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Punk ist tot...es lebe der Punk!

Der Widerspruch dieser Aussage fasst die Geschichte, Krise und Neudefinition einer der bekanntesten Subkulturen der letzten Jahrzehnte zusammen. Punk entstand als ein wütender, schreiender Ausdruck jugendlicher Rebellion, ein Schlag ins Gesicht der konventionellen Gesellschaft und ein musikalisches Statement gegen Kommerz, Normen und Autoritäten. Doch über die Jahre hinweg wurde die ursprünglich revolutionäre Bewegung vom Mainstream entdeckt und vereinnahmt. Was einmal unvereinbar mit der Konsumkultur schien, fand seinen Weg in Modehäuser, auf große Konzertbühnen und sogar in die Werbung.

Unser Diskurs nimmt sich der Frage an, wie Punk, einst ein Symbol für Subversion und Widerstand, zu einem von der Industrie konsumierten Produkt wurde – und wie die Bewegung dennoch überleben kann, wo und wie eine DIY-Kultur – „Do It Yourself“ – zur lebendigen Praxis der Unabhängigkeit und Selbstbestimmung beitragen kann. Authentizität war und ist ein Schlüsselelement im Punk. Was bedeutet es, „echt“ zu sein? Für viele Punks ist Authentizität mit der Ablehnung von Kommerz und einem gewissen Minimalismus verbunden. Doch mit der Kommerzialisierung und der Anpassung an Mainstream-Normen stellt sich die Frage, wie Punk authentisch bleiben kann.

Im Gespräch mit:

Diana Ringelsiep

Über:

Diana Ringelsiep (*1985 in Bochum) ist eine freie Journalistin, Autorin („A global Mess“; „Punk as F*ck“), Podcasterin, Filmemacherin („Milleni@l Punk“) und feministische Aktivistin. Nach ihrer Dorfpunkjugend in Nordhessen, Roaring Twenties in Berlin ist sie inzwischen im Ruhrpott zu Hause. Als intersektionale Feministin ist es ihr wichtig, Privilegien und gesellschaftliche Ungleichheiten in all ihren Ausprägungen sichtbar zu machen.
https://diana-ringelsiep.de/


»Ich (würde) sagen, dass die meisten Frauen ihr Punksein schon als junge Mädchen immer doppelt und dreifach unter Beweis stellen mussten, um in der Szene ernstgenommen zu werden.« (Diana Ringelsiep)

Wie hat die Kommerzialisierung den ursprünglichen DIY-Ethos der Punkbewegung beeinflusst?
Diana Ringelsiep: Spätestens als in den frühen Neunzigerjahren die ersten Punkbands kommerziell durch die Decke gegangen sind, hatte das Auswirkungen auf die gesamte Subkultur. Auf einmal sind diese ganzen Ami-Punk-Bands, wie Green Day und Bad Religion, im Radio und bei MTV gelaufen und auch hierzulande haben es Die Ärzte und Die Toten Hosen plötzlich in die Charts geschafft. Das führte natürlich dazu, dass auch immer mehr DIY-Bands davon geträumt haben, den großen Durchbruch zu schaffen. Aber das finde ich auch überhaupt nicht schlimm. Do-it-Yourself zeigt dir bestenfalls Möglichkeiten auf, wie du ohne viel Hintergrundwissen und finanzielle Mittel kreativ und vor allem aktiv werden kannst. Aber DIY sollte dir nicht vorgeben, wo dieser Weg endet. Es ist doch spannend, dass Punk es geschafft hat, sich eine Relevanz zu erarbeiten, die vor allem im kulturellen Bereich immer mehr Einfluss genommen hat. Mittlerweile finden wir Punk auf Laufstegen, in Filmen und in unzähligen anderen Musikgenres wieder – von Pop über Elektro bis Rap. Und inhaltlich kommt mir davon inzwischen vieles provokanter und kompromissloser vor als die Subkultur selbst. Das Stattfinden von Punk im Mainstream nimmt dem DIY-Ethos im Underground nichts weg, den gibt es ja trotzdem.


