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LOW
von Reinhard Kleist
176 Seiten; 25,00 €
ISBN 978-3-551-79363-8
https://www.carlsen.de
Band 2: 1976 ist David Bowie auf dem Höhepunkt seiner Drogensucht. Von Paranoia und Starrummel zerrüttet, flieht er aus dem grellen Los Angeles nach (West-) Berlin. In der Stadt, in der jeder
Gang irgendwann an einer Mauer endet, sollte er sich frei fühlen wie nie. Mit viel Zeitkolorit schildert Reinhard Kleist, wie Bowie sich in Berlin kopfüber ins Gestern, ins Heute und ins Morgen
stürzt: Mit Romy Haag erkundet er die Dekadenz der wilden Zwanziger, mit Iggy Pop taucht er ein in die Musik von Kraftwerk und Tangerine Dream. Und in den Hansa Studios im Schatten der Berliner
Mauer erwächst dem Geist der Vergangenheit seine visionärste Musik.
Gesamteindruck:
Über David Bowies Berliner Jahre von 1976 bis 1978 wurde bereits viel geschrieben – ganze Bücher widmen sich dieser Zeit. Kein Wunder, schließlich gilt sein Aufenthalt in der geteilten Stadt,
ebenso wie für Iggy Pop, als eine der kreativsten Phasen seines Schaffens.
Einerseits war da die musikalische Arbeit in den legendären Hansa-Studios, eine experimentelle Suche nach neuen Klängen. Mit den Alben „Low“ und „Heroes“ verschmolz Bowie Elemente des deutschen
Krautrocks, Ambient-Sounds und elektronischer Musik. Besonders „Heroes“ bleibt bis heute eines seiner bedeutendsten Werke – eine mitreißende Art-Rock-Hymne über zwei Liebende an der Berliner
Mauer, deren Entstehung Reinhard Kleist eindrucksvoll in Szene setzt.
Andererseits tauchte Bowie tief in die subkulturelle Szene Berlins ein, erfand sich künstlerisch neu und stellte sich zugleich seiner Vergangenheit. Reinhard Kleist bringt diese Momente in
monochromen Panels zum Ausdruck, skizziert Begegnungen und Gespräche, etwa mit John Lennon. Auch das Zusammenleben mit Iggy Pop, mit dem Bowie in einem Haus in der Hauptstraße 155 in Schöneberg
wohnte, wird thematisiert. Für Bowie, der aus den USA als Kokainsüchtiger nach Berlin kam, bedeutete dieser Umzug eine Rettung. Kleist erzählt einige Anekdoten mit feiner Beobachtungsgabe – etwa
von den Reibereien im gemeinsamen Haushalt, weil Iggy Pop stets Bowies Einkäufe aufaß. Erst als Iggy in eine andere Wohnung im selben Gebäude zog, konnte Bowie seinen Kühlschrank für sich allein
genießen.
Letztlich brachten die Berliner Jahre Klarheit – Berlin wurde für Bowie zum Sinnbild seines eigenen Zustands: ein unfertiges Gebilde, das sich neu zusammensetzte. Reinhard Kleist schafft es
kunst- und stilvoll, eine Hommage an Berlin, die Avantgarde, Bowies innere Zerrissenheit biografisch einzufangen und philosophisch auszudrücken.