Plena vermehrt über die inhaltliche Ausrichtung der Gruppe, bzw. werden mehr gehört, gehen zu Vernetzungstreffen, halten Vorträge etc.
Und die letztere Aufgaben erfahren mehr Anerkennung, führen zu Stärkung der eigenen Position und des Selbstwerts.
Es scheint, als sei die Reflexion der Geschlechterverhältnisse Aufgabe von Frauen*.Wieso sind feministische Positionen (auch) für Männer* wichtig?
Wir sind alle in sexistischen Machtverhältnissen sozialisiert. Und haben sehr viel sexistischen bullshit gelernt. Und nicht nur ich will den verlernen und will, dass der
weniger wirksam in der Gesellschaft ist, sondern auch viele männlich positionierte Menschen wollen das.
Ich ziehe mal als Beispiel aus meiner Sozialisation als weiße Person im Rassismus heran. Ich bin darin privilegiert und gleichzeitig ist auch für mich Leben im Rassismus schmerzhaft - natürlich
auf eine ganz andere Art und Weise wie für Menschen die alltäglich Rassismus erfahren. Ich bin mit rassistischen Bildern aufgewachsen, und immer wieder ploppen bestimmte Stereotypen, Annahmen
über Menschen in meinem Kopf auf, und ich will das nicht. Aber ich hab das 30 Jahre lang gelernt, bin dem immer noch durch mein Umfeld ausgesetzt und brauch jetzt eine lange Zeit, um all dies
rassistische Wissen zu verlernen und neues zu lernen. Mein Anspruch ist es auf eine gerechtere solidarische Gesellschaft hinzuarbeiten. Und so gehe ich davon aus, dass es vielen Cis-Männern im
Kontext sexistischer Ungleichheiten ähnlich geht: sie haben sexistisches Wissen gelernt, und obwohl sie es als bullshit erkannt haben, ist es noch immer da. Also wollen sie darauf hinarbeiten,
dass es in ihren Köpfen und ebenso in der Gesellschaft sich ändert.
Also um deine Frage zu beantworten: feministische Positionen sind für Cis- Männer genauso wichtig, weil sie auch Teil ihrer
Befreiung sind.
Wie können Männer* ein Verständnis für feministische Standpunkte aufbauen und feministische Positionen in der Praxis beziehen?
Ich denke, erst mal gehört der Wille und die Bereitschaft dazu, sich auf den Weg zu machen und sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Feministische Postionen entstehen nicht
von heute auf morgen, sondern brauchen Zeit und sind ständig im Prozess.
Es geht darum sich zu informieren, zu lesen, zu hören, zu sehen.
- Was ist Sexismus?
- Auf welchen Ebenen findet der statt?
- Was sind Privilegien?
Selbstreflexion ist dann ein weiterer Teil.
- Wie ist mein Redeverhalten? Wie viel Raum nehme ich ein?
- Welche Aufgaben habe ich?
Na, und dann analysieren und Konsequenzen ziehen: Zuhören, Kritik annehmen, immer mal wieder „Mund halten“, Unwissenheit und Unsicherheit transparent machen, Reproaufgaben übernehmen u.s.w.–
Kompetenzen, die Cis-Männer nicht unbedingt immer in die Wiege gelegt worden sind.
Meiner Erfahrung nach hilft es, sich diese Fragen nicht alleine zu stellen: das kann z.B. in regelmäßigen Gruppentreffen stattfinden, wo es explizit um Feedback und Reflexion des eigenen
Verhaltens geht. Ich suche mir in meinem Umfeld Menschen und frage nach einem Feedback zu meinem Verhalten, und wir tauschen uns gegenseitig zu unserem Umgang mit Privilegien aus.
Wichtig ist
hier nur, dass es nicht darum geht, die FLTI im Hausplenum beständig zu fragen, ob das jetzt sexistisch war, warum, und wie man* sich anders verhalten soll. Sondern, dass es darum geht, seine
Hausaufgaben zu machen und mit anderen Cis-Männern den Austausch über die eigenen sexistische Verhalten zu suchen.
Fantifagruppen und Frauen*-Antifagruppen entstehen als eine Reaktion auf einen fortgesetzten Sexismus in männlich dominierten Antifa-Zusammenhängen. Stehen deiner Meinung nach
Frauen*gruppen stärker unter Druck, sich zu beweisen, als Männer*gruppen?
Das kann ich nicht beantworten. Ich weiß nicht, ob der Aspekt des „nach außen hin beweisen“ der zentrale ist. Wichtig ist doch erst mal, dass FLTI sich zusammenfinden, ihre
Erfahrungen austauschen, z.B. über das, was sie erleben, was sie erreichen wollen und Strategien darin entwickeln und sich als wirksam wahrnehmen – das ist eine Form von Empowerment. Was das
außen davon hält, ist, denke ich, erst mal nicht so relevant. Und was ist mit den Frauenkamptags-Demos am 8. März in Berlin: ein Riesen FLTI-Block an der Spitze der Demo. Ich weiß es nicht, ob es
hier nötig war, sich nach außen hin zu beweisen. Das ist sicher auch kontextabhängig.
Was aber existent ist, ist sicherlich, dass FLTI-Gruppen in vielen Kontexten dafür kämpfen müssen, als gleichberechtigt gesehen zu werden. Ich finde es eine spannende Überlegung - eine Art Test:
im Netzwerktreffen ein FLTI Plenum einzuführen, in dem Entscheidungen, die das ganze Bündnis betreffen, getroffen werden. Und dann schauen, was mit diesen Entscheidungen passiert - werden sie
anerkannt? Kommen viele Gegenreden und worin liegen sie begründet? – und am Ende dieses Geschehen zu analysieren.
Es kostet sehr viel Kraft und Ausdauer, sexualisiertes Verhalten immer wieder zu diskutieren. Was tust du Gutes für dich, um einem „burn out“ entgegenzuwirken?
Ich vertraue sehr auf meine feministische Blase, also den Austausch mit Menschen, die meine Perspektive teilen, bei denen ich mich auskotzen kann, die unmittelbar verstehen,
was das Problem ist, mit denen ich mal darüber lachen, fluchen oder heulen kann. Dann finde ich Kraft in meinen starken feministischen Freund*innen und Genoss*innen, die ich die mich inspirieren
und für ihre Stärke bewundere. Und dann brauche ich immer wieder Räume, in denen ich nicht über Sexismus und Feminismus rede, sondern, in denen ich einfach nur bin, trashige Filme gucke oder
Sport mache.
Anmerkung:
* : Der Begriff „Frau“/„Mann“ ist mit einem bestimmten Bild/einer bestimmten sozialen Konstruktion verbunden. Durch das Sternchen soll aufgezeigt werden, dass nicht nur diejenigen, die dem Bild entsprechen, gemeint sind, sondern alle, die sich als Frauen*, Männer* definieren.