Wo siehst du im Punk inspirierende innovative Ideen, die über nostalgische Einflüsse hinausgehen?
Diana Ringelsiep: Überall, es ist halt alles nur eine Frage der Interpretationsfreiheit. Wenn Punk für dich bedeutet, ausschließlich Platten aus dem letzten Jahrtausend zu hören und alle Bands zu boykottieren, die sich an neue Themen herantrauen, dann wirst du vermutlich auch nichts Innovatives mehr innerhalb deiner selbst gesetzten Subkulturgrenzen entdecken. Wenn du Punk hingegen als eine subversive Strömung begreifst, die eingestaubte Strukturen infrage stellt und dafür sorgt, dass die Altpunks in ihrem Weltbild erschüttert werden – dann behaupte ich, dass Punk seit einigen Jahren eine Art Renaissance erlebt: zurück zu alten Werten wie Selbstverwirklichung und Provokation, bloß in einem neuen Gewand. Es ist ja schon beinahe witzig, dass viele der ersten Generation den Jüngeren nun ihre Punk-Identität absprechen und dabei vollkommen ausblenden, dass sie in gewisser Hinsicht nun selbst die engstirnigen Spießer sind, gegen die rebelliert wird. Sie, die immer behaupten, im Punk gebe es keine Regeln, stellen plötzlich ganze Regelwerke auf, um andere auszugrenzen. Dabei merken sie nicht mal, dass sie das Spiel mitspielen, indem sie sich unentwegt aus der Reserve locken lassen und sich über die „jungen Leute von heute“ beschweren, die ihnen nicht den nötigen Respekt erweisen. Vor 40 Jahren haben Punks noch provoziert, weil sie Löcher in den Hosen und bunte Haare hatten. Inzwischen laufen 60-Jährige in Jeans mit Destroyed-Effekt herum, und wie der YouTuber Rezo bereits bewiesen hat, hindert ein blauer Iro auch niemanden mehr daran, in der Öffentlichkeit ernst genommen zu werden und bundesweite politische Debatten zu entfachen. Lange Zeit richtete sich die Rebellion im Punk ausschließlich gegen patriarchale Strukturen außerhalb der eigenen Szene – gegen Autoritätspersonen, von Eltern über Vorgesetzte bis hin zur Polizei. Dass sich nun auch erstmals gegen problematische Verhaltensweisen innerhalb der Subkultur aufgelehnt wird, ist neu. Aber deshalb ist es ja nicht weniger Punk.

Kann eine Band, die kommerziellen Erfolg hat, immer noch als authentische Punkband betrachtet werden?
Diana Ringelsiep: Wenn eine Band, die sich in einem Jugendzentrum gegründet hat, es irgendwann schafft, große Hallen zu füllen, dann freut mich das für sie. Schließlich passiert das nicht aus Versehen, sondern ist in der Regel das Resultat jahrelangen Durchbeißens. Es gibt eine Schwelle, an die nur wenige subkulturelle Akteur*innen kommen. Dort müssen die Beteiligten sich fragen, ob ihr Herzensprojekt ein Hobby bleiben soll oder ob sie die Chance ergreifen möchten, davon leben zu können. Beides ist vollkommen legitim. Was nervt, ist bloß dieses Rumgejaule, dass eine Sache weniger authentisch sei, sobald ein gewisses Maß an Professionalität erreicht wird. Am Ende des Tages sind wir alle Schachfiguren in einem kapitalistischen System, weil wir unsere Mieten überweisen, unsere Bäuche füllen und für sechs Streaming-Plattform zahlen müssen. Ich persönlich finde es daher systemkritischer, von einem einstigen DIY-Projekt leben zu können, das nun kommerziell erfolgreich ist, anstatt in einem Angestelltenverhältnis auf ein Burnout zuzusteuern, aber dafür am Wochenende den Underdog raushängen zu lassen. Letztlich ist es natürlich auch ein Privileg, seine Leidenschaft zum Beruf machen zu können. Aber wer die Chance bekommt und sich dafür entscheidet, verliert dadurch nicht automatisch an Authentizität. Es gibt zum Glück keine Maßstäbe, mit deren Hilfe wir anderen ihre Punkidentität absprechen können.

