· 

SHIRLEY HOLMES - Mein bestes Selbst

SHIRLEY HOLMES - Mein bestes Selbst LP
SHIRLEY HOLMES - Mein bestes Selbst LP

SHIRLEY HOLMES

Mein bestes Selbst LP
Rookie Records/Indigo
Mit einer Mischung aus Punk, Ironie und unverblümten Spaß werfen Shirley Holmes PostPunk, IDEAL'schen nonchalante Frechheit und groovende Bassläufe dem Zeitgeist entgegen – oder, noch besser, sie drehen ihn einmal ordentlich durch den Fleischwolf.
 Mein bestes Selbst ist genau das: ein musikalischer Dreikampf aus Reflexion, Aufbruch und Retro-Chic, serviert mit einem Augenzwinkern und einer ordentlichen Portion Groove aus den Boxen. Absolut tanzbar und cool wie Eis am Stiel oder Campary O.

Der Albumtitel? "Zu 87 Prozent ironisch", sagen sie selbst. Doch in den Songs steckt auch eine unerschütterliche Ehrlichkeit: Man ist als Mensch grundsätzlich richtig, muss nur herausfinden, wohin mit dieser Richtigkeit. Die Songs sind wie eine Sammlung vertonter Geistesblitze – mal wütend, mal spielerisch, aber immer treffsicher. Die Berliner Band hat sich seit jeher mit "wehrhafter Ironie" bewaffnet, aber "Mein bestes Selbst "zeigt, dass auch SHIRLEY HOLMES die Zeichen der Zeit nicht ignorieren können. Die letzten Jahre waren turbulent, die Weltlage drückend. Die Frage in Frage für einen Freund trifft da ins Schwarze: "Hab ich zu viele schlechte Gefühle oder nur zu viel Information?"
Doch statt in Zynismus zu verfallen, reagieren Mel, Miss Ziggy und Chris lieber mit ihrem Dreistufenplan: Verarbeiten, Anregen, Empowern. Klingt fast wie eine Motivationsbroschüre, kommt aber verpackt in mitreißende Musik, mit Die Sterne-Zitate idealistisch und als Kontrast zum lässigen und hippen Lebensstil der Spießer, die erfolgreich, cool bei Chai-Latte die Achsel zucken auf die Frage: Und? Was hast du für Hobbys? In der Realität jedoch ist das hippe, unbeschwerte Leben bald schlagartig vorbei.  Gesellschaftskritik trifft auf Alltagsbetrachtungen, Anti-Luxusloft-Rants ("Koks oder Käse") wechseln sich ab mit melancholischer Romantik ("Sommerstadt"). Aggressive Musik ("Niemand drin") gibt den Soundtrack zur überreizten Weltlage, während "Angst & Hobbys" mit einer bestechend simplen Wahrheit kontert: "Andere haben Hobbys, ich habe Angst."
Neurosen-Pop und 80er Jahre Schmelztiegel kreativer Experimente zwischen Art und Punk.
Und während Angst gründlich begründet sein mag, stellt sich die Frage: Was ist ihr Gegenmittel? Hoffnung? Mut? Solidarische Gemeinschaft? Oder vielleicht einfach das Wissen, dass wir alle nach Liebe, Wärme und einem "besseren Deal für Mitgefühl" suchen, wie SHIRLEY HOLMES in Verstärkung singen.
Bei all dem bewahren sie sich einen spielerischen Biss. Selbst eine Zeile wie "Schon klar, ich quetsch die Scheißzitronen aus und mach ne Scheißlimo draus" (Niemand drin) trägt mehr Lebenskraft in sich als eine ganze Motivationsabteilung in einem Start-up. "Less scheiße heavy" ist dabei nicht nur ein Songtitel, sondern auch ein Versprechen. Nach dem Hören bleibt das Gefühl, dass die Welt vielleicht nicht leichter geworden ist, aber zumindest erträglicher – und genau dafür lohnt sich diese Platte. Wie lange kann man noch behaupten, dass sich nichts ändern wird, wenn SHIRLEY HOLMES längst den Ton angeben, um dich in den Bann zu ziehen?!