 Wie haben sich die Bestrebungen zur Inklusivität und Unterstützung für marginalisierte Gruppen innerhalb der ursprünglich überwiegend weißen, männlichen Punk-Szene entwickelt und manifestiert, und welche Auswirkungen hatten diese Bemühungen auf die kulturelle Diversität und das soziale Bewusstsein innerhalb der Punkbewegung?
Diana Ringelsiep: In den letzten Jahren ist dahingehend viel in Bewegung gebracht worden. Es haben sich zahlreiche (queer-)feministische Akteur*innen zu Wort gemeldet – in Form von Büchern, Songs, Vorträgen, Interviews und Social-Media-Postings. Dabei wurden dezentrale Debatten über patriarchale Strukturen entfacht, die ab einem gewissen Punkt nicht mehr ungeschehen gemacht werden konnten. Und das meine ich im positivsten Sinne. Seien wir ehrlich, ein großer Teil der Punkszene ist ein reaktionärer Haufen, vergleichbar mit den Mario Barths und Dieter Nuhrs aus der Parallelwelt von der man(n) sich einst abgrenzen wollte. Anfangs haben noch viele überheblich über die Kritik gelacht, weil sie davon überzeugt waren, dass sich die Lage wieder beruhigen wird und alle zum subkulturellen Alltag übergehen werden. Aber aufgrund der Fülle der Denkanstöße und der Ausdauer derer, die ihre Anliegen konstant voranbringen und verschiedenen Missständen Sichtbarkeit verschaffen, ist es inzwischen unmöglich geworden, den Aufschrei auszusitzen. Die miserablen FLINTA*-Quoten auf Festivals, die unzähligen sexistischen Übergriffe, der sich ständig wiederholende Machtmissbrauch, die Ausgrenzung behinderter Personen, die überall aufploppende Transfeindlichkeit – all das fällt inzwischen auch Menschen aus der Szene auf, die sich vor zehn Jahren noch keine Gedanken zu diesen Themen gemacht haben. Die Auswirkungen dieser Awareness-Bewegung sind bereits deutlich zu spüren. Es kommt zum Beispiel immer häufiger zu Konfrontationen, wenn Akteur*innen keine Bereitschaft zeigen, ihre althergebrachten Konzepte zu überdenken, weil viele Menschen aufgewacht sind und realisiert haben, dass sie mit diesen Erfahrungen nicht allein dastehen.

Inwiefern tragen Mode- und Lifestyle-Trends dazu bei, dass Punk als ästhetisches Konzept weiterlebt, obwohl seine ideologischen Wurzeln möglicherweise verwässert sind?
Diana Ringelsiep: Dazu müssten wir uns erst mal auf die ideologischen Wurzeln einigen. Frag zehn Punks aus den frühen Achtzigern und du wirst zehn Antworten erhalten – von Unpolitisch über Anarchie bis Antifa, von Straight Edge bis „Saufen, Ficken, Oi!“. Was mich an Punk wahnsinnig aufregt, ist der pedantische Drang, alles in Schubladen einsortieren zu wollen. Das gilt für die ideologische Haltung gleichermaßen wie für die Kleidung. Was zeichnet einen Punk aus dem Lehrbuch denn aus? Auf der Party eines Nietenkaisers verwässert wahrscheinlich bereits ein grüner Schlappiro das „ästhetische Konzept“. Wenn ich mir übrigens diese älteren Herren mal genauer anschaue, die für sich beanspruchen, Punk erfunden zu haben, sehe ich in den meisten Deutschpunk-Bands bloß noch unscheinbare Ü50-Papis, an denen das Punkigste das T-Shirt aus der eigenen Merch-Kollektion ist. Und das ist okay, weil es ja – zumindest offiziell – keine Uniform-Pflicht gibt. Interessant finde ich aber, dass die wenigen weiblichen Punks in dem Alter, die noch aktiv sind und sich auf Konzerten rumtreiben, sehr wohl noch als solche zu erkennen sind. Wäre mal eine interessante Frage, warum das so ist. Aus dem Bauch heraus würde ich sagen, dass die meisten Frauen ihr Punksein schon als junge Mädchen immer doppelt und dreifach unter Beweis stellen mussten, um in der Szene ernst genommen zu werden. Vielleicht steckt das einfach so drin, dass wir länger an diesen Dresscodes festhalten. Andererseits sind alternde Frauen ja auch nicht besonders gern gesehen in unserer Gesellschaft. Da muss man sich bloß die Debatten der letzten 25 Jahre bezüglich Madonnas Falten anschauen. Ich kann mir daher auch vorstellen, dass eine Frau, die sich auf eine Punkbühne stellt und sich „ihres Alters entsprechend“ kleidet (was auch immer das heißen mag), viel Häme, Kritik und Bodyshaming einstecken müsste. Aber um auf deine Frage zurückzukommen: Ich finde die Wechselwirkungen von Modeeinflüssen extrem spannend und habe selbst auch schon immer alles mitgenommen und miteinander kombiniert, was mir gefällt. Ich finde daher, dass verschiedene Stile sich nur gegenseitig bereichern, aber nichts verwässern können.

Welche Rolle spielt Punk heute in der politischen und sozialen Aktivismus-Szene und gibt es positive Beispiele hierzu?
Diana Ringelsiep: Im Rahmen der aktuellen politischen Protestbewegungen spielt Punk keine große Rolle. Klar, es gibt nach wie vor zahlreiche Bands, die sich politisch positionieren. Und mir fallen auch einige Akteur*innen mit einem subkulturellen Background ein, die sich in unterschiedlichen Bereichen aktivistisch einbringen. Aber abgesehen von „Kein Bock auf Nazis“ und den „Sea Punks“ fallen mir auf Anhieb keine größeren Initiativen ein, die eine überregionale mediale Aufmerksamkeit bekommen und somit auch Menschen außerhalb ihrer Bubble erreichen. Da muss man sich bloß die großen antifaschistischen Demonstrationen der letzten Monate in Erinnerung rufen: Welche Songs wurden dort gespielt? Welche Bands traten dort auf? Wie sah das Publikum aus? Meiner Beobachtung nach ist Punk bei diesen Veranstaltungen zwar noch immer vertreten, aber eigentlich ist es egal, welchen Hintergrund du hast. Bei den Protesten gegen den AfD-Parteitag in Essen ist beispielsweise Joshi von ZSK aufgetreten und in Düsseldorf haben Anfang des Jahres die Broilers bei einer Anti-AfD-Demo gespielt. Aber Musiker*innen anderer Genres und Subkulturen sind bei diesen Protesten genauso oft vertreten. Und das ist ja auch wichtig, um eine möglichst breite Masse abzuholen. Ich bin dieses Jahr bereits auf zwei antifaschistischen Rave-Demos gewesen. Das hätte ich mir früher auch nicht träumen lassen, aber das Gemeinschaftsgefühl war dasselbe. Egal, ob Antirassismus, Klimaschutz oder Feminismus – der Aktivismus bringt Gleichgesinnte auf einer politischen Ebene zusammen, die Frage nach dem Musikgeschmack stellt sich dabei jedoch erst mal nicht.

Wie hat sich die Bedeutung von Punk als kulturelle und soziale Bewegung im Laufe der Zeit verändert?
Diana Ringelsiep: Ich glaube, dass Szenezugehörigkeiten im Laufe der Zeit immer mehr an Bedeutung verloren haben. Vor allem Jüngere haben überhaupt kein Interesse mehr daran, sich auf eine Subkultur und einen Style festzulegen, weil sie sich schlichtweg nicht abstempeln lassen wollen. Diese Entwicklung spiegelt sich in den letzten Jahren ja auch immer deutlicher in der Aufweichung der Genregrenzen wider. Früher mussten wir uns zum Beispiel noch entscheiden, ob wir Punks oder Hip Hopper sein wollten, sonst waren wir nicht real. Heute sieht das ganz anders aus: Musiker*innen beider Genres featuren einander und treten sogar auf Festivals der „Gegenseite“ auf – die Leute feiern das! Da müssen wir nur in Richtung Sookee oder Antilopen Gang schauen. Selbst Blümchen ist schon auf dem Ruhrpott Rodeo aufgetreten und die Punks sind bei „Herz an Herz“ durchgedreht. Wahrscheinlich haben sich durch die ständige Verfügbarkeit sämtlicher Musikrichtungen auf den Streaming-Plattformen auch unsere Hörgewohnheiten verändert, weil wir nicht mehr im Plattenladen stehen und uns entscheiden müssen. Diese neuen Einflüsse wirken sich natürlich auch auf den Rest der Subkultur aus. Die nächste Generation sieht keinen Vorteil mehr darin, sich für eine Seite zu entscheiden. Warum nur das Snickers nehmen, wenn man auch noch ein Twix und ein Überraschungsei dazubekommen kann? Manche sehen aus wie Grunge-Kids, aber nach der Schule hören sie Gangster-Rap und am Wochenende gehen sie raven. Why not?

Punk war/ist auch eine Bewegung der Gemeinschaft und Solidarität. Ist das heute in gewisser Hinsicht verloren gegangen oder stärker ausgeprägt?
Diana Ringelsiep: Das hängt ganz von der Perspektive ab. Ein privilegierter weißer cis Mann, der nie Rücksicht auf andere genommen hat und plötzlich nicht mehr „F*tze“ sagen darf und sein nassgeschwitztes T-Shirt anlassen soll, wird dir vermutlich antworten, dass früher alles besser war. Weil die woken Leute heutzutage alles canceln und Punk die Unbeschwertheit rauben. Für viele weibliche, queere, behinderte und nicht-weiße Personen fängt Punk durch die Debatten der letzten Jahre allerdings gerade erst an, richtig interessant zu werden. Nach meinen „Punk as F*ck“-Lesungen und Sexismus-Vorträgen sind häufig junge Menschen auf mich zukommen, um mir zurückzumelden, dass sie Punk zwar schon immer ästhetisch ansprechend fanden und sie auch die Musik mochten, aber dass ihnen die Stimmung auf Konzerten oft toxisch und das Gesamtkonzept irgendwie zu abgehängt erschien. Geändert haben sie ihre Meinung erst durch die #punktoo-Bewegung und die zunehmende Sichtbarkeit queerer Musiker*innen und Szeneakteur*innen. Das hat mich wirklich berührt, denn ich habe auf Punkkonzerten schon lange nicht mehr so junge Menschen wie bei unseren Lesungen gesehen. Einige waren nicht mal volljährig. Die Punkszene schmückt sich gern mit Attributen wie „Familie“ und „Zusammenhalt“, doch Gemeinschaft und Solidarität haben in der Subkultur über Jahrzehnte hauptsächlich cis Männer erfahren. Mir war das selbst lange Zeit nicht bewusst, weil Punk nun mal meine Peer-Group und mein subkultureller Zufluchtsort gewesen ist. Wir sind gemeinsam auf Konzerte und Demos gegangen, wir teilten denselben Musik- und Film- und Klamottengeschmack – aber ein Safe Space ist Punk für FLINTA*, People of Color, Behinderte und queere Menschen nie gewesen.

Inwiefern hat die musikalische Einfachheit, Direktheit und rohe Ästhetik des ursprünglichen Punk dazu beigetragen, sich von den komplexen und polierten Produktionen der damaligen Rockmusik abzuheben und wie wird dieser musikalische Ansatz heute in der Musiklandschaft wahrgenommen und weitergeführt?
Diana Ringelsiep: Diese Einfachheit hat den DIY-Charakter ja überhaupt erst möglich gemacht. Dem typischen Drei-Akkorde-Schrammelpunk haben wir unzählige gute Bands zu verdanken, deren Gründungsmitglieder sich wahrscheinlich irgendwann mal ein Sex-Pistols-Tape angehört und gedacht haben: „Das können wir auch!“ Allerdings müssen wir fairerweise festhalten, dass auch davor nicht alles „komplex und hochpoliert“ gewesen ist. Gerade im Rock ’n’ Roll gab es sehr viele Autodidakten aus armen Verhältnissen, die sich ihre Instrumente selbst beigebracht und ebenfalls extrem provokante Songtexte geschrieben haben. Hinzu kam, dass die meisten Schwarz waren, weshalb ihre Auftritte schon allein aus dem Grund gesellschaftliche Grundsatzdebatten entfachten. Exzesse und Drogeneskapaden kamen noch on Top. Es wird oft so dargestellt, als seien Punks die ersten Rebellen gewesen, die zur Gitarre griffen und die Gesellschaft in Aufruhr versetzt haben. Dabei konnten sie mit den Skandalen der besagten ersten Rock ’n‘ Roll-Generation kaum mithalten. Aber zurück zu dem niederschwelligen Punk-Zugang: Auch in diesem Zusammenhang muss ich leider darauf hinweisen, dass das nicht für alle galt. Während es damals für viele Jungs das Naheliegendste der Welt zu sein schien, selbst eine Band zu gründen und sich auszuprobieren, wurden die wenigen Mädchen in der Regel erst gar nicht gefragt. Stattdessen durften sie das Band-Logo malen oder beim nächsten Auftritt die Kasse machen. Queere, behinderte und nicht-weiße Bekannte kamen oft nicht mal für diese Aufgaben infrage. Stand eine neue Bandgründung an, wurden immer dieselben üblichen Verdächtigen gefragt, ob sie mitmachen wollen. Und heute wundern sich viele darüber, dass die Line-ups so weiß und männlich dominiert sind. Guess why!

Wie hat der Fokus von Punk auf individuellen Ausdruck und die Freiheit, anders zu sein, die persönliche und künstlerische Entwicklung von Musiker*innen beeinflusst und inwieweit hat diese Haltung zu einer nachhaltigeren Akzeptanz von Vielfalt und Nonkonformität in der breiteren Gesellschaft geführt?
Diana Ringelsiep: Ich finde es ehrlich gesagt etwas despektierlich, Musiker*innen anderer Genres ihren individuellen Ausdruck und ihre Nonkonformität abzusprechen, indem diese Eigenschaften lediglich dem Punk zugeschrieben werden. Auf die meisten Rapper*innen trifft diese Haltung genauso zu wie auf die großen Pop-Ikonen – von Madonna über Robbie Williams bis Lady Gaga. Sie alle provozieren gern und bleiben sich auf ihre Art treu. Nun kann man sich natürlich fragen, inwiefern Punk diesen Künstler*innen den Weg geebnet hat. Doch dann müssen wir uns auch fragen, welche Rollen Marlene Dietrich, Chuck Berry und Pippi Langstrumpf dabei gespielt haben. Das ist ja das Schöne an popkulturellen Einflüssen, ab einem gewissen Punkt kriegt man sie nicht mehr auseinanderdividiert. Wie gesagt, auch Punk ist nicht in einem luftleeren Raum entstanden, die Subkultur trägt selbst zahlreiche Fremdeinflüsse in sich. Und natürlich hat das subversive Punk-Narrativ auch wieder nachkommende Musiker*innen und Kulturschaffende inspiriert. Aber ich würde nicht so weit gehen, jede Provokation und jede Selbstermächtigung auf einer Bühne dem Punk zuzuschreiben.

Kann Punk heute noch provozieren und womit?
Diana Ringelsiep: Was die Gesellschaft betrifft, dürfte das schwer werden. Es juckt niemanden mehr, ob du tätowiert oder gepierct bist und was du für Klamotten trägst. Aber ich finde das ganz angenehm. Ich habe genug Stress im Leben, da muss ich nicht auch noch mit fremden Leuten über meine Haarfarbe diskutieren. Mittlerweile ist es eher die Forderung nach Gleichberechtigung, mit der sich prima provozieren lässt – innerhalb und außerhalb der Subkultur. Nicht umsonst bekommen alle, die Missstände aufzeigen, unzählige Drohungen und Hassnachrichten. Manchmal werden wir sogar auf Konzerten beschimpft, weil unsere feministische Arbeit irgendwas in den Menschen zu triggern scheint. Also ja! Solange ich mich als Punk identifiziere, kann Punk noch provozieren.

Abschließende Gedanken:

Auch wenn sich Punk an die moderne Zeit anpasst, bleibt die Frage der Authentizität zentral. Für viele Menschen ist es wichtig, dass Punk nicht nur ein Modetrend oder eine oberflächliche Attitüde ist. Der Wunsch, sich authentisch auszudrücken und nicht durch kommerzielle Interessen kontrolliert zu werden, bleibt eine treibende Kraft innerhalb der Szene. Diese Authentizität steht jedoch in einem ständigen Spannungsverhältnis mit der Konsumgesellschaft, in der Punk als ästhetisches Konzept oft verwendet wird, um Produkte zu verkaufen. Die neuen Generationen müssen entscheiden, wie sie diese Herausforderung annehmen und wie sie den Punk-Spirit mit den heutigen gesellschaftlichen Realitäten in Einklang bringen können.
Punk zeigt sich als eine Subkultur, die sich kontinuierlich erneuert und anpasst, ohne ihre wesentlichen Werte zu verlieren. Die vielfältige Community hat bewiesen, dass sie mehr ist als nur ein musikalisches Genre oder ein Modestil – sie steht für ein Lebensgefühl, das sich über Jahrzehnte hinweg bewährt hat. Punk wird voraussichtlich in Zukunft in neuen Formen und Variationen weiterexistieren, aber der Kern bleibt erhalten: ein Aufruf zur Selbstbestimmung, ein Bekenntnis zur Individualität und eine Aufforderung, bestehende Systeme zu hinterfragen und sich gegen gesellschaftliche Ungerechtigkeit zu stellen. Punk lebt in der DIY-Kultur, in der politischen Beteiligung, in sozialen Bewegungen und im kreativen Ausdruck neuer Generationen.

Punk mag sich äußerlich verändern, aber in seinem Kern bleibt Punk ein Symbol für Widerstand, Freiheit und Individualität.